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Interview über neue DNA-Spuren im Fall Barschel"Ein Mord, der nicht aufklärbar ist"

Der ehemalige Chefermittler Heinrich Wille erklärt, warum er glaubt, dass der ehemalige Ministerpräsident 1987 ermordet wurde - und warum der Mörder nie gefunden werden wird.

Genf, 11. Oktober 1987: Polizisten tragen den Leichnam des ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, aus dem Hotel "Beau Rivage". Bild: AP
Interview von Daniel Wiese

taz: Herr Wille, Sie haben früh die These vertreten, dass Uwe Barschel in dem Genfer Hotelzimmer, in dem er tot aufgefunden wurde, ermordet worden ist. Sehen Sie sich durch die neu gefundenen DNA-Spuren bestätigt?

Heinrich Wille: Die Abdrücke belegen zumindest, dass außer Herrn Barschel mindestens eine weitere Person im Hotelzimmer war.

Gibt es Hinweise darauf, wer das gewesen sein könnte?

Da gibt es keine Hinweise.

Es hat niemand jemand kommen oder gehen sehen?

Der Fall Barschel

Am 11. Oktober 1987 wurde der vormalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel (CDU, seit 1982 im Amt), von Reportern des Stern tot in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmers gefunden.

Neun Tage zuvor war Barschel zurückgetreten - der Spiegel hatte über schmutzige Tricks der Staatskanzlei im Wahlkampf gegen Björn Engholm (SPD) berichtet.

Bei einer Pressekonferenz hatte Barschel sein "Ehrenwort" gegeben, dass er von den Machenschaften seiner Staatskanzlei nichts wusste. Es nützte nichts: Politisch war er erledigt.

Der Tod Barschels ist bis heute nicht geklärt. 1993 zog die Lübecker Staatsanwaltschaft die Ermittlungen an sich, die sie zunächst den Schweizer Behörden überlassen hatte. 1998 stellte sie die Ermittlungen ein.

Der Chef der Lübecker Staatsanwaltschaft, Heinrich Wille, kam zu dem Schluss, dass Barschel ermordet worden sein musste.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig widersprach: Selbstmord sei mindestens ebenso wahrscheinlich. In der Folge kam es zu erbitterten, auch juristisch geführten Auseinandersetzungen zwischen Wille und dem jeweiligen Generalstaatsanwalt.

Am 28. Juli 2012 wurde bekannt, dass das Kieler Landeskriminalamt die DNA-Spuren eines Unbekannten an einigen Kleidungsstücken gefunden hat, die Barschel in seinem Genfer Hotelzimmer trug.

Nee, es sind ja auch die Stern-Leute, die Barschel in der Badewanne gefunden haben, unbemerkt rein- und rausgegangen. Der Zimmerkellner war drin gewesen und hat ein neues Whiskyfläschchen reingestellt und ist dann wieder rausgegangen.

Und vom Zimmerkellner können die DNA-Spuren nicht sein?

Das ist nicht vorstellbar, die Abdrücke waren ja an den Socken und an der Krawatte.

Heinrich Wille

67, war als Leiter der Lübecker Staatsanwaltschaft Chefermittler im Fall Uwe Barschel. 2011 erschien von ihm im Schweizer Rotbuchverlag "Ein Mord, der keiner sein durfte". Wille arbeitet als Rechtsanwalt in Lübeck.

Es gibt aber Theorien, wer es gewesen sein könnte, oder?

Also ich würde knallhart sagen: Es kann kein Sterbehelfer gewesen sein, denn Sterbehelfer fallen nicht vom Himmel, und es gibt kein Indiz dafür, wo eine solche Person hätte herkommen sollen.

Ihr vorgesetzter Generalstaatsanwalt war der Meinung, Barschel habe wahrscheinlich Selbstmord begangen. Und auch Ihr Nachfolger in Lübeck vertritt diese Ansicht.

Das ist das Ergebnis einer grandiosen Manipulation der öffentlichen Meinung in stillschweigender Übereinstimmung von Presse und Politik in Schleswig-Holstein, die sich durchgesetzt haben. Es passte ja so schön, Uwe Barschel schien der Schurke zu sein, und der Schurke hatte sich selbst gerichtet, und alle anderen hatten dann damit nicht mehr viel zu tun.

Nach seiner berühmten „Ehrenwort“-Erklärung, nach der er als Ministerpräsident zurücktreten musste.

Ja, aber es gab schon damals keine Tatsachen, die für Selbstmord sprachen. Es gab einmal die Behauptung, ja, das war ein Bilanzselbstmord, der Mann war fertig. Und es gab die Unterstellung einer Tablettensucht. Das ist alles.

Warum sagen Sie, dass es Mord war?

Es gibt Indizien, die eindeutig dafür sprechen. Das ist einmal der abgerissene Hemdknopf von Uwe Barschel, das ist nicht so ganz ohne. Das ist nicht irgendein Knopf, der lose saß und dann versehentlich abgerissen wurde. Das war ein sehr fest angenähter Hemdknopf, und es war der zweite von oben. Dieser Hemdknopf muss mit beträchtlicher Kraft abgerissen worden sein, sonst wäre nicht ein Stück des Hemdstoffes mit abgegangen. Und dieser Hemdknopf ist senkrecht von oben nach unten abgerissen worden. Es ist also ein Geschehnis, das er nicht selbst in dieser Weise hat herbeiführen können. Ich habe versucht, das selbst mal zu machen, das geht gar nicht, und ich habe bei allen Lesungen und Vortragsveranstaltungen die Anwesenden dazu aufgefordert und bis heute keinen gefunden, der das wirklich gekonnt hätte: also von oben nach unten, mit beträchtlicher Kraft.

Einen Sterbehelfer schließen Sie aus?

Ein Sterbehelfer muss ja organisiert werden, die können ja nicht im Anzeigenteil der Zeitung gefunden werden. Wie hätte er das organisieren sollen in den wenigen Tagen nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident? In der Schweiz hätte er keinen gefunden, die Medikamente, mit denen er zu Tode gekommen ist, hätte ein ordentlicher Schweizer Sterbehelfer nie genommen, weil sie alle vier seit Jahren in der Schweiz nicht mehr erhältlich waren. Und einen deutschen Sterbehelfer gab es auch nicht, wir haben Hinweise, die uns zugetragen wurden, überprüft. Es gab keinen Sterbehelfer.

Welches Indiz spricht sonst noch für Mord?

Das kleine Whiskyfläschchen, dass dort im Abfallbehälter im Bad gefunden wurde. Dieses Whiskyfläschchen hat zwei Besonderheiten: Es ist nachgewiesenermaßen ausgespült worden, mit Wasser. Warum sollte ein Selbstmörder, der noch einen Whisky getrunken hat, das kleine Minibarfläschchen mit Wasser ausspülen? Es gibt dafür keinen logischen Grund. Zur Verdünnung benutzt man üblicherweise ein Glas, man wird also nicht in diesen kleinen Flaschenhals Wasser reinfüllen. Das ist für mich ein eindeutiger Hinweis auf Spurenbeseitigung, nämlich der Spuren dessen, was außer dem Whisky noch in dem Fläschchen drin war. Und das ist das Zweite in Zusammenhang mit dem Fläschchen: Der Nachweis von Diphenhydramin, das ist ein Beruhigungsmittel, was auch das Erbrechen verhindert – man kann ja keinen mit Gift und Medikamenten umbringen, wenn er das wieder ausspuckt.

Und das ist in Barschels Magen gefunden worden?

Er hat es intus gehabt, es ist eines der vier Mittel, die er eingenommen hatte, und es ist nachträglich nachgewiesen worden, dass in diesem Whiskyfläschchen dieses Mittel war. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum jemand zum Zwecke des Suizides das Mittel in das Fläschchen hätte transportieren sollen. Das wäre denkbar unpraktisch, denn üblicherweise hat man ja nur Tabletten zur Verfügung. Die muss man dann klein mörsern und in ein Whiskyfläschchen reinbringen, in dem gar kein Platz ist, das ist überhaupt nicht vorstellbar.

Sie sehen aus den Spuren am Tatort, dass es Mord war?

Eindeutig, ich halte diese nicht vereinbar mit Suizid. Zum zweiten meine ich, Uwe Barschel war nicht der Mann, der sich umgebracht hätte. Das kann man anhand von Fakten feststellen: War er eingebettet in die Familie? Die Frage kann ich nur mit Ja beantworten. Hatte er Freunde? Wir erinnern uns alle noch in meiner Generation, wie Justus Frantz im Krankenhaus bei Uwe Barschel aufgespielt hat. Wir wissen auch, dass er im Bereich der Wirtschaft Freunde hatte. Der Spitzenmanager von Schwarzkopf, Herr Ballhaus, der ihm ja seine Stiftung und das Schloss Steinhorst finanziert hatte. Oder Herr Lechner, bei dem er auf Gran Canaria in der Ferienanlage gewesen war. Die hätten ihn in der Wirtschaft unterbringen können. Es war ja nicht so, dass Politik das einzige war. Er hatte Pläne, in Kanada als Gastdozent zu arbeiten, und das war sehr realistisch, wie ich überprüft habe.

Sie haben über Ihre Ermittlungen ein Buch geschrieben, das heißt: „Ein Mord, der keiner sein durfte“.

Das ist das Buch, das 2007 verboten wurde …

von Ihrem Vorgesetzten, dem Generalstaatsanwalt. Warum eigentlich?

Das ist wieder eine Geschichte für sich, jedenfalls habe ich in der Hauptsache in erster Instanz gewonnen, dann hat der Generalstaatsanwalt wieder Berufung eingelegt, und dann ist die Akte beim Oberverwaltungsgericht unbearbeitet liegen geblieben, bis man mich dann gegen meinen Willen pensioniert hat.

Ihr Nachfolger sagt jetzt: Die Ermittlungen nehmen wir nicht wieder auf, trotz der neuen DNA-Spuren.

Ob es Sinn machen würde, jetzt weiterzuermitteln, sehe ich genauso skeptisch. Man hat ja keinen Verdächtigen, bei dem man entsprechende Proben entnehmen könnte. Und es gibt auch keine Chance, einen Verdächtigen zu finden. Das war ja der Grund, weshalb das Verfahren seinerzeit eingestellt wurde, und das hat sich ja nicht geändert.

Es gibt keine Chance, weil Geheimdienste verwickelt waren?

Und weil es keine Prävalenz für eine Spur gibt. Aus den vorstellbaren Motiven, die alle ja nicht sehr konkret sind, aber doch gewichtig genug. Die basieren zum einen auf der Iran-Contra-Geschichte und zum anderen auf illegalen Export von U-Boot-Blaupausen nach Südafrika.

Von beiden hat Barschel gewusst, oder man glaubte, dass er davon gewusst hat?

Wir haben nicht beweisen können, dass Uwe Barschel unmittelbar an Waffendeals beteiligt war. Wir wissen aber, dass er bei Gesprächen dabei gewesen ist, bei denen es darum ging.

Man glaubte, er packt aus.

Er hat es mehrfach gegenüber der Familie und auch am Telefon gesagt, es ist das Einzige, an das sich die Abhörerin damals bei ihrer Vernehmung konkret erinnern konnte. „Die in Bonn werden mich kennenlernen.“ Er hat ganz konkret gedroht.

Wer hat abgehört?

Die Stasi, permanent. Man hat leider nach dem Jahre 1985 keine Informationen mehr über Observationen und Abhörungen, das wäre ja interessant gewesen.

Und wenn es ein amerikanischer Geheimagent war, werden seine DNA-Spuren vermutlich nicht in den Datenbanken sein.

Die werden keine Chance haben, die CIA-Residenten in Genf zur Speichelprobe zu laden. Das ist ja der Untertitel meines Buches: „die Grenzen des Rechsstaates“.

Das ist natürlich frustrierend.

Ja, und das ist einer der Gründe, weswegen man sich gerne in die Suizid-These flüchtet, weil die Erkenntnis, dass es ein Mord war und nur ein Mord gewesen sein kann, im Grunde etwas Erschreckendes ist. Weil dies ein Mord war, der nicht aufklärbar ist. Es sei denn, jemand gesteht jetzt noch in einer Lebensbeichte.

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