Interview über die Agrarindustrie: "CDU ist radikale Minderheit"
Nur eine Agrarwende kann Niedersachsens Höfesterben stoppen, sagt Christian Meyer, Vize der Landtags-Grünen. Mit der CDU sei das nicht denkbar.
taz: Herr Meyer, SPD-Spitzenkandidat Stefan Weil will die Agrar-Politik in ein Europa- und Regionenministerium eingliedern …
Christian Meyer: Ein erweitertes Agrarministerium darf nicht mehr Schutzpatronin der Massentierhaltungslobby sein. Das ist richtig. Jetzt muss es aber erst einmal darum gehen, die schwarz-gelbe Regierung vollständig abzulösen.
Ach, das war gar kein Vorstoß Weils, Sie von vornherein als Minister-Kandidaten zu verhindern?
Nein. Über Personalien entscheiden die Parteien nach der Wahl. Klar ist: Energie, Bildung und Landwirtschaft sind für die Grünen Kernressorts, wenn es darum geht, in Niedersachsen mehr Klimaschutz, eine bessere Bildungspolitik und eine ökologische Agrarwende einzuleiten.
Macht die nicht vielen Angst?
Das sehe ich anders: Eine Mehrheit der Bevölkerung lehnt riesige Agrarfabriken mit Tausenden eingepferchter Schweine und Hunderttausenden Hühnern ab. Und das gilt auch für die traditionell konservativen Regionen: Laut Umfragen sind die Grünen mittlerweile die Partei, der in landwirtschaftspolitischen Fragen ebenso wie im Umwelt und Verbraucherschutz die größte Kompetenz zugesprochen wird. Wir sind die Mitte der Gesellschaft. Die CDU-Landesregierung vertritt mit ihrem Einsatz pro Massentierhaltung eine radikale Minderheit.
36, studierte Diplomsozialwirt an der Universität Göttingen. Seit dem Jahr 2006 ist der Grüne Ratsherr in Holzminden, seit 2008 sitzt er im niedersächsischen Landtag.
Na, diese radikale Minderheit stellt noch immer mehr Landräte als die Grünen. Und der in Uelzen kommt jetzt auch nicht durch Massen-Kundgebungen in Bedrängnis, sondern er wird per Personalrecht attackiert: Nur weil er gesagt hat, er kann einen Großstall, der beantragt werden soll, nicht verhindern.
Wahr ist, dass das schwierig ist: Deshalb fordern ja viele Kommunen – auch CDU-regierte – ein Ende des Baurechts-Privilegs für agrarindustrielle Anlagen.
Ja eben. Und ein Landrat, der das mal ausspricht, dass es halt nicht geht, die Ställe zu stoppen – sieht sich direkt mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde konfrontiert: Wird das jetzt der Stil der Agrarwende?
Wenn ein Landrat als Kopf der Genehmigungsbehörde noch bevor ein Antrag gestellt ist, den Ausgang des Verfahrens im Sinne des Investors vorwegnimmt, obwohl er an diesem Verfahren selbst nicht teilnehmen darf…
… weil sein Bruder Anwalt des Investors ist…
Wenn sich dieser Landrat hinstellt und sagt: Die Anlage muss ohnehin genehmigt werden, dann hat er den Pfad der Unparteilichkeit schon verlassen, auf den er als Kopf der Genehmigungsbehörde verpflichtet wäre. Und dann haben die BürgerInnen allen Grund, sich dagegen zu wehren. Zumal er ja die Rechtslage nicht korrekt zusammengefasst hat.
Inwiefern?
Es ist schwierig, aber möglich, über Immissions, Brand oder Tierschutz als Kommune regelnd in ein solches Vorhaben einzugreifen – und es sogar zu verhindern. Eine ganze Reihe größerer Anlagen sind ja so gerichtsfest gestoppt worden.
Aber das ist doch problematisch: Der Agrarsektor ist Niedersachsens zweitgrößte Industrie. Und die wollen Sie blockieren… ?!
Die Agrarindustrialisierung ist kein Segen für die Volkswirtschaft, ganz im Gegenteil. Eine ökologische Agrarpolitik würde zu mehr Lebensqualität im ländlichen Raum führen, für mehr Wertschöpfung sorgen und deutlich mehr Arbeitsplätze schaffen.
Wer soll Ihnen denn das glauben?
Das hat die Landesregierung gerade erst zugeben müssen: Seit 2003 sind in der Landwirtschaft in Niedersachsen fast 30.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Das wird durchs Wachstum bei der Veredelung kompensiert.
Von wegen: Auch in der Lebensmittelindustrie sind über 12.000 Stellen abgebaut worden. Die Billigpreisstrategie von CDU und FDP verursacht nur ein gewaltiges Höfesterben: Wer das bremsen will, muss sich für eine ökologische Agrarwende einsetzen.
… die Sie offenkundig nicht mit der CDU machen wollen?
Bei uns gibt es keine Stimmen, die sich mit dieser Niedersachsen-CDU verständigen könnten, die Massentierhaltung propagiert, die mit Uwe Schünemann einen der bundesweit inhumansten Abschiebeminister auf den Schild hebt, gemeinsames Lernen verhindert und in der Atompolitik ein Endlager Gorleben weiter für möglich hält. Eine schwarz-grüne Koalition ist in Niedersachsen nicht vorstellbar.
Dabei wollen sowohl SPD als auch Ministerpräsident McAllister mit Ihnen koalieren.
Die Grünen kämpfen als einzige für eine vollständige Ablösung der schwarz-gelben Landesregierung. Nur wer uns wählt, weiß: Er landet am Ende nicht mit David McAllister im Bett. Bei der SPD sieht das derzeit anders aus. Diesen Schmusekurs in Richtung großer Koalition sollte sie beenden.
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