Interview über Berlin-Marktplatz: "Schnelligkeit auf dem Arbeitsmarkt"
Auf der neuen Plattform "Gigalocal" kann man spontan Jobs, Waren und Dienstleistungen in Berlin anbieten – und Interessierten per Chat den Zuschlag geben. Ein Gespräch mit Sebastian Diemer.
taz: Ein Jobangebot auf Ihrer Plattform verspricht 4 Euro pro Stunde fürs Verteilen von Flyern auf dem Kudamm. Das sind doch Dumpinglöhne?
Sebastian Diemer: Gigalocal ist ein offener Marktplatz. Nicht wir, sondern ganz verschiedene Leute stellen Gesuche auf unserem Portal ein. Dabei haben wir keinen Einfluss darauf, was die Leute nachfragen und welchen Lohn sie bieten. Wir stellen das frei. Aber das reguliert dann letztlich der Markt: Dumpingangebote werden meistens nicht angenommen – oder nur selten. Dann laufen sie nach einer bestimmten Zeit aus, wenn sie keine Erfüller finden.
Was ist neu an Gigalocal?
, 24, ist Mitgründer und Geschäftsführer von Gigalocal. Dort werden Jobs vermittelt – aber auch Dinge verliehen oder verkauft.
Wir haben mit Gigalocal eine Plattform geschaffen, die mobil und übers Web funktioniert und auf der Nutzer das einstellen, was sie gerade brauchen – vor allem Gesuche zu spontanen lokalen Dienstleistungen. Unsere User können sich dann melden, um ein Gesuch zu erfüllen. Damit übertragen wir Schnelligkeit auf den Arbeitsmarkt.
Leute können sich online anonym über Chat in Echtzeit abstimmen. Das gewährleistet, dass man für wirklich spezifische kleine Dienstleistungen jemanden findet, ohne einen Job ausschreiben oder lange auf die Antwort auf Kleinanzeigen warten zu müssen. Jobvermittlung wird einfach schneller und taskgebundener.
Wo hört die Freiheit auf Ihrem Marktplatz auf?
Es gibt natürlich eine qualitative Kontrolle von unserer Seite. Wir überprüfen, dass nur Rechts- und Sittenkonformes, nichts erotisch Angehauchtes oder in irgendeiner Form Unerwünschtes auf der Plattform eingestellt wird. Außerdem gibt es natürlich steuerliche Grenzen. Für Privatpersonen ist Gigalocal bis zu einer Grenze von 400 Euro nutzbar.
Das System speichert, wie viel Geld der Nutzer pro Monat erwirtschaftet. Wenn jemand die 400-Euro-Grenze überschreitet, dann kriegt er automatisch eine Benachrichtigung von uns, dass er seine Einnahmen beim Finanzamt angeben muss.
Leser*innenkommentare
Gockel
Gast
Nun ja, my-hammer etc. werden hier auch nicht auf taz.de implizit als Bereicherung für das Stadtleben angepriesen.
Auch wenn "soziale Dienstleistungen" umsonst eingestellt werden können, so beschleicht mich doch das Gefühl als könnte Euer Projekt nicht nur Tagelöhnerei begünstigen, sondern auch einer weiteren Kommodifizierung des sozialen Lebens Vorschub leisten, wenn es denn Erfolg hat. Ich kann es nicht als erstrebenswert erachten, wenn jegliches Bedürfnis als Nachfrage auf einem "Markt" artikuliert werden könnte. Dann lieber jemanden auf der Straße fragen, ob man schnell bei Ihm kopieren kann. Aber euer Angebot scheint sich ja dann eher an die wachsende Gruppe von Menschen (= Kundensegment) zu richten, die diese Form von sozialer Interaktion verlernt hat, und lieber bezahlt.
Stefan
Gast
Gockel, ich verstehe durchaus deine Bedenken nur glaube ich, dass du das Prinzip nicht verstanden hast. Es geht weniger um die Vermittlung von Tagelöhner-Jobs als um schnelle Dienstleistungen in der Gegend, in der man sich befindet. Beispiel: Du stehst in der Innenstadt und brauchst in den nächsten 20 Minuten ein Dokument in ausgedruckter Form... Kein Copyshop in der Nähe also kurz einen Gig erstellen und man hat seine Ausdrucke..
Natürlich gibt es Gesuche für Tätigkeiten im Haushalt, Garten etc. aber genauso Dienstleistungen wie Nachhilfe etc. und bei einem Großteil der Gigs zu fairen Preisen. Viele Dinge, gerade im Bereich soziales sind werden kostenlos eingestellt (Beispiel: Gemeinsam ins Kino gehen).
Deine Argumentation verstehe ich aber ist das auf my-hammer, ebay ja selbst auf jedem Flohmarkt anders? Nein.
Gockel
Gast
Simone, das kann nicht dein Ernst sein. "Der Markt reguliert sich selbst", das glaubt dir vielleicht ein BWL-Erstsemester. Dein "Markt" ist immer sozial eingebettet. Im Falle Berlins eingebettet in eine Gesellschaft, die auch von Armut und Niedrigstlöhnen geprägt ist. Und das hat zur Folge, dass alles was hier ein "offener Markt" bewirken kann, eine Regulierung nach unten ist.
Wer kein Geld hat, der macht scheiß Jobs für scheiß Bezahlung. Und solange es genug Menschen in dieser Situation gibt, bewirkt dein "Marktplatz" auch nichts anderes als diese Verhältnisse zu manifestieren.
Maren
Gast
@Felix: ich glaube, Du hast das Prinzip von Gigalocal nicht verstanden. Das hat nichts mit Geldadel zu tun und hier werden auch keine unbefristeten Arbeitsverträge angeboten. Wenn ich zum Beispiel nicht gut im Fensterputzen bin und lieber 20 Euro dafür ausgebe, dass mir dabei jemand hilft, ist das doch ok. Und wenn ich dafür jemandem anderem helfen kann, z. B. beim einkaufen, kann ich mir da das Geld "zurückverdienen". Das geht auch als Student, Hausfrau etc. Gruß Maren
Michaela
Gast
Wie schön das Du so einen tollen Job hast, Glückwunsch. Die Löhne in Berlin sind eh Dumping, wenn man sie mal mit Wessiland vergleicht.
Simone
Gast
Hey Felix,
wir verstehen deine Bedenken und natürlich beobachten wir jeden einzelnen Job. Solche mit zu niedriger Vergütung werden oft nicht angenommen und somit reguliert sich damit der Markt selbst.
Gruß
Felix
Gast
Das ist doch nichts anderes als eine Tagelöhnerbörse: "Bitte, bitte, ich mache alles, auch Bügeln, Klo putzen und Füße massieren, wenn ich nur ein paar Euro dafür kriege."
Ich habe auf solchen Börsen noch nie vernünftige Arbeitsangebote gesehen. Qualifizierte Arbeitskräfte heuert man auch nicht spontan, sondern für längere Zeiträume an. Dort aber bieten nur einige Verzweifelte ihre Arbeitskraft als Hausdiener oder Hausmädchen an. So wie es der Geldadel haben will. Wenn mal das Klo dreckig ist schnell mal auf so eine Seite schauen und für ein paar hingeschmissene Münzen jemand zum Schrubben kommen lassen.