Interview mit zwei Baumbesetzern: "Es gefällt uns da oben"
Erst wohnten sie neben den Bäumen des Hamburger Gählerparks, jetzt leben sie auf einem: Jürgen und Olivia kämpfen gegen die Fernwärmetrasse nach Moorburg.
Zwei Mütter und drei Kinder kommen an dem besetzten Baum vorbei. "Ist das gemütlich da oben?", fragen die Kinder die Baumbesetzer. "Ist es nicht kalt da oben?", fragt die Mutter.
taz: Ist der Dezember nicht ein eher unglücklicher Monat für eine Baumbesetzung?
Jürgen: Es richtet sich nun mal danach, dass die Baumfällzeit im Winter ist. Im Januar sollen die Fällungen anfangen - von daher sind wir knapp vorher drauf.
gehören zur Bürgerinitiative "Moorburgtrasse stoppen". Er hat bis Mitte des Jahres als Elektroingenieur gearbeitet, sie hat Kunst studiert. Vor dem Umzug in die Eiche wohnte das Paar neben dem Gählerpark in Hamburg-Altona.
180 Bäume sollen dort nach jetzigem Stand für die von Vattenfall geplante Fernwärmetrasse im Januar gefällt werden. Insgesamt geht es um rund 400 Bäume. Vattenfall argumentiert, dass für jeden gefällten Baum drei neue gepflanzt werden sollen.
Gegen die 12 Kilometer lange Fernwärmeleitung, die das geplante Kohlekraftwerk Moorburg mit 180.000 Hamburger Haushalten verbinden soll, klagt der Umweltschutzverband BUND mit AnwohnerInnen.
Ist das Eure erste Baumbesetzung?
Jürgen: Ja, wir haben da keine Erfahrung.
Habt Ihr vorher Experten befragt?
Jürgen: Wir haben uns schriftliche Anleitungen geholt. Und wir haben jemanden gefragt, der sich damit auskennt.
Eine ältere Dame mit Mandarinen für die Baumbesetzer kommt dazu. "Kommt ihr heute zum Trassenspaziergang?", fragt sie. "Nein, gibt immer noch so etwas wie Familientraditionen", sagt eine der Mütter. Wir treffen im Advent immer die Großfamilie." "Man kann doch mit der den Spaziergang machen", sagt die ältere Dame.
Warum glaubt Ihr, dass neben Demonstrationen, Festen und Patenschaften eine Baumbesetzung etwas gegen die Fernwärmetrasse ausrichtet?
Jürgen: Wir erreichen andere Leute dadurch - auch diejenigen, die einfach so im Park sind. Die Leute kommen hierher, fragen, damit entsteht noch einmal eine andere Öffentlichkeit.
Die Kinder gerade waren ja sehr angetan. Ist die Reaktion der Erwachsenen auch so positiv?
Olivia: Es gibt Erwachsene, die denken: Es nützt ja eh nichts. Die da oben machen sowieso, was sie wollen. Aber genau da wollen wir ja etwas anderes ausprobieren. Wir wollen sichtbar machen, dass wir auch als einfache Leute etwas dagegen haben können, wie die da oben die Dinge regeln.
Jürgen: Und wenn 300 Leute da sind und 150 davon auf den Bäumen, dann ist es schwieriger, die wegzukriegen, als wenn 300 auf dem Boden stehen.
Hofft Ihr, dass auch andere zu Baumbesetzern werden?
Olivia: Was auch immer sie machen wollen. Wenn hier so etwas Konkretes steht, können sich auch Leute austauschen und ein Bild machen, die noch nicht zur Initiative gehören.
Vattenfall, das die Fernwärmetrasse bauen will, argumentiert, dass die Bäume, die dafür gefällt werden, in 20 Jahren nachgewachsen sind.
Jürgen: Das Argument ist lächerlich: Die Bäume hier sind 40, 50 Jahre alt und so lange dauert es, bis sie nachgewachsen sind. Wir haben nicht mehr so viel Zeit.
Ein Paar kommt vorbei und schaut sich die Informationstafel an. "Worum geht es denn?", fragt der Mann. "Hier soll doch eine Straße gebaut werden", sagt die Frau.
Geht es Euch vor allem um die Bäume, die gefällt werden sollen oder um den Grund dafür: die Fernwärmetrasse zum geplanten Kohlekraftwerk Moorburg?
Olivia: Was uns auf den Baum bringt, ist, dass wir finden: Es braucht einen Wandel. Die Aktion hier gehört zu: Global denken, lokal handeln. Hier sollen Bäume für ein Kohlekraftwerk gefällt werden, was wirklich nicht das ist, was wir hier brauchen. Die Frage ist: Was wollen wir für Energien?
Jürgen: Wir haben drei Punkte: kein Baum, keine Trasse, kein Kraftwerk. Wie in Hamburg mit Bäumen umgegangen wird, ist naturverachtend. Keine Trasse, weil wir nicht einverstanden sind, dass die Menschen, die hier wohnen, nicht bestimmen dürfen, wie es hier aussieht, sondern eine Entscheidung über ihren Kopf hinweggeschmuggelt wird.
Ein Unterstützer besteigt den Baum und tüftelt an den Seilzügen. Er möchte nicht aufs Foto, weil er zuweilen für die Stadt arbeitet. Es könnte ja sein, sagt der Unterstützer, dass ein Oberchef ihn auf dem Bild sieht und das nicht billigt. Aber vielleicht, sagt der Mann, knicke ich damit ja an der falschen Stelle ein.
Für die Besetzungszeit habt Ihr euch Bücher mit in den Baum genommen. Ist das politische Literatur oder Unterhaltung?
Olivia: Es sind Bücher zu den Gedanken, die wir uns über die Welt machen. Zum Beispiel "Island" von Aldous Huxley. Oder ein Buch des Psychiaters Stanislav Grof, "Kosmos und Psyche" zu den Grenzen des menschlichen Bewusstseins.
Ihr werdet jetzt bis Januar zusammen auf ein paar Quadratmetern sein. So eng leben Paare selten zusammen.
Jürgen: Ich glaube, wir sind da sowieso ein bisschen anders. Wir sind uns auch so sehr nahe, auch wenn wir nicht auf so einer kleinen Plattform im Baum sind.
Ist das Baumbesetzen etwas, durch das man zwangsläufig zur Ruhe kommt?
Jürgen: Bislang nicht. Der Kopf ist voll mit all den neuen Sachen. Und wenn man runtersteigt, hat man viele Kontakte. Man denkt: Ich mache jetzt schnell das und das, aber dann muss man erst einmal mit den Leuten reden.
Hat es auch etwas Schutzloses, so in der Öffentlichkeit zu leben?
Olivia: Wenn wir abends die Plane zuhaben, empfinde ich das nicht als so öffentlich, wie wenn wir im Baum rumklettern. Und wenn ich keine Lust habe zu antworten, dann kann ich es ja lassen.
Eurer Prinzip ist es, dass immer einer auf dem Baum ist.
Jürgen: Der andere hat dann die Möglichkeit, zu duschen, zu kochen. Aber bisher haben wir davon rar Gebrauch gemacht. Es gefällt uns da oben schon.
Was ist das Gute oben? Kann man das beschreiben?
Jürgen: Da musst Du schon einmal eine Nacht da oben übernachten.
Und am Tag X, wenn das Fällkommando kommt: Habt Ihr Pläne dafür?
Jürgen: Ja. Aber wir sagen nichts dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld