Interview mit türkischem Abgeordneten: "Wir sind Zielscheibe der Nationalisten"
Die türkische Regierung plant nur eine begrenzte Militäroperation im Nordirak, meint der Abgeordnete Ufuk Uras. Damit will sie die nationalistische Stimmung im Land beruhigen.
taz: Herr Uras, die Türkei steht kurz vor einem Einmarsch im Nordirak. Sie sitzen als unabhängiger Abgeordneter im türkischen Parlament. Wie bewerten Sie die Haltung der türkischen Regierung: Will Sie den Einmarsch? Oder wird Sie dazu getrieben?
UFUK URAS, 48, ist Vorsitzender der kleinen linksgrünen ÖDP in der Türkei; er lehrt als Professor für Ökonomie und Internationale Politik an der Universität Istanbul. Bei den Wahlen im Juli kandidierte er nicht auf der Liste seiner Partei, sondern zog als unabhängiger Abgeordneter ins türkische Parlament in Ankara ein. Sein Wahlkreis liegt auf der asiatischen Seite Istanbuls - in einem Stadtteil, in dem auch viele Kurden leben.
Ufuk Uras: Die Regierung steht unter einem enormen Druck der Öffentlichkeit und des Militärs. Ministerpräsident Erdogan und die AKP-Führung kontrollieren die Situation aber sehr cool. Die Regierung steuert auf eine eingeschränkte Militäroperation zu, und ihre Partei steht geschlossen dahinter. Und selbst wenn die AKP-Abgeordneten aus dem kurdischen Südosten eigentlich dagegen sind - im Parlament haben sie sich bislang nicht bemerkbar gemacht.
Verfolgt die Regierung denn die gleichen Ziele wie das türkische Militär?
Nun, das eigentliche Ziel ist noch gar nicht klar und wird in den Diskussionen mit der Bush-Administration erarbeitet. Es ist unmöglich, den Nordirak zu besetzen und dort längere Zeit zu bleiben. Darum wird es wohl eine kontrollierte Operation geben. Das Problem ist nur, dass es unmöglich ist, die Kurden im Nordirak fein säuberlich von der PKK zu trennen. Deshalb gibt es auch kein klares Ziel, dass sich ausschließlichauf die PKK beschränkt.
Was will denn das Militär?
Weder das Militär noch die Regierung sagen, wie sie ihre Ziele konkret militärisch umsetzen wollen. Ich denke auch, das es dabei viel mehr um eine psychologische Entlastung im Innern geht: Es geht um die Entsorgung des herrschenden nationalistischen Traumas, um die Ruhigstellung der Leute und der Medien, indem man sagt: so, jetzt haben wir aber zurückgeschlagen.
Man spricht doch darüber, entlang der Grenze auf irakischer Seite eine Pufferzone zu bilde - ganz ähnlich wie die, die Israel jahrelang im Südlibanon hatte.
Ja, darüber wird geredet. Aber das ist meiner Meinung nach auch keine realistische Option. Die Grenze zu Syrien ist schon seit Jahrzehnten vermint, und das hat nie etwas gebracht. Das Problem mit der PKK ist kein Problem, das man im Ausland lösen kann. Es ist ein innertürkisches Problem, das durch politische Schritte hier gelöst werden muss.
Wird darüber im türkischen Parlament denn noch diskutiert?
Nein, darüber gibt es derzeit keine Debatte. Die Vertreter der kurdischen DTP und einige unabhängige Abgeordnete haben es mal versucht. Aber Regierungssprecher Cemil Cicek sagte kürzlich, unsere Politik ist die Politik des Staates - und damit ist erst einmal jede Debatte beendet. Wenn in der Türkei Staatspolitik gemacht wird, dann ist die zivile parteipolitische Auseinandersetzung beendet. Wenn du dagegen aufbegehrst, bist du ein Staatsfeind. Als wir uns als kleine Minderheit gegen einen Blankoscheck des Parlaments für eine Militäroperation im Nordirak ausgesprochen haben, wurden wir im Parlament und auf der Straße zur Zielscheibe der Nationalisten. Wir fühlten uns wie die wenigen Neinsager in den europäischen Parlamenten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, ähnlich wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Wir sind wirklich eine kleine Minderheit im türkischen Parlament.
Es gibt die Drohung: Wenn mit den USA keine Einigung über ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK gefunden werde, dann wolle man die US-Airbase in Incirlik schließen. Gibt es darüber eine Debatte?
Nein, auch darüber wird nicht ernsthaft diskutiert. Im Parlament gibt es eine sehr merkwürdige Form von Antiamerikanismus. Merkwürdig deshalb, weil aus solchen Worten absolut nichts folgt. Wir sagen: wenn die Türkei mit den USA wegen deren gesamten Politik im Nahen Osten so im Streit liegt - warum treten wir dann nicht aus der Nato aus? Aber das wollen selbst die ganz nationalistischen Parteien nicht. Die antiamerikanischen Sprüche sind nur eine nationalistische Attitüde.
Erdogan trifft sich am Montag mit US-Präsident Bush. Wenn er davon ohne Ergebnis zurück kehrt - ist es dann nicht vorstellbar, dass Incirlik geschlossen wird?
Nein, das glaube ich nicht. Die Türkei ist mittlerweile so in das von den USA dominierte Geflecht der Weltwirtschaft integriert, dass sie sich das nicht leisten kann.
Erwarten Sie, dass von Erdogan in absehbarer Zeit eine neue politische Initiative zur Lösung der kurdischen Frage ausgehen wird? Er wurde ja auch von vielen kurdischen Stimmen gewählt.
Das ist sehr schwer zur Zeit. Ich glaube auch nicht, dass die AKP dafür wirklich die richtige Adresse ist. Ihre Wähler interessieren sich für andere Fragen: es gibt keinen Druck der Basis, die Demokratisierung des Landes voranzubringen. Die AKP ist eine rechtsgerichtete Partei, die ihre Aufgabe darin sieht, die Türkei ins Geflecht der weltweiten neoliberalen Globalisierung einzufädeln.
Müsste Vorschläge zu einer friedlichen Läsung der kurdischen Frage deshalb nicht gerade von der kurdischen Fraktion im Parlament ausgehen? Auch, um zu zeigen, dass die gewählten Vertreter der Kurden andere Ziele haben als die PKK?
Ja, das haben sie doch schon getan. In der Debatte um eine neue türkische Verfassung haben sie keine autonome kurdische Region gefordert, sondern lediglich auf die unterschiedlichen kulturellen Traditionen der Türkei hingewiesen. Sie haben gesagt, Demokratisierung kann in einem Zentralstaat stattfinden, und individuelle Rechte für alle sind die beste Lösung.
Aber können die kurdischen Abgeordneten der DTP es wagen, sich öffentlich von der PKK abzusetzen? Der eigentliche Test steht doch erst bevor, wenn sie ein Programm für die Lösung der kurdischen Frage vorlegt, und die PKK dem widerspricht.
Das passiert doch schon. Die DTP fordert eine weitere Demokratisierung der Türkei. Und sie sagt, der bewaffnete Kampf bringt keine Lösung. Natürlich gibt es auch innerhalb der DTP unterschiedliche Stimmen. Wir werden sehen, wie sie auf ihrem Parteikongress in einer Woche diskutieren und entscheiden.
Als mit der DTP erstmals eine kurdische Fraktion in Ankara Einzug erhielt, gab es die Hoffnung, dass die kurdische Frage nun nicht mehr in den Bergen und auf der Straße ausgekämpft, sondern im Parlament gelöst werden kann. Ist diese Chance nun schon wieder verspielt?
Nein, das glaube ich nicht. Das Parlament hat doch gerade erst vor einem Monat seine Arbeit aufgenommen. Natürlich ist es eine Chance für eine friedliche Lösung - aber vermutlich die letzte.
Wenn es zu einem Einmarsch im Nordirak kommt - hat die Politik dann noch eine Chance?
Natürlich wird es schwieriger. Aber die eigentliche Gefahr für die Türkei liegt doch in einer Art Balkanisierung - das sich Kurden und Türken voneinander abschotten und sich in ihre Gettos zurückziehen. Politik ist die einzige Brücke zwischen diesen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen. Deshalb ist eine große Chance, dass die DTP im Parlament sitzt. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Aber wir müssen auf dieser Chance beharren.
INTERVIEW: JÜRGEN GOTTSCHLICH
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