Interview mit der Art-Direktion für das neue taz.de : „Auf der Webseite kann man das Format sprengen“
Wie funktioniert linke Gestaltung online, warum ist weniger Rot manchmal mehr, und wie lässt sich Online-Lesbarkeit in der U-Bahn verbessern? Ein Gespräch mit den Designer:innen des neuen taz.de.
taz: Ihr habt die Zeitung, die App und nun auch die taz im Netz gestaltet. Was wird die Leser*innen auf der Webseite vielleicht überraschen?
Janine Sack: Ich glaube, dass die Leser*innen überrascht sein werden, dass die Texte jetzt so viel Platz bekommen. Sie werden sich einen Artikel anschauen und denken: Ach, das ist ja angenehm zu lesen.
taz: Aus Leser*innenbriefen wissen wir, dass manche so ein luftiges Layout und viel weiße Fläche auch für Platzverschwendung halten.
Janine Sack: Es gibt Menschen, für die muss Text so eng und so dicht wie möglich sein, weil sie das Gefühl haben, je mehr Text ich auf kleiner Fläche zu lesen bekomme, desto wichtiger ist der Inhalt. Es gibt einfach unterschiedliche Lesegewohnheiten und auch Lesekulturen. Und wenn jemand beispielsweise gewohnt ist, akademische Texte zu lesen, hat er eine andere Auffassung, wie Text aussehen soll, als wenn jemand gewohnt ist, Magazine zu lesen. Und die taz hat visuell schon immer damit gespielt, linke Boulevardzeitung zu sein, mit grafischen Elementen, die man sonst nicht aus anderen Tageszeitungen kennt. Da wäre zum Beispiel der Einsatz von Text-Bild-Kombinationen, die ironisch oder sarkastisch den „reißerischen“ Stil des Boulevards zitieren: „Endlich!“ Als Schlagzeile mit einem Foto von Helmut Kohl zu seinem Rücktritt.
taz.de – Eine Website gegen die Macht der Algorithmen: Mit einem runderneuerten Auftritt stärken wir die Position der taz im Netz. Zeit, sich mit der digitalen Identität des linken Tageszeitungsprojekts genauer auseinanderzusetzen.
taz: Linker Boulevard, interessante Formulierung. Gibt es auch so was wie linkes Design?
Christian Küpker: Ich glaube, natürlich gibt es visuelle Traditionen, die ganz klar mit linker Politik konnotiert sind, und es gibt bestimmte ikonografische Zeichen, die auch die taz immer wieder benutzt.
taz: Welche wären das?
Janine Sack: Dazu gehört natürlich die revolutionäre Faust, die immer wieder zitiert wird in linken Zusammenhängen. Oder Kleinschreibung, die war in den 70er Jahren so ein antiautoritäres Signal, die Gesetzmäßigkeiten der Rechtschreibung und die damit symbolisierten Hierarchien zu unterlaufen. Der Name, die tageszeitung, wurde seit 1982 kleingeschrieben, und auch weitere strukturierende Elemente, aber im Laufe der Zeit war das im Design nicht mehr so präsent. Als wir 2017 die Zeitung neu gestaltet haben, haben wir das wieder mit hineingebracht als Element. Auf der neuen Webseite sind beispielsweise alle Ressorts und Themen kleingeschrieben. Oder die Farbe Rot, die auch eine Farbe des Boulevards ist, aber natürlich auch schon immer eine Farbe von Revolution, Sozialismus, Kampf, Bewegung.
Art-Direktorin, Verlegerin und Dozentin in Berlin. Seit der taz-Blattreform 2017 arbeitet sie mit Christian Küpker an der Designentwicklung der verschiedenen journalistischen Formate der taz. In ihrem Verlagsprojekt EECLECTIC entwickelt sie Konzepte für digitale Publikationen (Preisträgerin Deutscher Verlagspreis 2024) und ist in verschiedenen publizistischen und kulturellen Netzwerken aktiv. Sie unterrichtet unter anderem an der Media University in Berlin.
„In Bezug auf Gestaltung ist Rot immer schon eine sehr laute Farbe, eine, die du kaum noch steigern kannst“
taz: Die bisherige Webseite war ja sehr rot.
Christian Küpker: Wir hatten am Anfang der Entwicklung auch für das neue Design der Webseite mehr Rot eingesetzt und irgendwie war es das dann nur noch rot, rot, rot. Das schwächt die Stellen, die eigentlich betont werden sollen.
Janine Sack: In Bezug auf Gestaltung ist Rot immer schon eine sehr laute Farbe, eine, die du kaum noch steigern kannst. Das heißt, für uns war so ein bisschen die Frage, wie können wir dieses Rot der taz weiterhin benutzen, aber so zurückfahren, dass man trotzdem noch mit anderen farblichen Signalen, beispielsweise den journalistischen Titeln und Fotos auf der Webseite, dagegen ankommen kann? Deshalb haben wir eine Schattierung des Rot entwickelt. Verlagsinhalte wie die Genossenschaft oder Texte über die taz selbst sind jetzt auf einem halbtransparenten, rosafarbenen Hintergrund. Ein ganz wichtiges Element für die Webseite ist auch taz zahl ich, weil man kommunizieren muss, dass Journalismus nicht kostenlos ist und es zwar keine Paywall gibt, man aber freiwillig zahlen kann. Dafür könnte es in Zukunft eine eigene Farbe geben.
„Wenn du Dinge so gestaltest, dass sie nicht von allen benutzt werden können, dann hat das einen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe“
taz: Warum ist die Verpackung überhaupt wichtig? Was die taz ist, definiert sich doch vor allem durch ihre Inhalte?
Janine Sack: Inhalt und Verpackungen lassen sich nie trennen, es gibt keinen ungestalteten Text. Ich glaube, dass Gestaltung immer eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Denn die Art und Weise, wie man etwas gestaltet, hat ganz direkte Auswirkungen darauf, wie Dinge funktionieren. Und wenn du Dinge so gestaltest, dass sie nicht von allen benutzt werden können, dann hat das einen Einfluss auf die gesellschaftliche Teilhabe.
Christian Küpker: Oder auch die Frage der Aufmerksamkeitsökonomie. Findet man sich auf der Webseite zurecht? Müssen die Leute total konzentriert sein, um die Webseite auf ihrem Handy lesen zu können, oder können sie es auch in der U-Bahn, mit viel visueller Ablenkung.
Freier Art Director in Berlin. Seit der taz-Blattreform 2017 arbeitet er mit Janine Sack an der Designentwicklung der verschiedenen journalistischen Formate der taz. Das Kunst- und Designmagazin „Sleek“ hat er als Creative Direktor gestalterisch von 2005 bis 2011 geprägt. Weitere Aufträge im Bereich von Musik und Kultur, wie beispielsweise die Cover von Andreas Dorau. Seit 2007 hat er das Partyformat Pet Shop Bears (Berghain Kantine) entwickelt und als Gestalter und DJ geformt.
taz: „taz ist nicht für jeden“, hieß es mal in einem Werbespot der taz in den nuller Jahren. Gerade im Internet muss der Auftritt der taz zugänglich sein, gerade für Menschen, die die taz noch nicht kennen. Wie zeigt sich das im Design?
Christian Küpker: Also ich würde da differenzieren zwischen Dingen, die wichtig sind für die formale Barrierefreiheit, wie guter Kontrast oder eine nicht zu kleine Schriftgröße. Und inhaltlicher Barrierefreiheit. Da ist es durchaus gewünscht, dass es irgendwie kantig sein soll und dass der Wortwitz vielleicht auch mal missverständlich ist, das ist dann ja gewollt. Und, dass es inhaltlich nicht stromlinienförmig ist, sondern dezidiert links oder grün und politisch.
taz: Als Editorial Designer beobachtet ihr natürlich das Design anderer Medien. Gab es auch Inspirationen aus dem nichtjournalistischen Bereich für diesen Relaunch?
Janine Sack: Ich erinnere mich: Als wir das Raster für das taz-Design entwickelt haben – haben wir uns da nicht irgendwann auch mal Piet Mondrians Bilder angeguckt? Es gibt natürlich unterschiedlichste Vorbilder aus der Kunstgeschichte, wie man Spannung erzeugt. Die Idee mit den durchgezogenen Linien und den sich überlappenden Flächen, die eine Art Karomuster bilden, findet man aber auch auf der Website.
Christian Küpker: Ja, und Mobiles von Alexander Calder, bei denen es um einen Ausgleich von Gewichtungen geht. Also das war in der Print-Entwicklung, aber das steckt nach wie vor noch drin in der taz-Design-DNA. Und zur Spannung: auch, dass die Dinge auf dem Titel der Zeitung ein bisschen off sind. Das halb abgeschnittene Datum, was irgendwie fast aussieht wie ein Fehler. Bei der Zeitung kann man aus technischen Gründen nicht wirklich bis zum Rand drucken. Auf der Webseite kann man das Format dagegen sprengen und über die Ränder des Textbereichs gehen.
taz: Die taz ist bekannt für den Witz ihrer Seite 1. Im Internet gibt es für diese Titelseite kein richtiges Äquivalent, die Nachrichtenlage auf der Webseite ist die ganze Zeit im Fluss. Wie zeigt sich der ikonische Witz der taz dort?
Christian Küpker: Das findet statt, es findet nur nicht so singulär statt, eher in vielen einzelnen Artikeln.
Janine Sack: Richtig. Und es gibt noch viele Ideen für spielerische Elemente auf der Webseite und die Übersetzung von Sonderausgaben im Internet, die gerade noch in der Entwicklung sind. 🐾