Interview mit Vitali Klitschko: "Ich weiß, was Demokratie ist"
Vitali Klitschko spricht vor dem Kampf gegen Dereck Chisora über die Gegenwart im Ring, über Muhammad Ali und über sein gesellschaftliches Engagement.
taz: Herr Klitschko, im November vergangenen Jahres ist Joe Frazier gestorben, und im Januar wurde Muhammad Ali siebzig. Hat das bei Ihnen auch den Reflex ausgelöst, sich bei YouTube noch einmal deren Ringschlachten anzusehen?
Vitali Klitschko: Ab und zu gucke ich mir natürlich die Klassiker des Boxens an, Ali gegen Foreman, gegen Frazier, das ist die Geschichte des Boxens, das ist unser Alphabet. Das zu wissen, zu hören, zu sehen - das gehört dazu.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese legendären Kämpfe sehen?
Ich hatte dabei schon zig Mal den Gedanken: Es wäre schön, gegen Ali zu boxen. Es ist ein Traum, die eigenen Fähigkeiten gegen eine Weltlegende zu prüfen.
Und wie wäre der Kampf ausgegangen?
Ich kann Boxkämpfe nicht als einfacher Verbraucher schauen. Ich sehe sie als Fachmann, ich sehe: Dort wurde ein Fehler gemacht, das kann ich besser, dafür würde ich ihn bestrafen. Wenn ich einen Boxkampf sehe, geht mir das sehr nah, ich sehe das als Analytiker.
Der ukrainische Profiboxer, 1971 im kirgisischen Belowodskoje geboren, ist Schwergewichtsweltmeister des World Boxing Council (WBC) und besitzt damit den Gürtel, den auch Muhammad Ali und Joe Frazier gewonnen hatten. Der promovierte Sport-wissenschaftler Klitschko engagiert sich in seiner Heimat als Politiker. 2010 wurde er zum Vorsitzenden der neu gegründeten Partei Udar (Ukrainische demokratische Allianz für Reformen) gewählt. Udar ist das ukrainische Wort für Schlag.
Hätten Sie Ali umhauen können?
Das ist eine gute Frage. Ich stelle mir auch solche Fragen. Daher kommt ja der Gedanke, dass es sehr schön wäre, gegen Muhammad Ali zu kämpfen. Kann ich das? Ich denke, ja. In seiner besten Zeit war sein Stil einzigartig. Er war sehr beweglich. Aber ich habe Mittel dagegen. Doch ich kann das heute nur in meinen Gedanken durchspielen. Mehr nicht. Er war der beste Boxer aller Zeiten.
Bedauern Sie, dass es solche Gegner wie ihn heute nicht mehr gibt?
Muhammad Ali war nicht nur ein guter Sportler, er war eine große Persönlichkeit. Er hat die Medien fasziniert, er war frech, er war aggressiv, seine Sprüche waren manchmal an der Grenze. Aber fast alles, was er versprochen hat, hat er im Ring realisiert. Es gibt ein Computerspiel, da kann man verschiedene Boxer aller Zeiten gegeneinanderstellen.
Und, haben Sie schon mal Ali gegen Klitschko kämpfen lassen?
Ich spiele überhaupt keine Computerspiele. Dafür habe ich leider keine Zeit.
Damals, in den 60er und 70er Jahren, hatte Boxen einen anderen Stellenwert als heute. Hatten es Ali, Frazier und Foreman einfacher als Sie heute, zur Legende zu werden?
Es gibt ein sehr bekanntes Gedicht von Puschkin, das betrifft nicht nur das Boxen. [Klitschko spricht den Anfang auf Russisch vor; d. Red.] Darin heißt es übersetzt: Damals hatten wir viel stärkere Menschen, heute gibt es keine wahren Helden mehr. Das Gedicht ist mehr als zweihundert Jahre alt. Es ist doch interessant: Das Thema ist noch immer aktuell. Die Generationen kommen und gehen. Im Boxen hat jeder seine Fähigkeit. Was im Moment fehlt, ist ein großer Name. Leider, man kann wohl sagen leider, blockiere ich zusammen mit Wladimir [Vitalis jüngerer Bruder, d. Red.] die Schwergewichtsszene. Wir lassen niemanden rein. Zur Zeit von Muhammad Ali war es spannender, er hat mal gewonnen und mal verloren. Niemand konnte wissen, was passiert. Heute wird nicht mehr diskutiert, ob ein Klitschko gewinnt, sondern nur noch, in welcher Runde.
Also müssten Sie verlieren, damit es endlich wieder interessant wird?
Auf gut Deutsch: Ja. Aber ich möchte nicht verlieren.
In einer Zeit, in der Legenden wie Ali und Frazier wieder ein Thema sind, fragen Sie sich da, wie man sich eines Tages mal an Sie erinnert?
Ich hoffe, gut. Die Meinung der Menschen ist mir sehr wichtig. Die Zeit geht sehr schnell vorbei. In ein paar Jahren wird die neue Generation Klitschko-Kämpfe angucken und diskutieren: Hätten wir gekonnt, hätten wir nicht?
Muhammad Ali ist nicht nur als Boxer, sondern auch als Kämpfer gegen die Rassendiskriminierung zur Legende geworden. Sie engagieren sich in der Ukraine für mehr Demokratie. Ist das vergleichbar?
Jein. Das ist Arbeit außerhalb des Rings, dort funktionieren keine sportlichen Gesetze. In der Ukraine wurde die Demokratie in den letzten Jahren zurückgeschraubt, das System funktioniert nicht durchsichtig.
Was Ali für die Antikriegsbewegung in den USA war und für den Kampf für Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen, sind Sie das heute in der Ukraine für die Demokratiebewegung?
Ich weiß, was Demokratie ist. Ich habe viel Zeit in Europa und in Amerika verbracht, ich weiß, was in modernen Ländern lebenswert ist. Vor zwanzig Jahren war ich in Polen. damals gab es keinen Unterschied zur Ukraine, wir hatten die gleiche Startposition. Vor ein paar Monaten war ich wieder dort, und ich war überrascht, welche Fortschritte Polen in Richtung Europa gemacht hat. Die Straßen, die Löhne, das soziale System, das funktioniert dort heute alles. Der Abstand zur Ukraine ist inzwischen riesengroß geworden. Da frage ich mich schon: Wieso haben die das geschafft? Und wieso treten wir in der Ukraine noch immer auf der Stelle?
Sie weichen der Frage nach einem Vergleich mit Ali immer noch aus.
Muhammad Ali hat gegen Rassismus gekämpft. Vielleicht kann man es so vergleichen: Ich nutze die gleiche Plattform wie er. Der beste Ort, um weltweit eine riesige Resonanz zu bekommen, ist der Boxring. Wie Nelson Mandela es einmal gesagt hat: Der Sport hat eine wahnsinnige Kraft, die Welt zu verändern.
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