Interview mit Menschenrechtler: "PKK muss ihre Waffen niederlegen"
Die PKK soll den bewaffneten Kampf aufgeben, meint der kurdische Menschenrechtler Abubekir Saydam. Dafür müsse die Türkei aber ein Angebot zur Amnestie machen.
taz: Herr Saydam, die Türkei will im Nordirak einmarschieren, um die kurdische PKK zu bekämpfen. Wie konnte es zu dieser Eskalation kommen?
Abubekir Saydam: Die Lage hat sich zugespitzt, nachdem die PKK vor den Wahlen in der Türkei, die im Juli stattfanden, ihre bewaffneten Angriffe verstärkt hatte. Die Türkei verlangt von der kurdischen Regionalregierung im Nordirak jetzt ultimativ, dass sie die PKK aus ihrem Gebiet vertreibt und deren Führung an die Türkei ausliefert.
Ist das denn realistisch?
ABUBEKIR SAYDAM, 61, hat von 1998 bis April 2007 das Internationale Zentrum für die Menschenrechte der Kurden (IMK) in Bonn geleitet. Er stammt aus Elazig in der Türkei und lebt seit 1962 in Deutschland, wo er sich seit vielen Jahren in den Bereichen Migration, Flüchtlinge und Kurdenpolitik engagiert.
Militärisch wäre die Regionalregierung dazu in der Lage. Aber sie weiß, dass sie die Bevölkerung gegen sich aufbringt, wenn sie gegen die PKK vorgeht. Die Kurden im Nordirak haben die Nase voll von bewaffneten Konflikten zwischen kurdischen Parteien - egal, aus welchem Teil Kurdistans sie stammen.
Wie steht die PKK zur kurdischen Regierung im Nordirak?
Die PKK weiß ganz genau, dass sie die Regionalregierung in Schwierigkeiten bringt. Im Bundesland Kurdistan herrscht relative Sicherheit und Stabilität, zumindest im Vergleich zum übrigen Irak, und wirtschaftlicher Aufschwung. Viele Iraker, die in anderen Landesteilen um ihr Leben fürchten, kommen dorthin, sogar arabische Unternehmer investieren dort. Die PKK hat jedoch andere Ziele.
Wie äußern sich die Spannungen zwischen der Regionalregierung und der PKK?
Die PKK kann sich im Nordirak nicht frei bewegen. Ihre Kämpfer haben sich in ihren Stützpunkten im Kandil-Gebirge verschanzt, die nicht nur auf irakischem, sondern auch auf iranischem Staatsgebiet liegen. Sie kommen nur herab, um Besorgungen zu machen. Das Kandil-Gebirge ist extrem schwer zugänglich. Man kann dort mit Panzern nicht viel ausrichten - höchstens die Stellungen mit Flugzeugen bombardieren.
Wofür kämpft die PKK noch? Für einen eigenen Kurdenstaat?
Nein. Offiziell geht es ihr nur noch darum, dass der türkische Staat die kurdische Identität anerkennt und den Kurden kulturelle Rechte zugesteht.
In dieser Richtung gab es in der Türkei doch Fortschritte: die Sprache wurde zugelassen; es gibt eine kurdische Partei, die mancherorts die Bürgermeister stellt. Reicht das nicht?
Ja, auf Druck der EU und der USA kam es zu Verbesserungen. Dadurch hatte sich das Klima zwischen Türken und Kurden in den letzten Jahren ja auch zunächst verbessert. Aber nationalistischen Kreisen und der türkischen Militärführung passt diese Entwicklung nicht. Und auch die PKK fürchtet, ähnlich wie IRA und ETA, dass ihr das Wasser abgegraben wird, wenn die Kurden mehr Rechte bekommen.
Seit acht Jahren sitzt PKK-Chef Öcalan im türkischen Gefängnis. Wie konnte die PKK wieder an Kraft gewinnen?
Sie war sehr geschwächt. Aber gerade weil sie merkte, dass sie an Rückhalt in der Bevölkerung verlor, hat sie ihre einseitige Waffenruhe aufgekündigt.
Spielt Öcalan noch eine Rolle?
Ja, Öcalan ist weiterhin der Vorsitzende, der die PKK lenkt. Über seine Anwälte gibt er weiterhin Befehle an seine Partei, das ist bekannt.
Wie kann das sein? Er hat doch lebenslänglich bekommen und sitzt als einziger Häftling auf der Insel Imrali.
Das fragen sich viele. Und viele Kurden sind davon überzeugt, dass er vom "tiefen Staat" gelenkt wird - von jenen Kräften, die einer Demokratisierung der Türkei im Wege stehen. Sie brauchen ihn.
Hat die PKK noch Zulauf?
Ja - besonders unter jungen Leuten, die gerade die Schule abgeschlossen haben und keine Chance sehen, an die Uni zu gehen oder in ihrer Region einen Job zu finden. Der türkische Staat hat bisher kaum Anstrengungen unternommen, um die Region wirtschaftlich zu entwickeln. Im Gegenteil: Im Bürgerkrieg ist ja fast alles zerstört worden. Erst die AKP-Regierung hat einiges getan, um die Landbevölkerung in den kurdischen Gebieten zu unterstützen. Das hat dazu geführt, dass sie dort viele Stimmen gewinnen konnte. Deswegen hat die DTP, die als politischer Flügel der PKK gilt, bei den Wahlen im Sommer schlecht abgeschnitten. Auch deshalb versucht die PKK nun, mit militärischen Mitteln wieder Einfluss zurückzugewinnen.
Welchen Rückhalt hat die PKK denn noch unter den Kurden in der Türkei?
Die Mehrheit der Kurden hat genug von diesem 15 Jahre währenden Krieg. In den Neunzigerjahren sind über 4.000 Dörfer und Weiler in der kurdischen Region zerstört worden, Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat zwangsvertrieben.
Die kurdische DTP-Fraktion, die seit den Wahlen im türkischen Parlament sitzt, hat gegen einen Einmarsch im Nordirak gestimmt - als einzige Partei. Droht ihr jetzt ein Verbot?
Nein, ein Verbot sicher nicht. Aber sie steht von allen Seiten unter Druck. In verschiedenen Städten der Westtürkei wurden ihre Büros von türkischen Nationalisten angegriffen, es herrscht eine Lynchstimmung.
Wie steht die DTP zur PKK?
Ihr Verhältnis ähnelt dem der ETA zu Herri Batasuna oder der IRA zu Sinn Féin: Sie ist ihr legaler Arm. Die DTP lehnt es ab, die PKK als rein terroristische Organisation zu bezeichnen - mit gutem Grund. Sie hat sich aber auch gegen Waffengewalt ausgesprochen, und das ist erfreulich: Das zeugt von einer Differenz zur bisherigen Haltung der PKK.
Bislang hat sich Erdogan gegen einen Einmarsch im Nordirak gewehrt, letzte Woche hat er sich dafür die Erlaubnis des Parlaments geholt. Warum?
Ich denke, er versucht, Druck aufzubauen und zugleich Zeit zu gewinnen. Erdogan ist kein Nationalist. Er war der erste Ministerpräsident, der offen gesagt hat, dass es ein Kurdenproblem gibt, und der eingeräumt hat, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht wurden. Das deutet darauf hin, dass er und seine Regierung gewillt sind, das Problem anzugehen. Ob sie eine Lösung finden, ist eine andere Frage.
Trotzdem sammelt die Türkei jetzt ihre Truppen an der Grenze zum Nordirak. Warum?
Der Türkei geht es nicht nur um die PKK. Sie möchte nicht, dass es in der Provinz Kirkuk und anderen irakischen Städten, aus denen Menschen von Saddams Regime zwangsumgesiedelt wurden, zu einem Referendum über ihre Rückkehr kommt. Sie fürchtet, dass sich diese Gebiete mit ihrem Erdöl und Erdgas eines Tages an Irakisch-Kurdistan anschließen könnten und dieser zu stark werden könnte. Die Türkei hat kein Interesse an einem stabilen Nordirak, der für die Kurden in der Türkei zum Vorbild werden könnte.
Aber wird Erdogan dafür einen Einmarsch riskieren?
Er will das eigentlich nicht. Aber der Generalstab und die Nationalisten machen ihm Druck. Erdogan sucht im Dialog mit dem Irak und den USA nach einem Ausweg. Denn er weiß ganz genau: Einmarschieren können sie. Aber so schnell kommen sie dann nicht mehr raus. Außerdem würde sich die Türkei mit einem Einmarsch international isolieren, die wirtschaftlichen Folgen wären unabsehbar: Die PKK droht ja jetzt schon, Öl-Pipelines in die Luft zu sprengen. Das könnte den Konflikt in der Türkei selbst wieder anheizen.
Wie kann eine weitere Eskalation verhindert werden?
Der irakischen Seite muss es gelingen, die PKK zum Einlenken zu bewegen. Die PKK muss sich wieder in die Türkei zurückziehen und den bewaffneten Kampf aufgeben - weil das für die Kurden nichts mehr bringt.
Ist das realistisch?
Dafür muss die türkische Seite signalisieren, dass sie zu einer Generalamnestie bereit ist - auch für hohe PKK-Kader. Außerdem sollten in dem Entwurf der neuen zivilen Verfassung der Türkei, die gerade ausgearbeitet wird, die kollektiven Rechte der Kurden und anderer Minderheiten anerkannt werden: das ist die einzige Lösung. Ansonsten wird die Türkei nicht zur Ruhe kommen - ob mit oder ohne PKK.
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