Interview mit Klimaaktivistin : Was ist Ihre Heimat, Frau Neubauer?
Beheimatet zu sein, ist wichtig, sagt Luisa Neubauer im Interview. Die Klimaaktivistin plädiert für eine Weltzugewandtheit und einen Aktivismus als Zugehörigkeit zu dem, was sein könnte.
taz FUTURZWEI | Frau Neubauer, ist der Planet Ihre Heimat?
Luisa Neubauer: Der Planet ist eine von meinen Heimaten, ja.
taz FUTURZWEI: Welche anderen haben Sie?
Luisa Neubauer: Ich würde sagen, meine erste Heimat liegt in mir selbst. In meinem eigenen Sein und in meinem eigenen Bei-mir-Sein und Zu-mir-Zurückkommen.
taz FUTURZWEI: Das ist ja toll, wenn man das sagen kann.
Luisa Neubauer: Voll. Es ist auch harte Arbeit, würde ich sagen. Eine weitere Heimat ist dann mein, der, unser Planet, die Welt. Und dann bin ich beheimatet in meiner Familie und in dem, was ich mache. Wir sind ja Beings und nicht Doings …
taz FUTURZWEI: ... im Moment Existierende, weniger zielorientiert Handelnde ...
Luisa Neubauer: … aber ich mache ja dann doch sehr viel. Und das heißt, eine Heimat sehe ich schon auch dort, wo ich tätig bin.
taz FUTURZWEI: Der Heimatbegriff ist stark von rechts besetzt gewesen und durch die deutsche Geschichte kontaminiert. Sie haben sofort sehr positiv darauf Bezug genommen. Warum?
Luisa Neubauer: Ich halte das für ein Privileg und eine Verantwortung des 21. Jahrhunderts, auch Begriffe neu zu besetzen, die im letzten Jahrhundert verloren gegangen sind.
taz FUTURZWEI: Der Heimatbegriff ist wichtig für Sie?
Luisa Neubauer: Das Heimatgefühl ist wichtig. Ob man das „Heimat“ nennt oder „Zuhause“ oder „Angekommensein“ oder „Being at Home“ – da bin ich keine Wortklauberin. Definitiv wichtig ist die Auseinandersetzung mit dem Gefühl des Beheimatetseins, was ja auch nur eine Überschrift ist für Geborgenheit, für Zugehörigkeit, für Verbundenheit. Ich würde viel eher noch sagen: Es ist höchste Zeit, sich dem mit mehr Ernsthaftigkeit und Nachdruck zu widmen, denn zumindest ich könnte mich nicht nachhaltig mit dieser sogenannten Welt beschäftigen, wenn ich nicht immer wieder zurückkehren könnte an einen Ort oder zu einem Gefühl, wo ich mich anders beheimatet fühle.
taz FUTURZWEI: Kann es sein, dass wir in einer Gegenwart leben, in der das Gefühl der Beheimatung nicht besonders verbreitet ist?
Luisa Neubauer: Das ist aus verschiedenen Gründen so. Wenn wir jetzt über westlich privilegierte Gesellschaften reden, dann aus kosmopolitischen Globalisierungstendenzen heraus. Für viele andere Menschen ist der Heimatbegriff umkämpft, etwa weil ihre Heimaten zerstört wurden, weil sie eben nicht aufwachsen mit einem singulären geografischen oder emotionalen Bezugspunkt, der Sicherheit und Zugehörigkeit und Geborgenheit verspricht. Und jetzt mit dem Blick auf Generationen wie meine: Wir sind unter einem sehr kosmopolitischen, -globalisierten Imperativ aufgewachsen, der einem auch oft den Eindruck vermittelt: Wer sich irgendwo zu Hause fühlt, ist nicht ganz in der Welt. Wenn das „In-der-Welt-sein“, ein „da-draußen“ sein muss, ein „da-weg“, ein „da-unterwegs“, dann wird „Erdung“ als Konzept automatisch negativ besetzt.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°35: Wohnzimmer der Gesellschaft
Demokratie braucht Orte des Gemeinsamen, Wohnzimmer der Gesellschaft. Die damit verbundenen positiven Gefühle konstituieren Heimat. Mit jeder geschlossenen Kneipe, leerstehenden Schule, verödenden Ortsmitte geht das Gefühl des Gemeinsamen, geht Heimat verloren. Das ist ein zentraler Zusammenhang mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus.
Mit: Aladin El-Mafaalani, Melika Foroutan, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Stephan Grünewald, Wolf Lotter, Luisa Neubauer, Jana Sophia Nolle, Paulina Unfried, Nora Zabel und Harald Welzer.
taz FUTURZWEI: In einer Hyperkonsumgesellschaft wie unserer wird ein ständiges Gefühl hervorgerufen, dass alles durch den nächsten Kaufakt verbessert werden muss. So eine Kultur funktioniert ja eben dann nicht, wenn die Leute beheimatet sind und sagen: „Ich bin glücklich.“
Luisa Neubauer: Da muss man jetzt noch drei Schritte weitergehen, weil das, was wir konventionell mit Heimat oder Zuhause oder Angekommensein beschreiben, für viele bis heute als ein geografischer Ort verstanden wird, wo man sich wohl und sicher fühlt. Es geht aber um die Frage – und deswegen sprach ich von der Heimat in mir: Was brauche ich, um mich bei mir genug und ausreichend und sicher zu fühlen? Was brauche ich ganz persönlich, um auch einen Schmerz, ein Unwohlsein, eine Trauer nicht ununterbrochen wegkonsumieren zu müssen? Das ist eine neue Debatte für mich, weil sie weit über das hinausreicht, was wir bisher zumindest in Deutschland unter der Überschrift Heimat fassen.
taz FUTURZWEI: Was debattieren wir nicht?
Luisa Neubauer: Ich halte es für naiv, einen Frieden in der Welt zu suchen, wenn wir Frieden in uns selbst nicht finden können und es auch gar nicht erst versuchen. Wir scheitern daran, die Klimakrise da draußen zu lösen, wenn wir die Krisen in uns oder den Schmerz oder die Verzweiflung in uns nicht zumindest zulassen können, sondern ewig überdecken und weg-scrollen, wegkonsumieren, „weghustlen“ müssen.
taz FUTURZWEI: Sie haben den Begriff „angekommen“ positiv benutzt. Angekommen sein in dieser Gesellschaft galt bei unsereins als negativ, im Sinne von korrumpiert, konservativ und saturiert. Unser Heft stellt die Frage, ob man angekommen sein muss, um mit und in der Gesellschaft irgendwas hinzukriegen oder ob man sich dagegen verwahrt. Das ist ja wohl auch das Spannungsverhältnis einer Aktivistin?
Luisa Neubauer: Ich lese aus Ihrer Frage ein Missverständnis darüber heraus, was ich mit angekommen meine. Angekommen heißt nicht, Ungerechtigkeiten, Missstände oder Unzulänglichkeiten zu ignorieren oder zu romantisieren.
taz FUTURZWEI: Sondern?
Luisa Neubauer: Angekommen sein heißt für mich, so präsent und bei mir zu sein, dass ich mich meiner Sache wirklich stellen kann und nicht ununterbrochen in mir selbst eine Kompensationsleistung erfüllen muss. Wenn ich mich aktivistisch oder politisch oder ehrenamtlich mit einem Missstand beschäftigen möchte, dann brauche ich dafür möglichst viel Energie. Diese Energie habe ich aber nicht, wenn ein Teil von mir immer damit beschäftigt ist, mich selbst zu vergewissern, dass ich hier bin, dass ich gut bin, dass ich okay bin, dass ich genug bin, dass ich hier überhaupt sein darf.
taz FUTURZWEI: Es geht darum, im Jetzt angekommen zu sein?
Luisa Neubauer: Ja. Ankommen ist für mich jenseits von der geografischen Frage auch eine zeitliche Frage. Habe ich die Möglichkeit, in diesem Augenblick anzukommen, in dieser Situation, in dieser politischen Ausgangslage oder bin ich die ganze Zeit mit der Verarbeitung von vorgestern beschäftigt? Was mich dann teilweise davon abhält, mich den Fragen zu stellen, die in diesem Augenblick auf dem Tisch liegen. Grüße an die Bundesrepublik.
taz FUTURZWEI: Erfolgreicher Anschub von Veränderungen braucht einen bestimmten inneren Aggregatzustand?
Luisa Neubauer: Nee, glaube ich nicht. Auch Menschen, die mit sich selbst überhaupt nicht im Reinen sind, okkupiert sind mit tausend anderen Sachen und vielleicht auch gerade nicht das Privileg oder die Möglichkeiten haben, zu sich zu kommen, können ja fantastische Sachen machen und große Dinge bewegen. Meine Beobachtung ist allerdings, dass das oft nicht so nachhaltig ist und von Dauer sein kann, wenn nicht mit beiden Beinen auf dem Boden gestanden wird. Das ist zum Beispiel, was wir unter einem aktivistischen Burnout verstehen.
taz FUTURZWEI: Eine hohe Motivation, ein riesiges Potenzial kann gleichzeitig eine höhere Enttäuschungsbereitschaft bedeuten, wenn irgendetwas nicht funktioniert und dann steigt man wieder aus. Während eine gewisse Beheimatung und Sicherheit einen nicht gleich aus der Kurve trägt, wenn irgendwas nicht funktioniert.
Luisa Neubauer: Kann sein. Muss aber nicht sein. Andersherum könnte man auch argumentieren, dass viele Leute, die wahnsinnig risikobereit sind im Aktivistischen, das auch aus einer strategischen Überzeugung machen. Und Teil von jeder guten Strategie ist ja, dass man das Scheitern eben dieser Strategie einkalkuliert. Das darf man nicht aus einer politischen Überzeugung heraus persönlich nehmen und denken, Gott, jetzt bin ich als Aktivist gescheitert. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir auch verlieren können. So ist es.
taz FUTURZWEI: Lassen Sie uns über die fehlenden Wohnzimmer der Gesellschaft reden.
Luisa Neubauer: Dem Bild von Leuten, die sich nicht mehr begegnen, würde ich widersprechen und sagen: Ist doch klar, in der Zeit der Singularisierung und der Fragmentierung und der Filterbubbles sitzen wir nicht immer gemütlich zusammen und gucken zwei Abende die Woche verlässlich erstes Fernsehen oder Thomas Gottschalk. Gleichzeitig sind ja Leute in Deutschland mehrheitlich organisiert und engagiert und in sehr, sehr vielen Räumen und Vereinen unterwegs.
taz FUTURZWEI: Sie selbst sind viel in digitalen Räumen unterwegs?
Luisa Neubauer: Ich bin kein bedingungsloses Fangirl der Digitalisierung, aber man kann auch anerkennen, welche fantastischen Möglichkeiten uns der digitale Raum bereithält. Ich meditiere manchmal morgens um 7 Uhr in einer Online-Runde, da sitzen dann 300 Leute aus der ganzen Republik und atmen zusammen. Jedes Mal geht mein Herz auf, weil ich denke: Das ist so schön, dass es so etwas gibt und dass das irgendwer organisiert und dann Leute dahin kommen. Ich fühle mich ja auch als Botschafterin für das Ehrenamt in Deutschland und bewundere, was da alles abgeht in den kleinsten Orten.
taz FUTURZWEI: Was wollen Sie sagen?
Luisa Neubauer: Es ist gut, dass es trotz der Widrigkeiten so viele Räume gibt, bei allem Abgesang auf eine zerissene Gesellschaft.
taz FUTURZWEI: Lassen Sie uns zurückkommen auf den Punkt, dass wir in der liberal-emanzipatorischen Spätmoderne zum Weltbürgertum strebten. Das funktioniert aber nicht als mehrheitsfähiges Gefühl und auch nicht realpolitisch, für die Welt oder den Planeten zuständig zu sein. Man ist gefühlsmäßig eben nicht auf dem Planeten zu Hause?
Luisa Neubauer: Ich würde ein anderes Bild wählen: Wir saßen in diesen Wohnzimmern in der Bundesrepublik und der Eindruck war, wir sind hier drin, hinter einer Glasscheibe, und da draußen ist die Welt. Wir gucken durch die Fenster raus in die Welt, aber nur wenn wir Bock haben. Wenn es richtig nervig ist, die Welt brennt und die Eisbären von den schmelzenden Eisplatten fallen, dann machen wir den Vorhang zu. Ohne jetzt hier pathetische Sinnbilder bedienen zu wollen, würde ich argumentieren, dass diese Fensterscheibe offensichtlich keine Fensterscheibe ist, sondern ein Spiegel.
taz FUTURZWEI: Meint?
Luisa Neubauer: Genauso wie wir in jedem Atemzug die Welt ein- und ausatmen und mit jeder Mahlzeit die Welt in uns aufnehmen und in jedem Schritt diese Welt begehen, genauso spiegelt das, was wir mit der Welt anstellen – der Welt direkt vor unseren Augen und der Welt irgendwo anders – die Art und Weise, wie wir mit uns selbst und miteinander umgehen. Diese Fensterscheiben-Erzählung hat dazu geführt, dass wir uns gar nicht nur von der sogenannten Welt distanziert haben, sondern zunehmend auch von uns selbst. Wer sind wir eigentlich in dieser Welt?
taz FUTURZWEI: Sagen Sie es uns.
Luisa Neubauer: Wenn die Welt immer etwas ist, was da draußen in der Ferne ist, dann ist sie niemals etwas, was hier ist. Zugehörigkeit zur Welt beginnt in meinen Augen damit, in diesem Augenblick zu sein, an diesem Ort zu sein, bei mir zu sein. Die Welt nicht als Strand auf den Malediven zu sehen, sondern als das, was jetzt und hier ist. Ich stehe genau hier und ich gucke in den Himmel genau über mir und ich höre diesem einen Vogel zu, der genau hier in diesem Augenblick zwitschert und vielleicht bin ich die einzige Person, die diesem Vogel gerade zuhört. Dieser Augenblick ist die Welt, er ist das Einzige, was wir haben, weil wir nur die Gegenwart verändern können, nicht die Zukunft und nicht die Vergangenheit.
taz FUTURZWEI: Wow.
Luisa Neubauer: Ich glaube auch, dass wir eine große emotionale, moralische, politische Verbindung herstellen zu allem Möglichen, was da draußen noch in der Welt ist. Aber diese lange Erzählung, dass die Welt nur da draußen sei, sorgt ja dafür, dass wir eine Welt ohne Welt sind. Weil überall Leute sitzen und sagen, das hier ist nicht die Welt, die Welt ist nur da draußen. Wenn die Welt immer „da“ und nie „hier“ ist, dann verlieren wir uns, dann fliegen wir weg. Und dann sind wir, was Alexandra- Schauer aufgeschrieben hat: Mensch ohne Welt. Ein tolles Buch, by the way.
taz FUTURZWEI: Ist Bei-mir-Sein nicht in einem strengen Sinne Bei-uns-Sein?
Luisa Neubauer: Kann ich bei uns sein, wenn ich nicht bei mir bin?
taz FUTURZWEI: Kann ich bei mir sein, wenn ich nicht bei uns bin?
Luisa Neubauer: Ja, das wird ja im Buddhistischen als Interbeing benannt. Also, was bin ich? Eine Aufeinanderstapelung, eine An-einanderreihung an Elementen, die nicht ich sind. Blut und Luft und Wasser und Moleküle und alle anderen Sachen. Genau wie jede Blume nur aus Sachen besteht, die nicht „Blume“ sind. In dem Sinne würde ich sagen, das ist eine sehr, sehr korrekte Beobachtung, dass ich nicht bei mir sein kann, wenn ich nicht bei uns bin. Aber rein sozial gesprochen, kann ich in diesem Gespräch nicht bei Ihren Fragen sein oder nachvollziehen, woher Sie kommen, wenn ich nicht bei mir sein kann, also, wenn ich nicht weiß, wo ich eigentlich bin. Ich würde daher zwischen einer molekular-existenzphilosophischen Beobachtung unterscheiden und zwischen einer sozial-gesellschaftlichen Formation. Diese ganzen Fragen, die wir besprechen, sind gesellschaftsrelevant und weltrelevant ... aber sie stehen und fallen alle mit der ganz individuellen Bereitschaft, sich ihnen zu stellen.
taz FUTURZWEI: Als ich noch ein Weltbürger zu sein glaubte, war ich heimatlos. Das schien mir Grundbedingung zu sein. Seit ich in meiner Herkunft Baden-Württemberg, an meinem Wohnort Berlin-Kreuzberg, in der liberalen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland meine Heimat gefunden habe, bin ich geerdet. Aber man geht ja auf die Straße, weil man die Zustände scheiße findet und nicht, weil man sich wohlfühlt?
Luisa Neubauer: Da sind jetzt einige Prämissen drin, die man hinterfragen könnte.
taz FUTURZWEI: Bitte.
Luisa Neubauer: Zum Beispiel würde für mich eine Verortung in der Welt auch heißen: Ich erkenne an und weiß vielleicht sogar zu lieben, woher ich komme, ohne dass das meine gesamte Identität ausmachen muss. Ich bin so sehr bei mir, dass ich mich nicht zwangsläufig identifizieren muss durch den Ort, wo ich geboren bin oder den Ort, wo ich wohne, weil ich ja bei mir angekommen bin. Und zu Punkt 2: Es ist eine Motivation der Aktivistin, zu sagen, das reicht nicht. Aber man kann ja nicht wütend über einen Missstand sein, ohne Imperativ, wie es besser sein sollte.
taz FUTURZWEI: Kann man nicht?
Luisa Neubauer: Es geht im Aktivismus bereits um eine Zusage an potenzielle neue Zugehörigkeiten und Heimaten. Aktivismus ist immer Auseinandersetzung mit dem Zwischenraum zwischen dem Ist und dem, was sein könnte. Und die dritte Anmerkung wäre, dass die Auseinandersetzung mit Zugehörigkeit, Ankommen, Weltverbundenheit, planetarer Existenz nicht nur in öffentlichen, sondern auch in aktivistischen Diskursen bisher zu sehr noch Randthema ist. Man könnte argumentieren, dass alleine der Modus, in dem man auf die Straße geht für eine Welt, auch als eine Art Liebeserklärung für diese Welt gelesen werden kann.
taz FUTURZWEI: Okay. Der klassisch-linke und jetzt auch der rechtspopulistische Aktivismus ist indes geprägt von einem Misstrauen gegen alles. Fridays for Future waren ein Paradigmenwechsel, weil sie Vertrauen in die Institutionen ausgestrahlt haben.
Luisa Neubauer: Dazu kommt, dass ein Aktivismus oder Einsatz von Rechtsaußen, Rechtspopulisten, Rechtsradikalen, sich tendenziell nicht sehnt nach einer neuen Zukunft, sondern nach einer ausgedachten Vergangenheit. Diese Option bleibt offensichtlich den Klimaaktivist*innen nicht. Wer sich mit molekularen Vergänglichkeiten beschäftigt, der ist jetzt zwangsläufig in der Situation, nach vorne zu denken.
taz FUTURZWEI: Trotzdem ist eine Grundfrage, ob man es groß angehen will – planetarisch – oder im Kleinen etwas bewegen und voran-bringen möchte?
Luisa Neubauer: Nochmal: Ich würde der Idee widersprechen, dass es diesen Ort vor mir gibt und eine Welt da draußen, ich würde dem geografisch, wissenschaftlich, aber auch ökologisch, existenzphilosophisch widersprechen. Wir atmen die Welt und wir sind die Welt. Die Welt ist nichts anderes als die Aneinanderreihung von kleinen Orten. Aus dem Mißverständnis heraus kommt es auch zu einem völlig skurrilen Framing, in dem man sagt: Oh, wir haben in Hamburg den Volksentscheid gewonnen, aber Hamburg kann doch nicht die Welt retten. Natürlich kann Hamburg nicht die Welt retten.
taz FUTURZWEI: Es geht auch nicht ums Weltretten.
Luisa Neubauer: Nein. Wir müssen nicht die Welt retten, sondern die Beziehung zur Welt. Aber was wir machen können, ist, einen Ort nach dem anderen verändern und dann probieren, das Ganze zu koordinieren. Dafür gibt es dann etwa UN-Klimakonferenzen, wie dieses Jahr in Brasilien.
taz FUTURZWEI: Wie gewinnt man aus dem, was Sie beschreiben, ein politisches Momentum? Der klassische Protest steckt fest, die FFF-Variante auch, die Gesamtentwicklung läuft politisch und gesellschaftlich in die falsche Richtung. Trotzdem habe ich das Gefühl, man hat etwas Bestimmtes zu lange nicht gesehen, aus dem man viel mehr machen könnte.
Luisa Neubauer: Das unterstreiche ich zu 100 Prozent. Ich glaube, das ist jetzt eine handwerkliche Frage. Statt auf den Moment zu warten, in dem sich irgendetwas Großes ergibt, ist es strategisch sinnvoll – und vor allem auch in der Sache geboten –, loszulegen, auch wenn es sich teilweise mühsam anfühlt, gerade dann. Wir können ein Momentum nicht bestellen, wir können nur durch unsere Worte und Taten dafür sorgen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Art Momentum wächst. Das heißt: Öffentlichkeit, Worte, Sprache zu finden, Einladungen auszusprechen, Türen zu öffnen, Wohnzimmer zu öffnen. Wenn wir auf diese Heimatfrage oder die Zugehörigkeitsfrage schauen, geht es auch darum, so eine Art Verklemmtheit zu ignorieren, die bei vielen vorherrscht.
taz FUTURZWEI: Was für eine Verklemmtheit?
Luisa Neubauer: Naja, all das steht ja unter einem gewissen verdacht esoterisch oder ultra-religös durchtränkt zu sein, wird daher oft beiseite geschoben oder nur flüsternd besprochen. Es geht jetzt darum, zu sagen, wir ignorieren diese Gewohnheit des Wegnuschelns, des an die Seite schiebens, gemeinsam und individuell. Der nächste Punkt ist dann, nicht nur Wohnzimmer zu öffnen, sondern dieses Mainstreaming auch auf größeren Bühnen voranzutreiben, wo Leute darüber sprechen. Ich bin in so vielen Gesprächen mit Leuten, die ich überhaupt ganz anders eingeschätzt hatte und die zu mir kommen und sagen: Luisa, wir müssen mehr über die Erdung in der Krise sprechen, und wir müssen mehr übers Ankommen im Augenblick sprechen. Und ich denke: Cool. Da können wir ganz schnell etwas bewegen.
taz FUTURZWEI: Zum Ermöglichen unkonventioneller Bündnisse gehört das Finden gemeinsamer Nenner. Bisher hat man eher nach Teilungsfaktoren gesucht.
Luisa Neubauer: Was ist das riesige Potenzial, was ist der eine Faktor, auf den wir bauen müssten? Dieser Faktor ist das Menschsein. Das ist ja nun mal die Sache, die wir alle teilen. Menschsein in einer Existenzkrise. Mensch bleiben und Menschlichkeit nach vorne stellen. Eigentlich eine skurrile Erfahrung, dass genau dieser Faktor so sehr ausgeblendet und weggenuschelt wurde.
taz FUTURZWEI: Leute haben ein bestimmtes Bild von Ihnen oder von anderen. Wenn Sie plötzlich mit anderen Gedanken oder Begrifflichkeiten kommen, dann sitzen die da und denken: Was ist das?
Luisa Neubauer: Deswegen spreche ich gerne in Kirchen, jetzt zum Reformationstag durfte ich etwa eine Kanzelrede in Bonn halten. Mittlerweile benenne ich das auch in Interviews. Ich werde ja in einem durchschnittlichen Interview gefragt: Warum spricht niemand über das Klima? Lustig übrigens, diese Frage wird ja immer gestellt, während wir zusammensitzen. um über das Klima zu sprechen. Dann geht’s weiter: Wie finde ich Friedrich Merz, Katharina Reiche, Robert Habeck? Was sage ich zur Atomkraft, zur AfD, zu Rechtsaußen? Und wie geht es mir eigentlich mit dem ganzen Hass? In keinem dieser Augenblicke werde ich ja gefragt: Was begeistert Dich? Was ist die neueste Erfolgsgeschichte? Und wie geht es eigentlich deinem Herz? Und das übertitelt man immer mit dem Foto, auf dem ich extrem wütend richtung Kamera schnaube.
taz FUTURZWEI: Wir Medien stabilisieren den Nicht-Denk-Status quo?
Luisa Neubauer: Und damit hat man genau das Bild, das in die alte Geschichte passt. Dieser „Ich-bin-gegen-alles“-Genervtheits-„Ihr-seid-blöd“-Aktivismus. In dem weder ich als Mensch noch die Menschlichkeit irgendeine Art von Raum hat. Und dann wundert man sich, dass Menschen in Schubladen denken.
taz FUTURZWEI: Wie wichtig ist Vertrauen für Sie, Frau Neubauer?
Luisa Neubauer: Also, in der Klimaökologie sagen wir ja: Change travels in the speed of trust.
taz FUTURZWEI: Je mehr Vertrauen, desto schneller der Wandel.
Luisa Neubauer: Vertrauen heißt ja nicht, blind Vertrauen, dass alles gut wird oder Vertrauen, dass alles gemacht wird und ich muss nichts mehr tun. Grundlage von meinem Aktivismus ist, Vertrauen darin, dass Wandel möglich ist innerhalb von Parteien, innerhalb von Regierungen, auch innerhalb von Demokratien. Dass Vertrauen in die Demokratie an sich ein wandelnder und ein sich entwickelnder Organismus ist, dass Resilienz und Strapazierfähigkeit da sind. Vertrauen meint nicht Blindvertrauen, Naivität, Gutgläubigkeit, darum geht es nicht. Es geht um Vertrauen in die Schaffenskraft von Menschen, in die Stärke von Gemeinschaften, Vertrauen in das, was passiert, wenn man Menschen zusammen tut an einem Ort.
taz FUTURZWEI: Der Soziologe Aladin El-Mafaalani spricht in diesem Heft über die rechtspopulistische Strategie des Aufbaus von Misstrauensgemeinschaften. Vertrauen in die liberale Demokratie, die Institutionen, die Wissenschaft wird systematisch erodiert.
Luisa Neubauer: Ich finde es in der Sache richtig, aber beinahe wohlwollend, einen rechtsradikalen oder rechtsextremen Protest mit dem Begriff Misstrauen zu überschatten. Zumindest im Amerikanischen handelt es sich vor allem um eine weiße Überlegenheitskultur und tief nationalistisches Gedankengut, bei dem gerade aus dem Vertrauen der eigenen sogenannten Rasse oder Identität gegenüber agiert wird.
taz FUTURZWEI: Das Ziel ist es, die Gemeinschaft der Misstrauenden immer größer zu machen, was ja in Ostdeutschland prima gelingt. Dagegen braucht es jetzt Bürger, die dem Staat und den Institutionen vertrauen.
Luisa Neubauer: Aber die klassisch linke Antwort, die progressive Antwort darf nicht sein: Ja gut, die misstrauen, dann machen die das Gegenteil und wir machen blindes Vertrauen.
taz FUTURZWEI: Sondern?
Luisa Neubauer: Sondern zu sagen: Okay, wir beschäftigen uns ernsthaft und aufrichtig mit der Frage, was ist eigentlich Vertrauen und wie sieht das in der Praxis aus und wie wird Vertrauen etwas, was eben nicht eine blinde, progressive Überschrift ist, die dem Misstrauen entgegengestellt wird, sondern wie kann Vertrauen etwas Substantielles sein?
🐾 Lesen Sie weiter: Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe N°35 unseres Magazins taz FUTURZWEI mit dem Titelthema „Das Wohnzimmer der Gesellschaft“ – jetzt im taz Shop.