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Interview mit Katja Kipping„Die Küken zählt man erst im Herbst“

Radikale Positionen einfach wegzudekretieren wäre falsch, sagt Katja Kipping. Ein Gespräch über parteiinterne Kontroversen, Europa und Reformen.

Die Bundesvorsitzende der Linken, Katja Kipping, beim Europaparteitag Bild: dpa
Interview von Stefan Reinicke

taz: Frau Kipping, war es ein Fehler, dass Sie als Parteichefin nicht verhindert haben, dass „neoliberal, undemokratisch, militaristisch“ als Kennzeichen der EU je im Leitartikel auftauchen konnte?

Katja Kipping: Ich fand diese Formulierung falsch. Aber es wäre auch ein Fehler gewesen, das mit Basta-Politik zu unterdrücken. Jetzt haben wir die Debatte geführt und den Passus danach gestrichen. Das ist nachhaltiger als eine autoritäre Ansage von oben.

Aber im Parteivorstand war das zuerst eine Niederlage für Sie …

Führungserfolg heißt nicht, dass man sich immer und sofort durchsetzt. Im Russischen gibt es das Sprichwort: Die Küken zählt man erst im Herbst. Mein Ziel war, dass wir auf dem Parteitag eine breite Zustimmung für unseren Europakurs bekommen. Die haben wir: rund 95 Prozent für den Leitantrag.

Kann man die Linkspartei nur kooperativ führen?

Och, das geht auch anders. Aber Bernd Riexinger und ich wollen diesen diskursiven Politikstil. Also Offenheit und Einladung. Und eine lernende Partei. Wir halten es da mit Antonio Gramsci: Führung statt Herrschaft.

Europaparteitag der Linken

Die Linke geht mit der ehemaligen PDS-Vorsitzenden Gabi Zimmer als Spitzenkandidatin und fundamentaler Kritik an der EU in die Europawahl. Auf einem Parteitag in Hamburg verabschiedete die größte Oppositionspartei am Wochenende ein Programm, in dem sie einen „Neustart“ der Europäischen Union verlangt. Gestrichen wurde aber eine Passage, in der die EU als „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ dargestellt wurde. Ziel der Linken für die Wahl am 25. Mai ist ein zweistelliges Ergebnis. 2009 waren es 7,5 Prozent.

Zimmer wurde am Samstagabend von 76,5 Prozent der rund 500 Delegierten an die Spitze der Liste gewählt. Gegenkandidaten hatte sie nicht. Die 58-jährige Thüringerin aus dem Reformerlager der Linkspartei war zwischen 2000 und 2003 Vorsitzende der ostdeutschen Vorgängerpartei PDS, die 2007 mit der westdeutschen WASG fusionierte. Im Europaparlament ist sie heute Fraktionsvorsitzende. Auf Platz zwei der Liste wurde der bayerische EU-Parlamentarier und WASG-Mitbegründer Thomas Händel gewählt. (dpa)

Im Interview: Katja Kipping

36, ist seit 2012 zusammen mit Bernd Riexinger Bundesvorsitzende der Partei Die Linke und Mitglied des Deutschen Bundestages.

Hat der Linkspartei diese Debatte genutzt?

Inwiefern?

Weil ein Teil ihrer Wähler der EU sehr skeptisch gegenübersteht, ein anderer positiv. So hat die Partei an beide Signale gesendet.

Nein, glaube ich nicht. Das birgt ja die Gefahr, beide Wählergruppen zu verschrecken. Außerdem gibt es die so nicht. Wir haben kaum Wähler, die sagen: Weg von der EU, zurück zu Deutschland! Es gibt eher den Unmut, dass Lobbyisten in der EU zu viel zu sagen haben.

Also hat die Linkspartei keine Anti-EU-Wähler?

So verstehen die sich jedenfalls nicht. Es gibt aber viele, die den Satz unterschreiben würden: Die EU will bestimmen, wie krumm Gurken sein dürfen, aber Banken keine krumme Geschäfte verbieten. Allerdings schlummert in der EU auch ein ungeheures Potenzial. Um dieses Potenzial zu wecken, braucht es einen Sozialpakt. Außerdem könnte man etwa die maximal zulässige Wochenarbeitszeit europaweit begrenzen. Wir müssen viel stärker den Fokus darauf richten, was wir in Europa erreichen können. Stichwort: Bankenregulierung und europaweites Verbot von Waffenexporten. Das ist doch ein lohnendes Ziel.

Sahra Wagenknecht nennt die EU Fassadendemokratie. Wenn das so ist, lohnt Reformeifer gar nicht …

Es stimmt ja leider, dass in der EU zentrale Entscheidung nicht demokratisch getroffen werden. Die Regeln des Fiskalpaktes sind im EU-Rat entschieden worden. Da hat sich, wie Jürgen Habermas zu Recht kritisiert hat, Deutschland wegen seiner Wirtschaftsmacht durchgesetzt – und nicht der Souverän Europas – also die europäische Bevölkerung. Deshalb brauchen wir mehr Demokratie in der EU. Und mehr Einfluss für das EU-Parlament.

Und wie sieht es mit der Liste aus? Ist die ausgewogen?

Ja, es gibt in keinem Lager die ganz große Enttäuschung. Der Parteitag hat gut gewählt. Die Partei ist erwachsener geworden.

Inwiefern?

Sie kann Kontoversen aushalten, etwa bei dem Kampf um die Listenplätze. Und: Es gibt ein Zentrum, das für Ausgewogenheit sorgt. Die jeweils Unterlegenen gehen vernünftig mit ihrer Niederlage um, und die, die gewonnen haben, triumphieren nicht.

Wenn man Wulf Gallerts Pro-EU-Rede hört und dann Sahra Wagenknecht, fragt man sich schon, ob die in einer Partei sind …

Ja, sind sie. In einer linkspluralistischen.

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16 Kommentare

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  • P
    PeterWolf

    Nicht weil die EU das sagt, sondern weil durch den Wegfall der Abschottungen das "Erzfeindbild" verloren ging und durch den gemeinsamen Binnenmarkt Kriege innerhalb der EU auch ökonomisch vollends sinnlos wurden.

    Und die gemeinsame Währung finde ich übrigens nicht nur geschäftlich klasse, sondern auch privat.

    Wenn ich in Amsterdam, Wien oder Straßburg einkaufe, brauche ich kein Geld wechseln. Jeder Fahrkartenautomat nimmt mein Kleingeld. Schon in Basel hingegen kann ich nur mit Euro-Scheinen bezahlen und bekomme SFR als Rückgeld. Im Rest der Schweiz geht oft nicht mal das und wenn, ist der Wechselkurs Wucher.

    Vielleicht empfinde ich Holland, Frankreich, Österreich etc. ja auch gerade deshalb nicht mehr als Ausland.

    Umgekehrt habe ich auch Probleme, einen Holländer etc. in Deutschland als Ausländer zu betrachten, jedenfalls nicht mehr, als einen Sachsen oder Bayern.

    In der Generation meiner Großeltern war dass noch ganz anders. Und das war definitiv nicht besser als heute!

    • BG
      Bodo Goldmann
      @PeterWolf:

      Ist das wirklich so, das durch den Wegfall der Abschottungen das "Erzfeindbild" verloren ging? War es denn bis dahin noch da? Und wenn ja, dann verschwand es mit dem Wegfall der Abschottungen?

      Gibt es dazu Untersuchungen?

      Und wurden mit dem gemeinsamen Binnenmarkt Kriege innerhalb der EU auch ökonomisch vollends sinnlos? Wieso? Warum sinnlos? Warum können wir die anderen EU-Länder jetzt nicht mehr militärisch erobern? Weil es einen Binnemarkt gibt?

      Diese Logik verstehe ich nicht.

      Ich habe nichts gegen die EU, aber man sollte sie nicht besser machen als sie ist.

      • P
        PeterWolf
        @Bodo Goldmann:

        Gegenfrage: wo haben Sie damals, bzw. heute gelebt?

  • A
    Arne

    Naja, eine Deutschlandliebhaberin auf Platz 1, der Rest unbekannt bis farblos. Kaum jemand dabei, der die Aussage "neoliberal, undemokratisch, militaristisch" offenbar wirklich unterstützt.

     

    Das muss ich mir noch genau überlegen, ob ich bei der Europawahl LINKE wähle. Wirkliche Perspektiven sehe ich nicht mehr bei der Partei.

  • GN
    Geht nicht.

    bei kobinet-nachrichten.org wurde sehr wohl bemängelt, dass Die Linke sich wohl von behinderten Menschen abwendet und auf deren Expertise freiwillig verzichtet.

    Welchen Stellenwert Behinderte bei der Linken offensichtlich haben, lässt sich nun nicht mehr leugnen; siehe: http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/28748/Keine-Chance-f%C3%BCr-behinderte-Kandidaten.htm

  • K
    Klaus

    „Die Küken zählt man erst im Herbst“ ist ein Schlager von Klaus und Klaus. Darin heißt es:

    “Siehst du da die süsse Biene, Mann, die find ich toll,

    Hammerbeine, Minirock, einfach wundervoll,

    Blonde Haare, braungebrannt, und ein scharfer Po,

    ich knall gleich ab, jetzt geht es los - ready, steady, go!“

    Und weiter nach dem Refrain:

    „Schau mir in die Augen Kleines, du machst mich so an,

    flüster mir ins Öhrchen, komm, und sei mein Flügelmann.

    Hej, mein Schatz, komm flieg mit mir, in den Himmel rein,

    summt es wie ein Blumenstrauss bei Supersonnenschein.“

     

    Keine Ahnung, ob das irgendwem irgendwas sagen sill. Weiß ich vom Artikel allerdings auch nicht.

    • PH
      Peter Haller
      @Klaus:

      Schönes, blödes Liedchen, aber was willst uns damit sagen ?

      Da könnte man glatt drauf antworten: "Hinten hat der Fux die Eier !" Und das ist sicher nicht von Klaus und Klaus, mein lieber Klaus.

  • DK
    Die Katja

    Kipping sagt:

    "... es gibt in keinem Lager die ganz große Enttäuschung ..."

    Es wird dagegen gehalten:

    "... Im Vorfeld hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstbestimmte Behindertenpolitik der Linken noch massiv dafür geworben, dass die LINKE im nächsten Europäischen Parlament auch von behinderten Menschen vertreten wird. Der langjährige Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert und Gotthilf Lorch aus Baden-Württemberg hatten sich hierfür zur Wahl gestellt. Am Ende blieb lediglich ein 16. Platz auf der Liste für Gotthilf Lorch übrig. Damit werden die LINKEN zukünftig nicht nur im Deutschen Bundestag ohne eine/n Vertreter/in der Behindertenbewegung, sondern auch im Europäischen Parlament ohne die hörbare Stimme engagierter behinderter Menschen auskommen müssen."

    siehe http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/28748/Keine-Chance-f%C3%BCr-behinderte-Kandidaten.htm

    Frau Kipping hat also demnach nicht einmal eine Aversion gegen Behinderte, sondern für Frau Kipping scheint es Behinderte gar nicht zu geben. Eine gefährliche Tendenz, die sich mir hier auftut.

    • K
      Kimme
      @Die Katja:

      Ja wie jetzt? Sind Menschen mit Behinderungen keine Menschen wie jeder andere auch? Muss denn immer und überall quotiert und reglementiert werden? Wollen sie den Menschen vorschreiben wie und wen sie zu wählen haben? Eine Quote ist, obwohl eine positive Diskriminierung, immernoch Diskriminierung. Wenn sich die entsprechenden Kandidaten nicht mit ihren Inhalten durchsetzen konnten, dann haben sie es auch nicht verdient. Hier hat die Links-Partei sich absolut demokratisch verhalten.

  • P
    PeterWolf

    Die EU ist ein wenig demokratisches Bürokratiemonster.

    Ist allerdings verbesserungsfähig.

    Wie Gregor Gysi allerdings zu Recht angemerkt hat, sorgt die EU seit vielen Jahrzehnten für Frieden zumindest in Europa.

    Ein Krieg z.B. Deutschland gegen Frankreich ist einfach nicht mehr machbar, weil die Bevölkerung das dafür notwendige Feindbild nicht mehr akzeptiert und die Wirtschaft sowieso dagegen wäre und sogar die Militärs Probleme damit hätten.

    Ich kenne noch die Zeiten, wo es an jeder deutschen Grenze Kontrollen gab, auf Aus- und Einreiseseite ( nein , ich meine jetzt nicht die DDR, sondern Holland, Frankreich, Belgien etc.).

    Ich finde es absolut klasse, dass meine Tochter (18) das alles nicht mehr aus eigener Erfahrung kennt.

    So wenig wie etwa wie Telefone mit Wählscheibe, Kassettenrekorder mit Bandsalat, verkratzte Schallplatten und MS-DOS.

    So was braucht man sowenig wie Klopapier mit 80' Körnung.

    Ich zeige ihr es aber gerne im Museum, damit sie weiß, wieviel besser es heute ist.

    • A
      Arne
      @PeterWolf:

      "Wie Gregor Gysi allerdings zu Recht angemerkt hat, sorgt die EU seit vielen Jahrzehnten für Frieden zumindest in Europa."

       

      Besonders im ehemaligen Jugoslawien hat die EU ganz hervorragend für Frieden gesorgt. Ohne das europäische Kapital, sprich EU, wäre Jugoslawien überhaupt nicht auseinandergefallen.

       

      Den europäischen Frieden dürfen jetzt verarmte Grieche, jugendliche Spanier und Portugiesen und alle Flüchtlinge an den europäischen Grenzen genießen. Und wenn nicht dort, dann genießen sie diesen "Frieden" spätestens, wenn Rechtsradikale sie in diesem friedlichen Europa überfallen. Ohne EU ginge es vielen Menschen besser.

      • P
        PeterWolf
        @Arne:

        "Ohne das europäische Kapital, sprich EU, wäre Jugoslawien überhaupt nicht auseinandergefallen."

         

        Doch, wäre es!

         

        Und Griechenland etc. war vor der EU-Mitgliedschaft reicher?

        Nicht mal die Reeder!

    • BG
      Bodo Goldmann
      @PeterWolf:

      Äh WolfPeter,

      ohne EU hätte es also wieder Kriege in Europa gegeben?

      Z.B. zwischen Deutschland

      und Frankreich?

      Wieso eigentlich?

      Weil das die EU sagt?

      Das ist ja wirklich

      überzeugend.

  • L
    Links

    Schröder wurde vom Kapital weichgekocht und hat den Eigentümern und Großaktionären als Dank die Agenda 2010 geschenkt. Versorgen musste ihn aber Putin.

    Gysi wird von der SPD weichgekocht und als Dank schwenkt er auf die Steinmeier(*gähn*)-Position ein. Doch wer wird ihn später versorgen?

     

    Schon die WikiLeaks-Enthüllungen zeigen, dass Gysi öfters Gast des US-Botschafters war und sich diesem anbiedert. Das hat er eigentlich nicht nötig und wird seiner Partei langfristig schaden.

    • W
      Wahrhaftige
      @Links:

      Schröder lies sich FREIWILLIG vom Kaptal weichkochen! So, wie von Ihnen geschrieben wurde, lässt das den Gerhard Schröder als Opfer dastehen, und für ein Opfer halte ich Gerhard Schröder nun gerade nicht.

  • D
    dr.gonzo

    der diskurs über renationalisierung oder europäisierung bezeichnet eine dichotomie, aus der es leider im jetzigen system keinen politischen ausweg zu geben scheint. letzteren, also quasi den "dritten weg", suchen allerdings momentan viele (linke) menschen. Sahra W. "hetze" gegen "bankster" und die zaghaften versuche der emanzipatorischen linken, die äußerst komplexen zusammenhänge des internationalen geldmarktes aufzuzeigen, bring da auch nix.^^

    KK´s ausspruch die "Partei ist erwachsener geworden" unterstreicht m.e. nach die tendenz der pdl zur arrivierten bundestagpartei zu "erwachsen": nonkonforme, radikale ansichten, die einen ausweg aus dem scheinbaren determinismus der kapitalistischen logik suchen, werden damit ausgeschaltet und in die resignation getrieben, bzw. als naive "jugendlichkeit" diskreditiert.

    schade.