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Interview mit Jens Dangschat„Eine Karikatur in der Marsch“

■ Soziologie-Professor plädiert für eine Reform der Wohnungsbelegung

taz: Der Bausenator fordert billige Sozialwohnungen jetzt auch für Reiche. Eine Garantie für eine größere soziale Stabilität in Allermöhe-West?

Jens Dangschat: Es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Die starren gesetzlichen Kriterien für die Wohnungsbelegung müssen dringend den gesellschaftlichen Realitäten anpaßt werden. Wir brauchen eine breite soziale Durchmischung. Wenn nur Wohnungen gebaut werden, in die dann räumlich konzentriert Sozialhilfeempfänger, Ausländer, Alleinerziehende und andere artikulations- und einkommensschwache Gruppen einziehen, sind die Folgeprobleme vorprogrammiert.

Genau das sucht die Stadt doch jetzt zu vermeiden.

Stimmt, aber sie tut es halbherzig. Die Besserverdienenden sollen nur zeitlich befristet in den Genuß einer günstigen Mietwohnung kommen. Nach drei Jahren, wenn sie wieder Fehlbelegungsabgabe zahlen müssen, werden sie wegziehen.

Sozialarbeiter vor Ort machen vor allem fehlende Jugendclubs für die steigende Gewaltbereitschaft verantwortlich.

Das Problem ist komplexer. Jugendliche geraten nicht bloß deshalb auf die schiefe Bahn, weil ein Bolzplatz fehlt. Das Dilemma ist, daß Integration heute nicht mehr über die Ausbildung erfolgt, weil der Arbeitsmarkt keine Vollbeschäftigung mehr hergibt. Da ist es kein Wunder, wenn sich Jugendgangs bilden und gegenseitig bekämpfen als Versuch, ihre Außenseiterposition zum Teil zu überwinden.

Das wollen Sie Siedlungsplanern zum Vorwurf machen?

Neu-Allermöhe ist eine Kunstsiedlung, die allenfalls unter ökologischen, nicht aber sozialen Gesichtspunkten gebaut wurde. Ein Satellit auf der grünen Wiese statt eines funktionsfähigen Stadtteils – das ist fatal. Da wird keine Urbanität erzeugt, bloß eine Karikatur in der Marsch...

...die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist?

Nein. Aber sie schafft Sachzwänge, die zur Folge haben, daß man die Menschen hier stärker als in gewachsenen städtischen Strukturen integrieren muß, und das geht über engagiertes, aktives Quartiersmanagement und keineswegs über gegenseitige Schuldzuweisungen.

Fragen: Heike Haarhoff

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