Interview mit Georgina Fakunmoju : „Egal, was wir tun, wir lesen“
Georgina Fakunmoju hostet seit einigen Jahren den Podcast „My PoC Bookshelf“. Warum dieser jetzt einen neuen Namen hat und sie nicht viel von Bücherlisten hält, erzählt sie hier und auf dem taz lab.
taz lab: Sie waren lange als Journalistin beim NDR tätig. Warum haben Sie sich mit „My PoC Bookshelf“ für einen unabhängigen Podcast entschieden?
Georgina Fakunmoju: Aus einer Schwarzen Perspektive über Literatur von nichtweißen Autor:innen sprechen – das Konzept hätte ich in einer klassischen Kulturredaktion nicht unterbringen können. In Literaturformaten, wie auch in der Literaturkritik, werden solche Bücher zwar besprochen, aber mehrheitlich aus einer weißen Perspektive – die im Übrigen dabei selten reflektiert wird. Was ich dabei immer vermisst habe, ist eine unabhängige Schwarze Literaturkritik, denn ich verstehe mich in erster Linie als Leserin.
Haben Sie das Gefühl, dass sich durch die Debatten über Diversität und Perspektivenvielfalt in der Verlags- und Literaturbranche nachhaltig etwas verändert hat?
Nein. Das sieht man momentan am politischen und kulturellen Backlash. Sobald Räume für Kultur enger werden, rücken Themen wie Diversität in den Hintergrund. Die Verlagsprogramme werden wieder umgestellt, da dieselben Leute wie zuvor in der Branche arbeiten – für sie macht es keinen Unterschied. Diversität war ein Modethema, neu entdeckt wurde es dankbar angenommen und ließ sich gut verkaufen – zugunsten der Verlage.
In Ihrer letzten Podcast-Folge kündigen Sie einen Neuanfang an und sagen, Sie hätten nachgedacht. Worüber?
Ich habe mich gefragt: „PoC, was heißt das eigentlich?“, und beschlossen, den identitätspolitischen Fokus aus dem Namen zu nehmen. Er sollte ursprünglich ausdrücken, dass ich eine bestimmte Perspektive auf Themen habe, die im Mainstream nicht vertreten sind. Allerdings haben sich diese Begriffe in den letzten Jahren abgenutzt. Sie waren nötig um gewisse Verhältnisse darzustellen, doch man verliert sich schnell im Differenzierungsdenken zwischen verschiedenen Boxen. Daher heißt der Podcast ab jetzt: „Readers gonna Read“. Wie „Lovers gonna Love“ oder „Haters gonna Hate“ – der Bezug zur Black Culture bleibt dabei bestehen, doch der Name ist etwas genereller. Er steht eher für den Lifestyle der Lesenden. Wie wir uns die Welt erschließen, dass wir Trost in Büchern suchen: Denn egal, was wir tun, wir lesen – das ist das Statement dieser Community.
Sie sprechen im Podcast auch über Bücherlisten, wie die „New York Times’ 100 Best Books of the 21st Century“. Was halten Sie von diesen Listen?
Ich sehe sie als Orientierungshilfen, mehr nicht. Ähnlich wie die populären Buchclubs in den USA von Oprah und Reese Witherspoon: es geht vor allem darum, wer sie erstellt. Listen wie die der NYT drehen sich um Spitzentitel großer westlicher Verlage – afrikanische Literatur findet man darauf nur wenig. Sie haben natürlich einen großen Einfluss auf den Markt und vice versa, aber sie sagen nichts über die Qualität der Bücher aus. Bestseller entstehen auch durch kostspielige Marketingkampagnen, das sollte man nicht vergessen. Da haben Indie- oder Selbstverleger keine Chance. Ich denke immer: „Don’t believe the hype!“
Orte können durch den literarischen Fokus zenralisiert oder marginalisiert werden. Wir alle glauben zum Beispiel, New York zu kennen, weil es in zahlreichen Erzählungen dargestellt wird. Gibt es einen Ort, den Sie bei Ihrer Lektüre intensiv kennengelernt haben?
Haiti war für mich so ein Ort in Edwige Danticats „Kein anderes Meer“. Titel, Cover und Brigitte-Zitat auf dem Umschlag suggerieren eine Tropenidylle als Schauplatz. Aber es ist ein knallhartes Buch, das einen tiefen Einblick in die Historie und die herausfordernde Alltagsrealität zwischen Armut und Gewalt auf Haiti gewährt. Dazu braucht es die intensive Auseinandersetzung mit dem Ort. Als visueller Typ kann ich mir Orte sehr gut über Erzählungen erschließen. Darunter waren bisher auch Städte in Ländern wie Kongo oder Tansania, ich war noch nie dort, aber man bekommt eine differenziertere Vorstellung vom Unbekannten.
🐾 Georgina Fakunmoju auf dem taz lab: Oranger Raum, 12 Uhr