■ Interview mit Erwin Scheuch über den Aufruf „8. Mai“: „Da werde ich wütend und bockig“
Der Soziologie-Professor Erwin Scheuch gehört zu den Erstunterzeichnern des Appells „8. Mai 1945 – gegen das Vergessen“. Sowohl wegen der darin enthaltenen Klassifizierung des 8. Mai als „Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten“ und „dem Beginn der Teilung unseres Landes“, als auch des Spektrums der Unterzeichner, das von FDP über CDU und CSU bis ins rechtsradikale Lager reicht, ist der Appell umstritten.
taz: Herr Scheuch, der ehemalige Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) hat seine Unterschrift bereits zurückgezogen, weil er, wie er sagt, „diese Gesellschaft nicht mehr mag“. Fühlen Sie sich noch wohl in der Gesellschaft der Mitunterzeichner?
Erwin Scheuch: Ich habe noch keinen Namen gesehen, gegen den ich grundsätzlich etwas einzuwenden hätte. Allerdings kenne ich zwei Drittel nicht, aber das Drittel, das ich kenne, ist mir angenehm.
Unterschrieben hat unter anderem Michael Frank und der Chefredakteur der „Jungen Freiheit“, Dieter Stein. Beide genießen wegen rechtsextremistischer Bestrebungen die besondere Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen.
Herrn Frank kenne ich nicht und die „Junge Freiheit“ ist mir nicht so ganz angenehm. Aber wir haben ja keinen Ehebund geschlossen, sondern eine Unterschrift unter einem Text geleistet.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor hält die Neue Rechte, zu der auch die Mitinitiatoren Zitelmann und Schwilk zählen, für „gefährlicher als die rechtsextremistischen Gruppen alter Prägung“.
Da ich mit Herrn Schnoor in 90 Prozent der Fälle verschiedener Meinung bin, muß mich das nicht kratzen. Herr Zitelmann ist kein Rechter, sondern ein Mensch, der viel konservativer ist als ich.
Was hat Sie bewogen, den Aufruf mit zu initiieren?
Ich dachte an all die vielen Menschen, die im Osten Deutschlands eine Diktatur gegen die andere austauschten. Für die war der 8. Mai doch keine Befreiung. Für mich im Westen war es eine Befreiung, aber ich kann mich nicht abwenden von den Millionen, für die eine Periode schlimmsten Drangsalierens begann.
Wieso ist denn, wie der Appell besagt, der 8. Mai ursächlich für die Vertreibung und die Teilung Deutschlands?
Das steht da nicht drinne.
Aber ja doch. Weshalb sonst sollte an diesem Tag dessen gedacht werden?
Der 8. Mai brachte nicht für alle gleichermaßen eine Veränderung zum Erfreulichen, sondern bedeutete für viele Millionen ein Auswechseln des Diktators.
Nun gab es einen Tag, an dem der Unterdrückung im Osten, des Teilungsunrechts gedacht wurde, den 17. Juni. Weshalb soll dieses Gedenken nun ausgerechnet am 8. Mai passieren?
Weil es den 17. Juni als Feiertag nicht mehr gibt.
Das ist der Grund?
Ja.
Einen Zusammenhang zwischen der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Teilung herzustellen, relativiert die Verbrechen der Naziherrschaft.
Nein. Erst einmal gibt es die Kriegsverbrecher auf beiden Seiten und dann gibt es noch das Spezifikum des Versuchs der Ausrottung eines Volkes, die besondere Art des rassistischen Unrechts. Das kann man nicht relativieren. Hingegen kann man durchaus die normalen Scheußlichkeiten aufrechnen, die Teil des Krieges waren, seien es die Flächenbombardements, sei es die Vertreibung.
Der ehemalige Vorsitzende der SPD, Hans-Jochen Vogel, und das ehemalige Vorstandsmitglied der CDU, Hanna-Renate Laurien, halten Ihnen vor, mit der Aufrechnung der Toten in der Gaskammer von Auschwitz und der Toten von Dresden wollten Sie die Dimension des NS-Terrors verwischen und verkleinern.
Ich wüßte nicht, wo da Dresden gegen Auschwitz aufgerecht wird.
Indem der Tag, der der Befreiung gewidmet ist, auch der Befreiung in Auschwitz, in einen Kontext gestellt wird zu dem Gedenken an die Vertreibungsopfer. Es ist ein Aufrechnen der Unrechtsgehalte.
Das ist da nicht drin.
Weshalb wollen Sie die Opfer der Vertreibung sonst in den Kontext des 8. Mai stellen?
Weil an diesem Tag nicht nur Grund zum Jubeln ist. Irgendjemand muß doch aufrecht halten, daß mit dem 8. Mai das Leiden der Menschen nicht zu Ende war.
Wenn es Ihnen nur ums Gedenken geht, frage ich mich, welche Bedeutung Sie der selbstbewußten Nation beimessen, zu deren Grundlagen, laut Ihrem Aufruf, das von Ihnen formulierte Geschichtsbild gehört.
Mit der Formulierung hatte ich auch ein bißchen Schwierigkeiten, weil ich eigentlich ein überzeugter Europäer bin. Es hat allerdings für junge Leute keinen Sinn, sich als Parias der Welt zu fühlen und zu sagen, die Deutschen haben nicht den gleichen Rang auf Achtung in der Welt wie andere auch.
Sind die Unterzeichner des Appells die repräsentativen Vertreter dieser selbstbewußten Nation?
Man kann sagen: Ihr seid nicht die einzigen, die Unrecht auf sich luden. Zudem kann man niemanden verantwortlich machen, der damals noch gar nicht gelebt hat. Aus diesem Grund kann man den Deutschen sagen, seid so selbstbewußt wie andere in Europa.
Das Anliegen war also, anläßlich des 8. Mai zu dokumentieren, daß die Deutschen nicht die einzigen waren, die Unrecht auf sich geladen haben, sondern gleichermaßen – wenn man von Vertreibungsterror und Unterdrückung im Osten redet – die Sowjets. Und dieses zur Kenntnis zu nehmen, sei die Grundlage der selbstbewußten Nation Deutschland.
Ja, das war es.
Dann wäre der nächste Gedankenschritt der von Nolte formulierte Konnex zwischen Auschwitz und Gulag.
Das ist nicht logisch. Logisch ergibt sich, daß den Deutschen damals passierte, was sich heute auf dem Balkan ereignet, nämlich eine ethnische Säuberung.
Das Spektrum der Unterzeichner ist ein bis dato einmaliger Zusammenschluß rechter Personen und Gruppierungen.
Ich sehe hier noch nicht mehr als einen rechten Gesprächszirkel. Nun haben bereits Linke wie Glotz davor gewarnt, daß man die kulturelle Hegemonie verliere. Die Reaktion auf den Aufruf zeugen von der Angst der Linken vor dem Verlust der Hegemonie. Diese Attacken bewirken, daß sich ein Kreis solidarisiert, der ansonsten wenig miteinander zu tun hat.
Erste Ansätze einer kulturellen Hegemonie der Rechten?
Ja.
Wird mehr daraus erwachsen?
Das hängt ab von der Intensität der Attacken. Wenn ich die verstehe als ein Einfordern der „political correctness“, werde ich wütend und bockig. Interview: Dieter Rulff
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