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Interview mit Christine Lieberknecht„Die FDP-Klientel will Mindestlöhne“

Die große Koalition Thüringens geht jetzt mit einem Gesetz für einen einheitlichen Mindestlohn in den Bundesrat - CDU und FDP im Bund sind sauer.

Niedrige Löhne: In der Gebäudereinigung gibt es schon einen Mindestlohn. Bild: dpa
Eva Völpel
Interview von Eva Völpel

taz: Frau Lieberknecht, Sie fordern einen bundesweiten Mindestlohn für alle Branchen und Regionen. Damit stellen Sie sich gegen die Bundes-CDU…

Christine Lieberknecht: Nein, das Thüringer Konzept ist ganz im Gegenteil nah an dem der Bundes-CDU. Auch wir wollen, dass sich die Tarifpartner in einer Kommission auf einen einheitlichen Mindestlohn einigen, und sich die Politik raushält.

Der Wirtschaftsflügel der CDU und die FDP sind trotzdem empört. Lasse Becker, Chef der Jungliberalen, wirft Ihnen sogar politische Demenz vor.

Ich kenne den Koalitionsvertrag im Bund, den ich übrigens nicht mit erarbeitet habe. Ich kenne die Parteitagsbeschlüsse der CDU, aber auch die Lebenswirklichkeit der Thüringer. Und sage ganz klar: Ich kann, über 20 Jahre nach der deutschen Einheit, nicht akzeptieren, dass Lohnuntergrenzen weiterhin nach Himmelsrichtungen oder nach Branchen unterschieden werden.

Wie wollen Sie Ihre Gegner überzeugen?

Wir haben in einer Arbeitsgruppe mit Wissenschaftlern ausführlich das Für und Wider von Mindestlöhnen diskutiert und einen Kompromiss zwischen SPD und CDU erreicht. Damit gehen wir offensiv in die Bundespolitik. Ich bin überzeugt, das Thüringer Modell ist ein Kompromiss, der auch auf Bundesebene für die Parteien tragbar ist. Man muss jetzt darüber in aller Ruhe im Bund diskutieren. Ich setze auf die Kraft der Argumente.

CHRISTINE LIEBERKNECHT, 54, ist die erste Ministerpräsidentin der CDU. Seit Oktober 2009 regiert die Theologin den ostdeutschen Freistaat Thüringen in Koalition mit der SPD.

Die Thüringer Initiative: Diesen Freitag legt die große Koalition Thüringens im Bundesrat ihren Gesetzentwurf für einen Mindestlohn vor. Die Idee: Für ganz Deutschland wird ein einheitlicher Mindestlohn eingeführt. Über die Höhe soll sich eine Kommission einigen, in die Arbeitgeber und Gewerkschaften je sieben Vertreter schicken. Darunter können auch Wissenschaftler sein. Einigt sich die Kommission nicht, wird ein Schlichter berufen. Der Mindestlohn wird per Rechtsverordnung vorgeschrieben. Tarifverträge müssen innerhalb eines Jahres angepasst werden.

Dissens zur Bundes-CDU: Die Union hat sich im April auf einen Kompromiss für eine "Lohnuntergrenze" geeinigt. Die wichtigsten Unterschiede zu Thüringen: Ein Mindestlohn soll nur für tariflose Branchen gefunden werden, und eine Kommission der Tarifpartner soll die Höhe nach Regionen und Branchen differenzieren können.

Niedriglöhne: In Deutschland arbeiten über 21 Prozent aller Beschäftigten unterhalb der Niedriglohnschwelle von 9,73 Euro (Westen) bzw. 7,16 Euro (Osten). (voe)

Wie scharf waren denn die Auseinandersetzungen mit der SPD in Thüringen?

Wir haben hart gerungen. Die SPD war schließlich bereit, auf ihre Forderung von 8,50 Euro zu verzichten und die Entscheidung über die Lohnhöhe in die Hand der Tarifpartner zu legen. Darüber war ich sehr froh, denn dieser große Schritt war die Voraussetzung für eine Einigung.

Im Abschlussbericht der Thüringer SPD-CDU-Arbeitsgruppe „Gute Löhne“ wird aber doch eine konkrete Zahl genannt, nämlich 8,33 Euro Stundenlohn für den Einstieg.

Das ist anders zu verstehen. Wir beschreiben, welche branchenweiten Mindestlöhne derzeit bereits in Deutschland existieren. Das sind beispielsweise 8,33 Euro für die Abfallwirtschaft in Ost und West. Aber ich werde keine konkrete Zahl in die Diskussion werfen.

Wie sieht die Niedriglohnlandschaft in Thüringen aus?

300.000 Beschäftigte können nicht allein von ihrer Hände Arbeit leben, in ganz Deutschland sind es fast sieben Millionen. Ich bin der CDU 1990 auch beigetreten, weil sie für das Ludwig Erhardt’sche Motto vom „Wohlstand für alle“ stand. Das erreichen wir aber nicht, wenn sich der Niedriglohnsektor ausweitet.

Ein Standardargument lautet: Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze. Das schreckt Sie nicht?

Ich habe ganz andere Sorgen. Mit Löhnen am unteren Ende bekommen wir auf Dauer nicht die Fachkräfte, die wir brauchen. Das ist eines der wichtigsten Themen in Thüringen, die Unternehmen suchen zum Teil händeringend Azubis. Und aus dem Handwerk, der klassischen FDP-Klientel, kommt die Bitte: „Schafft Voraussetzungen für einen Mindestlohn, denn wir brauchen Schutz vor Billigangeboten.“

Welche Bundesländer außer etwa Brandenburg und dem Saarland unterstützen Sie?

Es gibt positive Rückmeldungen aus einzelnen Ländern, die nehme ich zur Kenntnis. Grundsätzlich sind sich alle Ministerpräsidenten einig, dass wir eine Lohnuntergrenze brauchen. Die Frage ist, wie kommen wir dahin? Das Gewinnen von Mehrheiten ist harte Arbeit, und da stehen wir am Beginn. Aber ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem Jahr einen von der Mehrheit der Länder getragenen Gesetzentwurf aus dem Bundesrat an den Bundestag überweisen können.

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4 Kommentare

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  • M
    magy

    Mindestlohn kann und darf niemals unter 12 € sein, er muss wenn eingeführt auch jährlich der Teuerung angepasst werden. Je niedriger die Löhne desto geringer später die Rente und eine Vorsorge wird so unmöglich gemacht.Wichtig für die Firmen hoher Profit und wichtig für die Regierenden Steuereinnahmen wo immer man den Bürger nur abziehen kann.

     

    Wenn man bedenkt was Beamte und Minister verdienen plus all der Zulagen und Nebeneinkünften, kommt einem Gift und Galle hoch. Wann ist es genug ? Wir sitzen da und warten und warten und warten. Worauf denn ??? Das es uns so geht wie den Griechen, den Spaniern, den Italienern, spart man uns Deutsche im eigenen Land auch kaputt, damit wir die Welt retten können ?

  • OP
    Otto Pardey

    Seit Jahren wird über gestzliche Mindestlöhne

    verhandelt.

    Nur wenn diese Politbetrüger u.a. in Berlin u.a.

    ihre Diäten erhöhen,

    geht das innerhalb einer Woche durch den

    Deutschen Bundestag.

    Die Bürger sollten es nicht glauben nach

    der Devise,vor der Wahl ist nach der Wahl und

    ändern wird sich nichts!

  • C
    claudia

    Ja, es ist Wahlkrampfzeit und bunte Nebelschwaden ziehen wieder mal durch das Land. Den Begriff „Mindestlohn“ haben die Lobbyblockparteien von der Partei „Die Linke“ geklaut und von allen Inhalten befreit. Übrig blieb eine Worthülse zum Nachplappern für strunzbrave Untertanen.

     

    ---

    >>Auch wir wollen, dass sich die Tarifpartner in einer Kommission auf einen einheitlichen Mindestlohn einigen, und sich die Politik raushält.>Die SPD war schließlich bereit, auf ihre Forderung von 8,50 Euro zu verzichten

  • C
    Celsus

    Und für die absolute Untergrenze eines Mindestlohnes sollte auch der maßstab schon von der EU-Ebene her bekannt sein:

     

    Wer weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens eines Landes hat, gilt demnach als arm. Da kann dann die Armutsgrenze durch die Zahl der Stunden eines Vollzeitarbeitsplatzes gdeeilt werden und herauskommen müsste dann die branchenunabhängige Definition des Mindestlohnes pro Stunde.

     

    Ansonsten haben auch Parteien wie die FDP die Möglichkeit, der Erklärung eines Tarifvertrages für allgemeinverbindlich zuzustimmen. Das gleiche kann auch gerichtet an die Adresse anderer Parteien gesagt werden. Wer das eine sagt und das andere tut, erweist sich nicht als guter Teilnehmer an einer demokratischen Diskussion.