Interview mit Blondie: "Das nennt man dann wohl Filmriss"
Die New Yorker Sängerin Debbie Harry alias Blondie spricht über Kellnern im "Playboy"-Restaurant, fehlenden Ehrgeiz und warum sie nicht gegen Madonna anstinken kann.
taz: Mrs Harry, Sie gelten als Sexsymbol. Macht Sie das stolz?
Deborah Harry: Manchmal. Meist finde ich es Wahnsinn, dass sich die Leute bei einer 66-Jährigen immer noch Gedanken über ihre erotische Ausstrahlung machen. Natürlich achte ich auf mich, ernähre mich vernünftig und bewege mich regelmäßig. Aber das tue ich in erster Linie für meine Gesundheit.
Ach, kommen Sie: Sie tragen ein knallrotes T-Shirt und haben Ihre Fingernägel grün lackiert. Damit inszenieren Sie sich doch bewusst jugendlich.
Die Menschen haben eben gewisse Erwartungen an mich als Blondie. Die versuche ich auch optisch zu erfüllen.
Heißt das, Blondie ist eine reine Kunstfigur?
Anfangs bin ich auf der Bühne quasi in eine Rolle geschlüpft - wie eine Schauspielerin. Mit der Zeit hat Blondie dann mehr und mehr meine Wertmaßstäbe angenommen: von der Kleidung bis hin zur Ausdrucksform. Abgesehen davon wäre es eh merkwürdig, wenn ich heute genauso rumlaufen würde wie vor 40 Jahren.
Waren Sie damals eine Rebellin?
Ich habe mich so ziemlich allem widersetzt, was mir meine konservativen Adoptiveltern in einer Kleinstadt in New Jersey vorgelebt haben. Dass ich ausgerechnet Künstlerin werden wollte, passte überhaupt nicht in ihr Weltbild. Mir war das egal. Ich hatte den Ehrgeiz, meinen Traum schnellstmöglich zu verwirklichen. Darum bin ich nach Manhattan abgehauen. Mein Umzug war für mich ein Befreiungsschlag von den Konventionen meiner Kindheit.
Dabei mussten Sie sich zunächst als Kellnerin durchschlagen.
In einem "Playboy"-Restaurant, um genau zu sein. Ich fands nicht besonders anrüchig. Schließlich hatte ich dieses Hasenkostüm an. Für meine Begriffe war es eine Art Schutzschild, es machte eine völlig andere Person aus mir. Also sagte ich mir: Okay, ich gaukele den Männern jetzt was vor und kassiere dafür ordentliches Trinkgeld.
Klingt total abgebrüht.
Ich habe früh begriffen, wie wichtig es ist, unabhängig zu sein. Deshalb bin ich nie in diese Nettes-Mädchen-von-nebenan-Schublade gerutscht. In erster Linie war Marilyn Monroe mein Vorbild. Ihr Image hat mich wirklich fasziniert.
wird am 1. Juli 1945 in Miami geboren, wächst bei Adoptiveltern in New Jersey auf und zieht mit 19 nach New York.
1974 gründet sie mit Chris Stein die Band Blondie. Ihr drittes Album "Parallel Lines" macht sie 1978 zu Stars der New-Wave-Szene, die Single "Heart of Glass" wird ein Welthit.
1981 veröffentlicht sie ihr erstes Soloalbum "Koo Koo" und dreht einige Filme.
1983 trennt sich die Gruppe, 1999 gelingt mit dem Album "No Exit" ein Comeback.
Blondie gilt als Vorbild für Madonna und Lady Gaga.
Das neue Album "Panic of Girls" (EMI) erscheint am Freitag
Warum haben Sie eigentlich kolportiert, die Monroe sei Ihre leibliche Mutter?
Das stand in irgendeinem Magazin. Aber da hatte mich jemand falsch zitiert. Tatsache ist: Ich habe mir insgeheim gewünscht, ich wäre Marilyns Tochter. Das war bloß ein Traum, mehr nicht.
Trotzdem waren Sie die erste Popsängerin, die sich ganz offensichtlich an Marilyn Monroes Stil orientierte. Haben Sie damit jungen Kolleginnen wie Gwen Stefani den Weg geebnet?
Darauf bilde ich mir nichts ein. Für mich ist es immer ein glücklicher Zufall gewesen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufgetaucht zu sein. Veränderungen lagen im Amerika der späten siebziger Jahre einfach in der Luft. Es wäre ohnehin irgendwann eine selbstbewusste Musikerin gekommen, die die von Männern dominierte Musikindustrie zum Umdenken gezwungen hätte.
Empfinden Sie es als ungerecht, dass Sie als Blondie nie so berühmt wie Madonna geworden sind?
Sie ist ein Superstar. Da kann ich mit meinem Kultstatus nicht dagegen anstinken. Ich bin lange nicht so ehrgeizig und stehe auch dazu. Sich dauernd mit dem Gedanken zu quälen: Ich will erfolgreicher sein als diese oder jener - das ist doch Unsinn. Ich möchte vor allem gute Songs schreiben. Für mich wäre es Folter, wenn Blondie nur auf der Stelle treten würde. Wir sind ja keine Oldie-Band.
Engagierten Sie deshalb für Ihr neues Album "Panic of Girls" Jeff Saltzman, einen Produzenten, der etwa mit der Band The Killers gearbeitet hat?
Wir haben uns eher aus einer Laune raus für ihn und den zweiten Produzenten Kato Khandwala entschieden. Beide arbeiten ja normalerweise mit jüngeren Bands. Davon wollten wir profitieren. Ich denke, unsere Musik hat dadurch noch mehr Schwung gekriegt.
Würden Sie Ihren typischen Blondie-Stil verlieren, wenn Sie nicht mehr in New York lebten?
Schwer zu sagen. Unser Sound ist sicherlich sehr urban. Wir sind anfangs relativ oft in Manhattan auf Konzerte gegangen. So sind wir mit absolut unterschiedlichen Genres in Berührung gekommen. Ob Disco, HipHop, Punk, etwas ist davon hängen geblieben und in unsere eigene Musik eingeflossen. Nach dem Motto: von allem ein bisschen. Wenn ich mir dagegen meine Texte anschaue, die müssen nicht zwangsläufig von einer bestimmten Stadt handeln. Je weniger ich den Zuhörern darin vorgebe, desto mehr können sie sie mit ihren persönlichen Erlebnissen füllen.
Wann erscheint Ihre lang angekündigte Autobiografie?
Dummerweise habe ich nie Tagebuch geführt, darum quäle ich mich von Kapitel zu Kapitel. Egal, wie sehr ich grübele, einige Erinnerungen sind für immer verloren, das nennt man dann wohl Filmriss.
Woran liegt das? An Ihrem exzessiven Drogenkonsum?
Gut, ich habe alles ausprobiert. Bis zum Heroin. Aber meiner Kreativität hat das eigentlich nie geschadet.
Sie scherzen.
Nein, wenn ich Songs geschrieben habe, war ich nie high. Weil mir dann nichts Vernünftiges eingefallen ist. Drogen waren für mich reines Entspannungsmittel. Darum dröhnte ich mich vor einem Auftritt nicht zu. Okay, einmal habe ich gekokst. Das war schrecklich - ich kriegte kaum noch einen richtigen Ton raus.
Mehrere Freunde von Ihnen sind an einer Überdosis Drogen gestorben. Wie kamen Sie heil aus der Sache raus?
Ich habe echte Schwierigkeiten damit, mich total gehen zu lassen. Von Natur aus bin ich ein Kontrollfreak, der die Dinge gerne fest im Griff hat. Somit bin ich irgendwann an einen Punkt gekommen, wo ich wusste: Ich muss eine Therapie machen, um wieder ganz ich selber sein zu können.
Vermissen Sie trotzdem ab und zu Ihre wilden Zeiten, als Sie mit Andy Warhol Partys feierten?
Ach, Andy war einzigartig. Er hat seine Freunde ständig zum Essen eingeladen, weshalb er mir als extrem großzügig im Gedächtnis geblieben ist. Ich mochte ihn, weil er konsequent seinem Instinkt folgte. Er war ein Genie, bloß haben das nicht alle begriffen. Sonst hätte man ihm ja nicht vorgeworfen, er würde die Kunst ausverkaufen. Das Serielle war halt nicht jedermanns Sache. Na und? Es hat doch funktioniert. Überhaupt hatte Andy permanent visionäre Ideen. Ich gebe zu, dass seine skurrilen Filme manchen verstört haben. Andererseits nahmen sie das sogenannte Reality-TV vorweg.
Ist das Ihr Ernst?
Reality-TV hat inzwischen in unserer Gesellschaft seine Daseinsberechtigung.
Also bitte, das ist ja wohl kein Plus.
Ich finde Castingshows wie "American Idol" gar nicht so übel. Nach mehreren Jahrzehnten im Musikgeschäft weiß ich es zu schätzen, wenn der Juror Simon Cowell seine Meinung sagt. Einen Mann seines Kalibers hätte ich zu Beginn meiner Karriere gern als Berater gehabt. Ich liebe ihn für seine Ehrlichkeit, die gibt es nämlich eher selten im Musikbiz.
Sieht Ihr Bandkollege und Exfreund, der Gitarrist Chris Stein, das genauso?
Wir liegen meist auf einer Wellenlänge, unser Verständnis ist fast intuitiv. Sicher liegt das daran, dass wir 15 Jahre liiert waren.
Sie wirken wie eine Einzelgängerin. Sind Sie überhaupt noch an Partnerschaften interessiert?
Das haben Sie einen völlig falschen Eindruck von mir. Ich habe nichts gegen Beziehungen, womöglich heirate ich sogar eines Tages. Sind nicht alle früher oder später auf der Suche nach dem richtigen Partner? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meinem irgendwo begegnen werde - bei all den tollen Männern da draußen.
Würden Sie sich dann zur Ruhe setzen?
Oh Gott, nein. Ruhestand ist doch das, was viele Menschen umbringt. Ich arbeite lieber, das macht mich glücklich.
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