Interview mit Bauingenieur Ralf Protz: "Wir haben einiges an Erfahrungen anzubieten"
Der Abriss von Plattenbau-Wohnungen spielt in Berlin eher eine untergeordnete Rolle, sagt Ralf Protz. Die Probleme in den Siedlungen hält er für lösbar - in anderen Ländern gebe es schließlich ganz andere Herausforderungen.
taz: Herr Protz, das Programm Stadtumbau Ost, das bislang vor allem den Abriss leerstehender Plattenbauten fördert, soll bis 2016 verlängert werden. Ist Rückbau nach wie vor die Antwort auf die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland?
Ralf Protz: In den östlichen Bundesländern ist die Dramatik des Leerstands sicher eine ganz andere als in Berlin. Dort ist der Rückbau auch in Zukunft erforderlich. In Berlin wird der Abriss künftig wohl eher eine untergeordnete Rolle spielen. Allerdings kann ein Teilrückbau zum Beispiel von elfgeschossigen Wohnhäusern zu Fünfgeschossern ökonomisch sinnvoll und sozialverträglich sein - siehe etwa das Beispiel Ahrensfelder Terrassen in Marzahn.
Leerstand und Abriss wirken sich ja immer auch auf das Umfeld, auf die Nachbarn aus. Gibt es Alternativen, um dem Bevölkerungsschwund zu begegnen?
Sicher, schauen Sie die jüngsten Sanierung in Marzahn, Hellersdorf und Lichtenberg an. Man kann einiges erreichen, indem man Grundrisse optimiert und Wohnungen so marktfähig macht.
Marzahn macht heute ohnehin einen offeneren, freundlicheren Eindruck als das Märkische Viertel oder die Gropiusstadt im einstigen Westberlin. Täuscht das?
Nun, es ist das Ergebnis eines immensen Sanierungs- und Modernisierungsprozesses in den Ostberliner Großsiedlungen. Außerdem unterscheiden sich Ost und West in der Sozialstruktur: In der DDR waren die Plattenbauwohnungen für alle Bevölkerungsschichten offen und attraktiv, im Westen entstanden Großsiedlungen unter dem Vorzeichen des sozialen Wohnungsbaus. Ostsiedlungen sind oft auch infrastrukturell besser ausgestattet - Marzahn hat die S-Bahn, das Märkische Viertel wartet bis heute auf einen U- oder S-Bahn-Anschluss.
Und nach der Wende wurde dann der Osten schneller aktiv.
Die Probleme waren offensichtlich, und die Dimensionen immens: Im Märkischen Viertel leben die Menschen in 16.500 Wohnungen, in Marzahn sind es knapp 60.000. Letzteres ist faktisch eine Stadt innerhalb der Stadt, und der liefen die Menschen davon. Die Förderprogramme für West-Siedlungen liefen viel später an - aber jetzt passiert ja auch hier einiges.
Sie nehmen mit dem Verein "Kompetenzzentrum Großsiedlungen" seit Jahren Entwicklungen in anderen europäischen Ländern ins Visier. Wie steht denn Deutschland da?
Gar nicht schlecht. Wir haben etwa in Russland gelernt, wie problematisch es ist, wenn nur der freie Markt greift; und wie kompliziert gesetzliche Verfahren laufen können. Außerdem gibt es dort noch einmal ganz andere Dimensionen: Moskau hat so viel Plattenbauwohnungen wie ganz Ostdeutschland. Aber auch im Austausch mit Kollegen in Frankreich haben wir erkennen können, dass unsere Instrumente durchaus nachgefragt werden. Wir haben einiges an Know-How anzubieten.
Zum Beispiel?
Wir sind sehr weit mit der Umsetzung unserer strategischen Ansätze: Wie organisiert man einen solch umfangreichen Prozess der Erneuerung, wie beteiligt man Bewohner? Vergessen Sie nicht: Der Immobilienmarkt wirkt in Deutschland in der Finanzkrise eher als Stabilisator - während er anderswo Auslöser für den Zusammenbruch war.
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