Interview in der Lampenfieberambulanz: "Gänsehaut, Ameisenlauf"
In der Bonner Lampenfieberambulanz werden nervöse Musiker behandelt. Ihre Gründerin erklärt, was man gegen die Angst tun kann.
sonntaz: Frau Mahkorn, was ist eigentlich Lampenfieber?
Déirdre Mahkorn: Lampenfieber ist kein wissenschaftlicher Begriff, er stammt aus dem Volksmund. Es gibt dafür keine medizinische Definition. Beim Lampenfieber erleben Künstler unterschiedliche Facetten von Angst: von ganz leichten Zweifeln bis zu heftigen körperlichen Auswirkungen. In der Psychiatrie sprechen wir von Angstsymptomen.
Was hat das mit Fieber zu tun?
Wenn Menschen Angst haben, fühlen Sie sich heiß oder schwitzen. Daher kommt wohl die Bezeichnung. In einer akuten Angstsituation stoßen die Nebennieren Adrenalin aus, dadurch kann der Puls schneller werden und das Herz stärker pumpen. Manche Musiker spüren dabei ein Engegefühl in der Brust, sie kriegen Gänsehaut oder spüren eine Art Ameisenlaufen an den Beinen. Kurioserweise klagen Streicher oft über starkes Zittern in der Bogenhand. Sänger haben Probleme mit der Atmung oder bekommen einen trockenen Mund. So geht es auch den Holz- und Blechbläsern.
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Die Frau: Déirdre Mahkorn, 39, ist Fachärztin für Neurologie und Oberärztin am Uniklinikum Bonn. In ihrer Freizeit ist sie selbst Chorsängerin. Außerdem ist Mahkorn mit einem Berufsmusiker verheiratet. Beide sind froh, nicht an Lampenfieber zu leiden.
Die Ambulanz: 2010 gründete Mahkorn mit Martin Landsberg die deutschlandweit erste Lampenfieberambulanz. Bisher sind etwa 40 Patienten dort in Therapie. Mahkorns Schätzungen zufolge leidet jeder zweite Berufsmusiker unter Lampenfieber.
Also ist immer genau der Körperteil betroffen, den man am dringendsten braucht.
Das hat wohl damit zu tun, dass man die Aufmerksamkeit genau auf diese Stelle richtet. In der Regel haben die Musiker nicht nur ein Symptom, sondern fünf oder sechs. Sie konzentrieren sich nur verstärkt auf das, was ihr Spiel am meisten beeinträchtigt.
Und da haben Sie gedacht: Diesen Musikern muss geholfen werden?
Ich habe selbst lange Jahre Gesangsunterricht genommen und habe viele Musiker in meinem Freundeskreis. Vor allem dadurch habe ich gemerkt, dass Musiker in der Psychotherapie total unterrepräsentiert sind. Als Musiker spricht man nicht über seine Ängste. Das ist ein riesiges Tabu. Wer Angst hat, wird nicht engagiert. Ängstliche Musiker gelten als potentiell unzuverlässig: Wer an Lampenfieber leidet, hat vielleicht schon mal deswegen abgesagt. Das könnte wieder passieren.
Die Angst ist also geschäftsschädigend?
Ja. Die Künstler, die zu uns kommen, sind sehr daran interessiert, dass keiner davon erfährt. Deshalb legen wir die Termine so, dass sich zwei Musiker nicht zufällig begegnen.
Wie läuft die Therapie ab?
Wir sprechen über Erfahrungen mit Angst. Und ich bitte die Patienten, mir vorzuspielen. Da sieht man oft: Es muss gar nicht sein, dass hundert Leute zuhören, es reicht, wenn da nur eine sitzt. Denn jeder könnte sie negativ bewerten. Wenn das Bogenzittern einsetzt, drücke ich gewissermaßen die Pausentaste und frage: Was genau war jetzt der Gedanke, der zu diesen körperlichen Symptomen geführt hat? Meist ist es etwas wie: Die denkt jetzt bestimmt, ich spiele ja gar nicht so gut.
Wie kriegt man solche Gedanken weg?
Es braucht ein Bewusstsein dafür. Die Patienten führen Tagebuch, schreiben auf, wie sie sich in solchen Situationen gefühlt haben und zu welchen körperlichen Symptomen die Gedanken geführt haben. Dann werden diese Gedanken positiv umformuliert. Parallel machen viele Musiker Yoga oder autogenes Training. Außerdem ist Selbstwerttraining wichtig. Diese Gedanken - der andere spielt bestimmt besser - haben viel mit einer verschobenen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu tun. Den meisten ist noch gar nichts passiert.
Die haben noch nie gepatzt?
Kommt drauf an, was sie unter einem Patzer verstehen. Was ein Geiger für den Bruchteil einer Sekunde als Intonationsschwäche empfindet, hat das Publikum manchmal gar nicht wahrgenommen.
Das dürfte Schauspielern gelegentlich ähnlich gehen.
Na ja, wenn sich Schauspieler verspielen, können sie improvisieren. Wenn aber ein Musiker aus einer Beethoven-Sonate fliegt, ist er raus. Ende. Und das hört jeder, auch einer, der sich mit Musik gar nicht auskennt.
Bei Klassik scheint das Lampenfieber am stärksten.
Vielleicht weil es bei Rockmusikern nicht so schlimm ist, wenn sie mal einen Ton nicht treffen. Die meisten Patienten der Ambulanz sind tatsächlich Orchestermusiker: Streicher, Holzbläser, Blechbläser. Auch Sänger. Klassische Musiker sind oft preußisch erzogen worden und in pflichtbewussten Haushalten aufgewachsen. Vieles läuft da über Leistung. Die Ausbildung an der Musikhochschule ist außerdem sehr hart, ein ständiger Wettbewerb. Das prägt und fördert die Angst. Die Patienten, die zu uns kommen, sind Perfektionisten. Sie üben jeden Tag unglaublich viel, spielen makellos - und haben trotzdem Angst.
Sind manche anfälliger für Lampenfieber als andere?
Wir glauben mittlerweile, dass Menschen mit einem günstigen oder einem ungünstigen Hirnstoffwechsel zur Welt kommen, der Angst fördert oder eben nicht. Menschen, die eine Veranlagung zur Angst haben, können schneller Lampenfieber entwickeln als andere. Bei der Therapie beschäftigen wir uns auch mit den Dingen, die eine Angsterkrankungen begleiten: Sucht oder Depressionen.
Kommt das häufig vor?
Die Orchestermusiker sagen, sie kennen viele, die ihre Angst mit Alkohol und Beruhigungsmitteln runterkühlen. Oder sie nehmen Betablocker. Das sind Herzmedikamente, die den Blutdruck senken und den Herzschlag verlangsamen. In einzelnen Fällen sind sie aber auch bei Lampenfieber ganz nützlich.
Verschreiben Sie auch Medikamente gegen Lampenfieber?
Die meisten Musiker wollen keine Medikamente nehmen. Bei einem, der regelmäßig mit massiven Panikattacken kämpft und deswegen depressiv werden oder zum Alkohol greifen könnte, interveniere ich aber lieber frühzeitig und verschreibe spezielle Antidepressiva.
Gibt es auch ein paar ganz simple Tricks gegen Lampenfieber - für weniger schwere Fälle?
Nicht wirklich, weil Angst etwas sehr Individuelles ist. Man sollte achtsam mit sich sein, Entspannungsübungen erlernen und vor allem nicht aus Angst die Musik vermeiden. Man sollte vermeiden, zu vermeiden.
Also wieder rauf aufs Pferd, nach dem Sturz?
Genau. Wenn man mal nen Ton falsch gesungen hat, einfach weitersingen.
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