piwik no script img

Interview Nationaltrainer Berti Vogts"Manche verwechseln Ringen mit Fußball"

Der Nationaltrainer von Aserbaidschan, Berti Vogts, erklärt, warum er sich mehr als Entwicklungshelfer denn als Trainer sieht.

Berti Vogts beim Training mit seiner Nationalmannschaft. Bild: dapd
Interview von Frank Ketterer

taz: Herr Vogts, aus Ihrer Zeit als Bundestrainer stammt die Feststellung, dass es im Fußball keine Kleinen mehr gäbe. Wie gefällt Ihnen dieser Satz heute?

Berti Vogts: Nach wie vor gut. Und nach wie vor entspricht er der Wahrheit, wie man gerade am letzten Bundesligawochenende gesehen hat. Kaiserslautern hat die Bayern geschlagen, Mainz in Wolfsburg gewonnen, Hannover gegen Schalke. Was muss ich noch mehr sagen …

Wie groß oder klein sehen Sie den aserbaidschanischen Fußball?

Bild: dpa
Im Interview: 

Berti Vogts ist 63 Jahre alt. Als Fußballprofi erwarb er sich einst wegen seiner unnachgiebigen Zweikampfführung den Spitznamen "der Terrier". Seine Trainerlaufbahn begann er als Nachwuchscoach beim DFB. Der Gewinn des Europameistertitels 1996 mit der Nationalelf ist sein bislang größter Erfolg. Seine darauf folgenden Stationen: Leverkusen, Kuwait, Schottland, Nigeria und nun Aserbaidschan.

Ich gehe davon aus, dass wir in vier bis fünf Jahren den Anschluss zur Mittelklasse des europäischen Fußballs gefunden haben werden. Das ist gar nicht so einfach, schon weil es in Aserbaidschan, wo Schach und Ringen die Sportarten Nummer eins und zwei sind, nicht so viele Fußballer gibt - und diese eigentlich zu spät zum Fußball kommen. Das hat zur Folge, dass ihnen die Erfahrungen, die man in Deutschland schon in jungen Jahren auf der Straße oder dem Bolzplatz sammelt, fehlen und sie Fußball regelrecht lernen müssen. Entsprechend fehlt es ihnen manchmal an Intuition.

Wie kommen junge Aserbaidschaner zum Fußball?

Seit ich dort Trainer bin, gibt es Fußball an den Schulen. Das fängt bei den Achtjährigen an und endet bei den Zwölfjährigen, die in Schulmannschaften ausgebildet werden. Das ist ein gutes Programm, aber es braucht natürlich Zeit.

Vor einem Jahr, vor den Spielen gegen Deutschland in der WM-Qualifikation, haben Sie gesagt: "Wenn wir zu Hause knapp und im Rückspiel nicht zu hoch verlieren, sind wir sehr zufrieden." Heißt das , dass Sie auch diesmal mit einem 0:2 und einem 0:4 leben könnten?

Mehr ist nicht zu erreichen. Zumal wir den großen Nachteil haben, dass unsere beiden besten Abwehrspieler ausfallen und derzeit Ramadan ist.

Was sind die größten Probleme, mit denen man als Nationaltrainer Aserbaidschans zu kämpfen hat?

Wissen Sie, ich sehe mich mehr als Entwicklungshelfer denn als Trainer. Dessen ungeachtet, hätte ich die Spieler gerne noch öfter und länger zusammen. Wenn wir die Mannschaft zwei oder drei Wochen zusammenhätten, könnten wir höheres Tempo verlangen, wir könnten sie aggressiver machen. In den Ligaspielen geht einfach zu viel Zeit verloren für die einzelnen Aktionen. Und es wird den Spielern nach Anstrengungen zu lange Ruhepausen gegeben. Nachdem Qarabag gegen Dortmund in der Europaliga gespielt hatte, haben die Spieler fünf Tage nicht mehr trainiert. Aserbaidschanische Trainer sind der Meinung, dass nach einem Spiel erst mal drei, vier Tage Pause sein müssen. Das ist ein Problem der Liga: Qarabag musste donnerstags gegen Dortmund spielen - prompt wurde das Spiel am darauf folgenden Sonntag abgesetzt, damit die Spieler sich erholen können. Das geht nicht. So bekommt man keine Wettkampfhärte. Fußball bedeutet auch Anstrengung und dass man sich immer weiterbildet und weiterentwickelt.

Wie oft sind Sie denn in Aserbaidschan und bei der Mannschaft?

Wenn der Spielbetrieb läuft bin ich 16 bis 18 Tage pro Monat in Baku.

Winfried Schäfer, Trainer beim Hauptstadtklub FK Baku, hat kürzlich eine "richtige Aufbruchstimmung in Sachen Fußball" ausgemacht. Können Sie das bestätigen - und wenn ja: Wie äußert sich diese?

(Vogts schmunzelt.) Winnie ist ja jetzt erst seit drei, vier Wochen da, und wahrscheinlich hat er gedacht, es wäre alles noch im Tiefschlaf. Er wusste nicht, dass wir eine U21 und eine sehr gute U19-Nationalmannschaft haben - und dass wir schon seit zwei Jahren junge Spieler immer wieder für sechs bis acht Wochen zum FC Bayern schicken oder nach Hoffenheim und Hannover, damit sie dort lernen und sich fortbilden. Hinzu kommt, dass neue Trainingsplätze und Stadien gebaut werden, unter anderem findet die nächste U17-WM der Mädchen bei uns statt. Das Rad fängt langsam an, sich zu drehen. Aber es braucht noch sehr viel Zeit.

Der Aufbruch scheint auch daran erkennbar, dass ausländische Trainer wie eben Schäfer oder der Engländer Tony Adams und Spieler wie der ehemalige Bochumer Joel Epalle oder der Ex-Schalker Emile Mpenza (Neftschi Baku) mittlerweile in Aserbaidschan spielen. Was zieht diese Spieler ins Land?

Dazu möchte ich mich nicht äußern. Was die Spieler betrifft: Ich habe beide gesehen - und sie sind in keiner guten Verfassung. Da hätte ich schon lieber, dass da junge Aserbaidschaner spielen als Spieler, die über ihren Zenit hinaus sind und sich nicht mehr quälen wollen, schon gar nicht bei der Hitze, die es in Aserbaidschan haben kann.

Nicht nur die heimischen Oligarchen haben ihr Interesse und ihre Liebe für den Fußball entdeckt, sondern auch reiche Geschäftsleute aus der Türkei und Bulgarien. Welche Perspektiven eröffnet dies?

Das sind alles wichtige Mosaiksteinchen für die Weiterentwicklung des Fußballs in Aserbaidschan. Dafür muss man auch dankbar sein. So, wie ich der Liga auch dankbar bin, dass sie meiner Forderung nachgekommen ist, dass mindestens drei Aserbaidschaner in jeder Mannschaft spielen müssen. Sonst hätte ich meinen Vertrag nicht verlängert.

Kann der aserbaidschanische Fußball eine ähnliche Entwicklung nehmen wie zuletzt der russische?

Davon sind wir derzeit meilenweit entfernt. Russland ist ein großes Land. In Aserbaidschan hingegen haben wir es gerade mal mit 24 Mannschaften in der ersten und zweiten Liga zu tun. Das wars dann auch schon. Der Rest findet in den Schulen und Universitäten statt - und die Entwicklung braucht seine Zeit. Man kann Fußball nicht in zwei, drei Jahren aus dem Boden stampfen.

Vagif Javadov gilt als eines der größten Talente im Land, dennoch wurde er kürzlich bei Twente Enschede ausgemustert und spielt nun wieder für Qarabag. Wie kam es dazu?

Er hatte vor sechs Monaten eine schwere Knieoperation und lange gebraucht, um wieder Anschluss zu finden. Hinzu kam der Trainerwechsel bei Twente. So summierte sich eines zum anderen.

Gibt es aserbaidschanische Spieler, denen sie den Sprung in eine der großen europäischen Ligen zutrauen?

Fünf, sechs Spieler aus meinem Team könnten durchaus in der Bundesliga spielen. Aber sie sind alle noch jung - und deshalb muss man Geduld mit ihnen haben und weiter mit ihnen arbeiten. Das wiederum fehlt in der Bundesliga sehr oft.

In der Europa-League-Qualifikation sind aserbaidschanische Vereine zuletzt recht weit gekommen. Wie sehr schürt das die Erwartungen an Sie und die Nationalmannschaft?

Erwartungen sind immer da. Dafür hat man mich ja auch geholt. Dass es dann den ein oder anderen gibt, der davon ausgeht, dass Aserbaidschan sich als Gruppenerster für die EM qualifiziert und Deutschland bestenfalls Zweiter werden kann, damit muss ich leben. Das sind dumme Menschen, die keine Ahnung haben. Die verwechseln Ringen mit Fußball.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der deutschen Nationalmannschaft?

So, wie sie bei der WM aufgetreten ist, wie sie Fußball gespielt hat, ist sie auch ohne Titel die beste Mannschaft der Welt. Besser auch als Spanien.

Sie haben damals Jürgen Klinsmann als Teamchef ins Spiel gebracht. Steckt also auch ein bisschen Vogts im deutschen Aufschwung?

(Vogts schmunzelt.) Ja, ich habe es gewagt, dem DFB den Tipp zu geben, Klinsmann zu verpflichten. Bisher ist das ja auch ganz gut gelaufen. Ich habe in dieser Mannschaft gespielt, ich habe diese Mannschaft geführt. So, wie sie im Moment auftritt, ist mein Konzept aufgegangen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!