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Interview Mauerbau"Das Gefühl, dass man mir glaubt, ist mir wichtig"

Als die Mauer gebaut wird, lebt Catharina Mäge bei ihren Großeltern im Wedding. Sie wird zu ihren Eltern in den Osten geschickt. Später will sie die DDR verlassen - und landet im Frauengefängnis Burg Hoheneck.

28 Jahre fast unüberwindbar: die Berliner Mauer. Bild: dpa

taz: Frau Mäge, am 13. August 1961 wurde Ostberlin abgeriegelt, da waren Sie vier Jahre alt. Wo waren Sie damals?

Catharina Mäge: Im Wedding, bei meinen Großeltern in der Gartenstraße, ganz dicht an der Bernauer. Gerade in diesem Gebiet hörte man Tag und Nacht Polizeisirenen. Das Radio lief die ganze Zeit.

An der Bernauer Straße verlief der Mauerbau besonders dramatisch.

Catharina Mäge

56, engagiert sich seit 2006 als Zeitzeugin in der Gedenkstätte Potsdam und Berlin Hohenschönhausen. 2009 wirkte sie im Dokumentarfilm "Gesicht zur Wand" des Regisseurs Stefan Weinert mit.

Ja, hier waren die Häuser, wo die Menschen sich abgeseilt haben, gesprungen sind. Das alles unmittelbar um mich herum – als Kind ist das natürlich einprägsam.

Welcher Weg führte Sie dann in die DDR?

Ich kam im Rahmen der Familienzusammenführung zu meinen Eltern nach Dresden. Meine Großeltern waren beide Arbeiter und Anhänger von Liebknecht und Luxemburg. Sie hofften nach dem Krieg auf eine bessere und lebenswertere Welt und wollten, dass ich eine sozialistische Schulbildung und Erziehung erhalte.

Auf ihrem Blog beschreiben Sie, wie Sie über den Bahnhof Friedrichstraße nach Ostberlin einreisten.

Ja, ich wurde mit meinem Puppenwagen losgeschickt. Darin war mein Kopfkissen und meine Unterwäsche versteckt, da das Gepäck durch Vorschriften begrenzt war. Ich ging an der Hand meiner Großmutter. Ich erinnere mich an endlose, düstere Katakomben, es war fürchterlich beklemmend. Als wir wieder ans Tageslicht kamen, stand da mein Vater mit zwei Mädchen. Das waren meine Schwestern. Die waren mir in diesem Moment nur fremd.

Mit ihnen fuhren Sie nach Dresden. Dort gingen Sie zur Schule, machten eine Ausbildung zur Laborassistentin. Warum wollten Sie die DDR verlassen?

Es gab viele Momente, die mich verärgert haben. Ich habe früh gelernt, dass die Welt in meiner Familie eine andere ist als die auf der Straße oder in der Schule. Ich habe gelernt, „in den Hals zu sprechen“. Immer aufzupassen, wem ich was sage. Zum Beispiel nicht jedem zu erzählen, dass ich Geschenke von meiner Familie aus dem Westen bekam.

Wann fiel Ihr endgültiger Entschluss, die DDR zu verlassen?

1973 lernte ich meinen Mann kennen. Nach zwei Jahren fragte er mich, ob ich mit ihm in den Westen gehen wolle. Er erklärte mir, dass wir dafür abhauen müssen, die Risiken kannte er von seinem Wehrdienst an der Grenze. Ich habe ohne zu zögern zugesagt.

Tote an der Grenze

Wenige Tage vor dem 51. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August ist ein neues Forschungsprojekt zu den Opferzahlen an der einstigen innerdeutschen Grenze gestartet worden. "Es geht darum, den Toten Namen und Gesicht wiederzugeben", sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) am Freitag in Berlin.

Das bis 2015 angelegte Vorhaben des Forschungsverbunds SED-Staat an der Freien Universität Berlin wird vom Bund und den Ländern Hessen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen mit insgesamt 500.000 Euro gefördert.

Projektleiter Klaus Schroeder sagte, dass jeder Einzelfall recherchiert werde. Selbst bei einem Herzinfarkt am Grenzübergang werde geprüft, ob ein direkter Zusammenhang mit der speziellen Situation bestand. (dapd)

Aber die Flucht scheiterte.

Als am 1. August 1975 die Schlussakte von Helsinki unterzeichnet wurde, haben wir unsere Planung begonnen, das Land illegal zu verlassen. Es sollte eine „Schleusung“ im Kofferraum über die deutsch-deutsche Grenze werden. Mein Mann half der Familie seines Bruders. Diese wurde am Grenzkontrollpunkt durch Spürhunde im Kofferraum entdeckt. Beim Verhör fielen unsere Namen.

Ihr Plan flog auf.

Für mich persönlich kam es gar nicht mehr zum Fluchtversuch. Ich wurde am 5. Februar 1976 gegen Mittag von der Arbeit abgeholt, zur „Klärung eines Sachverhalts“. Anderthalb Stunden später war ich meiner kompletten Privatsphäre beraubt und hatte fremde Kleidung an.

Wohin hat man Sie gebracht?

Ich landete im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Dresden. Es gab keinen Haftbefehl zu diesem Zeitpunkt, der wurde erst 48 Stunden später ausgestellt – nach Verhören rund um die Uhr, unter massivem Druck. Vier Monate war ich in Untersuchungshaft. So lange war ich unter strengster Isolation. Ich war allein in meiner Zelle, in Grabesstille, ich hatte keinen Kontakt nach draußen, selbst den Freigang habe ich allein gemacht.

Wofür wurden Sie verurteilt?

Die Staatssicherheit brachte mich im Juni 1976 vors Bezirksgericht Dresden. Das hat mich dann zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe wegen „geplanter Republikflucht“, „Mitwisserschaft“ und „Staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme“ verurteilt. Das Urteil fußte allein auf meinem Willen und Wissen.

Wohin kamen Sie dann?

Zum Verbüßen der Strafe wurde ich nach Stollberg geschickt, in der Nähe von Chemnitz. Die Haftanstalt war das berüchtigste Frauengefängnis der DDR, in der Burg Hoheneck. Damals gab es vier Stufen des Vollzugs, die an bestimmte Regularien gekoppelt waren, wie die Häufigkeit des Briefverkehrs oder der Besuchsempfang. Ich wurde in die zweithöchste Form eingestuft, in den „strengen Vollzug“.

Wie haben Sie dieses Urteil empfunden?

Als schlechten Witz. Es wurde gesagt „Im Namen des Volkes“, aber mein Urteil fiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und ich hatte nicht den Eindruck, dass das Volk irgendetwas davon weiß. Ich hatte während der Untersuchungshaft keinen Rechtsbeistand, keine Möglichkeit, mich über einen Rechtsanwalt zu informieren. Bei der Gerichtsverhandlung ließ man mich selbst nicht zu Wort kommen. Dort hatte ich zwar einen Anwalt, aber die einzige Entlassung, die er vorbrachte, war mein Alter. Ich war ja erst 19.

Wie waren die Haftbedingungen im Gefängnis?

Die Unterbringung entsprach einem Zuchthaus. Ich war mit 20 weiteren Frauen in einer Zelle mit Dreistockbetten, der Raum war so klein, wenn alle gleichzeitig auf den Beinen waren, hatten wir Mühe, auf dem Fußboden zu stehen. Es war unser Schlafraum, aber es war auch der einzige Raum, in dem wir frei sprechen und uns frei bewegen durften. Außerhalb der Zelle herrschte Redeverbot.

Wie sah der Alltag aus?

Sonntags hatten wir frei, ansonsten haben wir im Dreischichtsystem acht Stunden am Tag gearbeitet. Einmal am Tag hatten wir regulär eine halbe Stunde Freigang. Der Hof war von allen Seiten mit Gebäuden umschlossen. Wir mussten in Zweierreihen im Kreis gehen. Im Freien durften wir keine Gymnastik machen, nicht singen, nicht sprechen.

Wie war denn das Verhältnis zwischen den Inhaftierten?

Unser Gefängnis war ausgerichtet für 600 bis 800 Insassen, aber zu meiner Zeit waren rund 1.400 dort. Die Zellen waren sehr gemischt. Es gab Gewalttäterinnen, verurteilt wegen Kindesmord, es gab frühere Naziaufseherinnen und es gab uns politische Gefangene.

Offiziell gab es ja diese Unterscheidung gar nicht.

Aber viele hatten einen großen Hass auf die Politischen, wir standen in der Rangordnung der Häftlinge auf der allerletzten Stufe. Die Kriminellen wollten oft durch gutes Verhalten, also fleißiges Arbeiten, das Wohlwollen der Wärterinnen auf sich ziehen. Sie hatten die Hoffnung, dadurch früher entlassen zu werden. Dazu gehörte dann auch Denunziantentum und gewalttätiges Vorgehen gegen politische Mithäftlinge. Wir „Politischen“ wollten in erster Linie den Staat verlassen. Da wollten wir nicht eifrig Produkte erzeugen, die in den Export gehen und gegen Westgeld in die Bundesrepublik verkauft werden.

Wie sah die Arbeit genau aus?

Es war Akkordarbeit, das heißt, es ging nach Stückzahl. Und die Normen im Gefängnis lagen um ein Drittel höher als in zivilen Betrieben. Wir haben Bettwäsche genäht, Waschmaschinenmotoren gebaut, Stoffballen geprüft, aus alten Uniformen Häftlingskleidung gemacht. Eingefärbt, Schulterklappen entfernt. Wir liefen herum wie Raben, völlig schwarz gekleidet.

Was hat das Gefängnis mit Ihnen gemacht?

Ich erinnere mich an Zeiten, in denen ich alle Zuversicht verloren hatte. Das fühlte sich an wie kurz vorm Sterben. Solche Phasen hatte jeder. Die Tage konnten enorme Dimensionen annehmen, niemand von uns hatte eine Uhr.

Sie wurden dann drei Monate vor Haftende entlassen.

Ich hatte im Strafvollzug einen Ausreiseantrag gestellt und damit signalisiert, dass ich weiterhin das Land verlassen wollte. Ich bin dann freigekauft worden. Als ich mit anderen Häftlingen ins Notaufnahmelager Gießen kam, hatte jede von uns einen Haftentlassungsschein dabei und eine Ausbürgerungsurkunde. Außer unserer Kleidung hatten wir keinerlei Eigentum für ein anderes, demokratisches Leben.

Das ist 35 Jahre her. Welchen Stellenwert nimmt diese Zeit heute für sie ein?

Es war ein Expressdurchgang in Sachen Menschenkenntnis. Ich habe dort Abgründe kennengelernt, an die hatte ich nicht im Entferntesten gedacht. Bösartigkeit, Gewalt, Sadismus – auch seitens der Wärter. Alle 14 Tage hörte man Schreie wie von jemandem, der in Todesangst ist. Man guckt danach anders in die Welt. Sorglosigkeit und Unbeschwertheit habe ich ein Stück weit verloren. Und die Illusion, die Welt verändern zu können, hat sich zerschlagen.

Heute engagieren Sie sich als Zeitzeugin, beteiligen sich an Dokumentationen, wirkten an dem Kinofilm „Gesicht zur Wand“ mit.

Ich will meine Erfahrung der deutschen Teilung weitergeben, und zwar sprachlich auch auf einfache Art. Ich habe meist mit älteren Schülern oder Lehrlingen zu tun. Die geschichtlichen Vorkenntnisse werden immer weniger, und an den Reaktionen merke ich, dass es viel wirksamer ist, wenn ich als Betroffene erzähle.Viel mehr als jedes gedruckte Wort oder jedes Video.

Stimmt Sie das zufrieden?

Wenn ich nur einen kleinen Teil der Leute dazu bewege, Interesse am Thema zu finden, dann habe ich Gutes erreicht, denke ich. Aber auch das Gefühl, dass man mir glaubt, ist mir wichtig. Die Arbeit als Zeitzeugin ist mein Beitrag für die Gesellschaft. Für mich ist das der Weg der Ameise, kleine Schritte mit winzigen Tapsen.

Haben Sie das Gefängnis noch mal besucht?

Im Winter 1990/91 war ich privat an der Burg Hoheneck. Seither fahre ich gemeinsam mit ehemaligen Frauen, die mit mir die Haftzeit teilten. Wir tun das, um uns zu erinnern und uns gegenseitig zu stützen. Viele schämen sich, über ihre Haft zu sprechen, weil sie leider bis heute schmerzliche Erfahrungen machen. Manche Ahnungslose denken ja: „Wenn die im Knast war, dann muss die auch was gemacht haben.“

■ Über den „Albtraum DDR-Haft“ bloggt Catharina Mäge unter

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