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Interview Lateinamerika"Die Linksintellektuellen sind feige"

Correa hat in Ecuador gesiegt - und auch in vielen anderen Ländern Lateinamerikas regieren Linke. Viele Intellektuelle trauen sich nicht, sie zu kritisieren. Ein fataler Fehler, so der uruguayische Autor Raúl Zibechi.

Correa ist einer von vielen linken Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas. Bild: dpa

taz: Herr Zibechi, am Sonntag haben die EcuadorianerInnen einen Verfassungskonvent mit klarer linker Mehrheit gewählt. Was bedeutet das für Ecuador?

Bild: Archiv

RAÚL ZIBECHI, 55, Publizist und Sozialwissenschaftler, schreibt für die linke uruguayische Wochenzeitung Brecha. Der Spezialist für soziale Bewegungen in Lateinamerika lehrt am alternativen Bildungszentrum "Multiversidad Franciscana de América Latina" in Montevideo. Soeben ist sein Werk "Autonomie und Emanzipation, Lateinamerika in Bewegung" erschienen.

Raúl Zibechi: Präsident Correa wird gestärkt. Wenn die Linke keine allzu radikalen Reformen versucht, dann steigen die Chancen für eine stabile Periode. Seit dem ersten Indígena-Aufstand im Juni 1990 durchlebt Ecuador eine Phase sehr großer Instabilität, mit dem Höhepunkt im Jahr 2000. Rafael Correa ist auch das Ergebnis dieser Volksaufstände. Aber das hängt auch von der Rechten ab, vor allem von der Oberschicht der Küstenstadt Guayaquil. Wenn die ähnlich reagiert wie die Oligarchie von Santa Cruz in Bolivien, kann es zu einer großen Konfrontation kommen. Von außen kommt die Gefahr einer Destabilisierung hinzu - durch den "Plan Colombia", die repressive Antidrogenpolitik der USA, die sie auf Ecuador ausweiten wollen.

Wie wirkt sich die Entwicklung in Ecuador auf die ganze Region aus?

Positiv. Dadurch wird die Strömung der antineoliberaleren Regierungen gestärkt, die von Hugo Chávez in Venezuela und von Evo Morales in Bolivien. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem Bolivien eine sehr heikle Situation durchlebt. Der Verfassungskonvent ist steckengeblieben. Die bolivianische Regierung zeigt erste Verschleißerscheinungen. Umso wichtiger ist der Rückenwind aus Ecuador.

Welche Verschleißerscheinungen?

Die mächtige Oligarchie von Santa Cruz und die USA wollen Morales Grenzen setzen. Das hat nicht so viel mit dem Verfassungskonvent zu tun. Vielmehr soll das Andenhochland, wo die sozialen Bewegungen am stärksten sind, regelrecht umzingelt werden, um Morales zurückzudrängen. Evos Regierung ist die "volkstümlichste" in der ganzen Region, wegen der Herkunft Evo Morales, aber auch wegen der Stärke der sozialen Bewegungen.

Wie geht die Regierung mit dem Konflikt um?

Ich sehe keine klare Position. Offenbar hat die Opposition die politische Initiative. Ihr ist es ähnlich wie schon einmal in Venezuela gelungen, Hunderttausende zu mobilisieren, im Fall Boliviens mit der Forderung nach Autonomie. Sie kanalisiert die Ressentiments der Mittelschicht gegen die Indígenas. Wie das ausgeht, ist offen. Anders als in Venezuela, wo Chávez die Opposition besiegt hat, ist es in Bolivien noch nicht zu den härtesten Auseinandersetzungen gekommen.

Venezuela ist schon in einer anderen Phase

Ja, dort gab es zwei Schlüsselmomente, den Putschversuch gegen Chávez im April 2002 und und den Erdölstreik vom Dezember 2002 bis Februar 2003. In beiden Fällen haben sich die mobilisierten Volkssektoren durchgesetzt, seither ist der zur Vertiefung des Wandels gekommen.

Wie sehr ist die Bevölkerung daran beteiligt?

Im Gesundheits- oder Bildungsbereich geht es vorwärts. Arbeitsgruppen zu Wasser oder urbanen Landrechten haben reale Macht bekommen, es werden Gemeinschaften gebildet, Volkskomitees in den Städten. Andererseits gibt es die Revolution von oben. Chávez Einheitspartei läuft auf eine Wiederholung der kommunistischen Parteien hinaus. Und was den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" betrifft: Da müsste man doch zuerst einmal Bilanz ziehen über den realen Sozialismus, die enormen Fehler analysieren, die begangen wurden, und dann eine Debatte darüber führen, was wir heute unter Sozialismus verstehen. Sonst reproduzieren wir das, was wir schon kennen: zentralisierte Macht und staatliches Eigentum. Wenn Chávez das will, dann ist er schief gewickelt.

Warum sind die lateinamerikanischen Linksintellektuellen nur in ihrem Element, wenn es gegen die Rechte geht?

Der Militarismus der Regierung Bush, ihre Einmischung in Venezuela und in Kuba, das sind reale Probleme, ebenso der deutliche Rechtstrend der lateinamerikanischen Oberschichten - Felipe Calderón in Mexiko oder Álvaro Uribe mit dem Plan Colombia. Bei solchen harten Feinden wächst die Neigung, auch härter zu werden.

Aber zu echten Debatten um linke Theorie und Praxis scheint sie unfähig

Ja, es fehlen Debatten, Analysen, Studien. Uns, die wir etwas anderes versuchen, wird flugs vorgeworfen, wir folgten den extravaganten Ideen eines Antonio Negri. Wer wie die Zapatisten davon redet, "die Revolution zu machen, ohne die Macht zu ergreifen", der wird gleich als Utopist, als Spinner abgetan.

Wer ist dafür verantwortlich?

Viele - etablierte Mächte ebenso wie ein wichtiger Teil der Intellektuellen selbst. Der Brasilianer Emir Sader behauptet zum Beispiel, zwischen Lula und Chávez gäbe es gar keinen Unterschied. Wer sagt, es gäbe zwei Projekte, schreibe die Spaltung Lateinamerikas herbei. Dabei ist es doch ganz offensichtlich, dass sich die Projekte von Chávez und Lula unterscheiden! So eine defensive Reaktion ist verständlich, wenn sie von Präsidenten kommt, die jeden Tag Probleme zu lösen haben, aber Intellektuelle müssen doch diskutieren! Diese Haltung, die Unterschiede zu vertuschen, weil man doch den Imperialismus bekämpfen müsse, ist schrecklich. Von vier, fünf Jahren wurde hier mehr gestritten. Gerade findet ein intellektuelles Rollback statt.

Hat das etwas mit falsch verstandener Solidarität mit den eigenen Genossen an der Regierung zu tun? Diese Art der Lähmung gibt es ja nicht nur in Brasilien, sondern auch in Uruguay.

Ja. Es herrscht eine Art Korpsgeist, eine defensive Haltung, die im Ergebnis die Leute entpolitisiert. Es ist wie damals in Osteuropa, die fehlende Debatte, die fehlende Kritik, fehlende Ideen führen zu Entpolitisierung. Es geht aber auch anders. Eduardo Galeano sagt, ich kritisiere die Regierung Uruguays, damit sie besser regieren kann. Doch die meisten halten den Mund, weil es ja gegen die Rechte gehen soll.

Was muss passieren, damit dies anders wird?

2010 geht Lula. Dann kommt in Brasilien ein rechter Präsident, dann wird auch die Debatte anders laufen. Dann geht es nicht mehr darum, Lula zu verteidigen. Mir fällt das sowieso schwer: Lula unterdrückt die Bewegungen nicht, aber er vertieft das neoliberale Wirtschaftsmodell. Auch über die Agrotreibstoffe wird nicht wirklich diskutiert. Keiner hat den Anstoß von Fidel Castro vor einem halben Jahr ernsthaft aufgegriffen, und Fidel ist ja nicht irgendwer. Immer mehr verweigern die Debatte, um sich Probleme zu ersparen.

Um auf Ecuador zurückzukommen: Dort gab es ja mit Alberto Acosta, der demnächst den Verfassungskonvent anführen wird, immerhin einen Erdölminister mit ökosozialistischen Ansätzen. Müsste die lateinamerikanische Linke nicht viel stärker in diese Richtung gehen?

Ja, ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss auf einer anderen Energieökonomie aufbauen. Weg vom Erdöl und vom Erdgas, viel rationaler, diversifizierter, mit erneuerbaren Energien. Außerdem müsste dieser Sozialismus eine Basis in den indigenen Kulturen haben, denn in Lateinamerika waren es vor allem die Indígenas, die die Umwelt erhalten haben. In Ecuador schützen sie den Regenwald Amazoniens. Sie führen die Prozesse gegen Texaco und andere Multis. Wir müssen zu einer Art "Ökoindosozialismus" kommen.

INTERVIEW: GERHARD DILGER

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