Interview Heidemarie Wieczorek-Zeul: "Neugewichtung von Markt und Staat"
Der UN-Gipfel für Entwicklungsfinanzierung war ein Erfolg, findet Bundesministerin Wieczorek-Zeul. Sie fordert die Schaffung eines UN-Rats für ökonomische, soziale und ökologische Fragen.
Entwicklungsministerin HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL (SPD) war UN-Gesandte für den Entwicklungsgipfel.
taz: Frau Wieczorek-Zeul, auf dem UN-Gipfel für Entwicklungsfinanzierung vergangene Woche in Doha haben die Geberländer im Grunde ihre schon früher gemachten Entwicklungshilfezusagen nur noch einmal bestätigt. Trotzdem bezeichneten Sie das Ergebnis als Erfolg. Wie das?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Bisher ist in jeder Krise die Entwicklungshilfe zurückgedreht worden. Es ist daher durchaus ein Erfolg, dass sich die Industrieländer jetzt mitten in der Finanzkrise verpflichtet haben, die Entwicklung weiter zu finanzieren und sogar auszubauen. Das ist dringend notwendig.
Daraus besteht der Konsens von Doha?
Wir haben einen Konsens erzielt, dass wir die Krise nur bewältigen, wenn sich die Länder nicht auf ihre eigenen Probleme zurückziehen. Man muss sich ins Bewusstsein rufen: 1 Prozent Minus beim weltweiten Sozialprodukt bedeutet, dass 40 Millionen Menschen in Armut zurückfallen. Es gibt noch mehr Fortschritte, etwa die Verkoppelung von Entwicklung und Klimaschutz, ein Insolvenzverfahren für überschuldete Staaten und die Mobilisierung finanzieller Ressourcen durch Steuern.
Konkret beschlossen wurde das alles aber noch nicht.
Nein, aber die Referenzpunkte sind da. Die praktische Umsetzung braucht den politischen Willen und das konkrete Handeln. Wir setzen das um.
Sie haben sich in Doha besonders für die Bekämpfung der Steuerflucht eingesetzt. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Wir haben eine Studie vorgelegt, wonach den Entwicklungsländern Einnahmen von jährlich 500 Milliarden US-Dollar verloren gehen, die nicht für Gesundheit, Bildung und Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen. Wir müssen daher die Steuereinnahmen der Entwicklungsländer stärken und die Steuerflucht bekämpfen, die für Entwicklungs- und Industrieländer gleichermaßen schädlich ist.
Was hat man sich unter dem von Ihnen vorgeschlagenen Steuerpakt vorzustellen?
Es geht zunächst um einen Austausch mit dem Ziel einer globalen Übereinkunft. Da sind auch die Finanzministerien gefragt, um denen das Handwerk zu legen, die der Gesellschaft weltweit Mittel entziehen.
Der große Erfolg der Doha-Konferenz war, eine weitere Konferenz einzuberufen, sagen Entwicklungsorganisationen.
Die aktuellen Fragen sind doch: Wie geht es weiter mit der Finanzmarktregulierung und mit der Bekämpfung der Krise, mit Investitionen in den Klimaschutz oder in die Hungerbekämpfung? Darauf müssen wir gemeinsam Antworten finden, und zwar mit allen Ländern. Deshalb ist eine UN-Konferenz zur Finanzkrise so wichtig.
War Doha somit eine Gegenbewegung gegen die Anmaßung der großen Länder der G 20, die Welt zu regieren?
Ich bin da pragmatisch. Ich finde es gut, dass sich die G 20 auf ihrem Finanzgipfel auf Maßnahmen in Richtung einer Regulierung der Finanzmärkte geeinigt haben und dass die USA da mitmachen. Aber auch die 171 übrigen Staaten müssen ihre Stimme gehört wissen.
Sie haben vor Kurzem angemerkt, es kämen manchmal Situationen, in denen große Schritte möglich sind. Haben wir derzeit so eine Situation?
Meines Erachtens ja. Die Vorstellung, dass der Markt alles regelt, hat uns in eine katastrophale Lage gebracht. Jetzt besteht die Chance einer Neugewichtung des Verhältnisses von Staat und Markt. Dafür ist die Schaffung eines UN-Rats für ökonomische, soziale und ökologische Fragen von höchster Bedeutung.
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