Interview Cem Özdemir: "Ich tendiere zur Rock-&-Roll-Abteilung"
Sein Landesverband verweigerte ihm einen Listenplatz, dennoch soll Cem Özdemir zum Bundesvorsitzenden gewählt werden. Warum der Realo findet, dass die Grünen nicht nur mit Bildungsbürgern reden sollten.
taz: Herr Özdemir, fühlen Sie sich von Ihrer Partei gemocht?
Cem Özdemir: Ich fühle mich pudelwohl in meiner Partei. Die Ereignisse in Schwäbisch-Gmünd haben daran nichts geändert. Für meine Kandidatur bekomme ich nach wie vor viel Unterstützung aus der Partei.
Was ist denn in Schwäbisch-Gmünd schiefgelaufen, wo Ihr Landesverband Ihnen den Listenplatz zur Bundestagswahl verweigerte?
Manches. Ich bin weiterhin davon überzeugt, dass es der Partei nutzen würde, wenn ihr Bundesvorsitzender auch ein Mandat im Bundestag hat. Doch bei der Frage der Trennung von Amt und Mandat betreiben die baden-württembergischen Grünen, die sonst so reformerisch sind, Traditionspflege. Hier ein Amt und ein Mandat zu wollen ist so, als wollte bei der CDU ein bekennender Atheist in den Parteivorstand. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet diese Tradition unter Denkmalschutz gestellt werden muss. Darüber müssen wir im Landesverband auch noch einmal reden, aber in der Sache und nicht im Kontext meiner Kandidatur.
Der scheidende Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer betont, ihm habe ohne Bundestagsmandat auch nichts gefehlt.
Es wäre auch nicht Reinhards Stil, zu behaupten, ihm - und damit in Zukunft mir - fehlte politische Gestaltungsmacht. Wir sollten uns aber fragen, ob das Gerangel nach dem Regierungswechsel zwischen Fraktions- und Parteispitze nicht dadurch verstärkt wurde, dass Reinhard nicht in der Fraktion verankert war.
Was ist der Unterschied zwischen Realo und Reformer?
Ich verwende beide Begriffe, nenne mich selbst aber Realo, das ist Gewohnheitssache. Realo bedeutet für mich, Ziele im Kontext ihrer möglichen Umsetzung zu formulieren. Allerdings wächst der Anteil der Grünen, die sich keinem Flügel zuordnen.
Wenn es um die Wurst geht, sind die Flügel immer wieder ganz da.
Die Flügel haben die Funktion, Debatten und Entscheidungen zu organisieren. Nur spielen sie bei der Identität der Partei nicht mehr eine solche Rolle. Streits wie etwa zum Grundeinkommen finden auch quer zu den Flügeln statt.
Eignet sich das Thema Jamaika-Koalition nicht für einem typischen Flügelstreit?
Nur Union und FDP träumen von Jamaika, weil sie merken, dass es für sie alleine nicht mehr reicht. Aber wahr ist auch, dass ich bei meinen Reisen durch die Partei viele Parteilinke getroffen habe, die von ihren Frustrationen über die Beton-SPD berichten und Heldenarien über die gute kommunale Zusammenarbeit mit der CDU singen. Da schlackere ich mit den Ohren - wir müssen schließlich auch an die rot-grünen Wechselwähler denken.
Viele Leute wählen heutzutage strategisch. Die wollen wissen, welche Machtoption es gibt, wenn sie ihre Stimme der kleinsten Partei geben sollen.
Die Leute wollen vor allem wissen, welche Politik machen die mit meiner Stimme. Wir sind auf Landesebene in verschiedenen Koalitionen, dabei lassen wir uns an der Verlässlichkeit der grünen Handschrift messen.
Die Grünenführung präferiert für 2009 ein rot-gelb-grünes "Ampel"-Bündnis. Dafür brauchen Sie einen Draht zur FDP. Wird das mit der Finanzkrise nicht schwieriger?
Auch in der Sozialpolitik, bei den Arbeitnehmerrechten, selbstverständlich in der Ökologie haben wir massive Differenzen. Ich kenne die Debatte bestens: Mein WG-Mitbewohner in Brüssel ist Mitglied im FDP-Bundesvorstand. Die Finanzkrise hat uns politisch nicht näher gebracht. Doch muss die FDP sich überlegen, ob sie sich als Teil eines Modernisierungsprojekts oder als Lordsiegelbewahrer von Lobbyinteressen sieht.
Was wird Ihre Hauptaufgabe als Parteivorsitzender im kommenden Jahr sein?
Natürlich die Wahlkämpfe und die Auseinandersetzung mit den anderen Parteien. Unter anderem haben wir eine Europawahl. Ich lege gesteigerten Wert darauf, dass die nicht nur als Stimmungstest gesehen wird. Dann haben wir in Brandenburg, Sachsen und Thüringen schwierige Landtagswahlen, die unseren vollen Einsatz erfordern, weil wir dort dünne Personaldecken haben, und - wie auch im Saarland und in Hessen - unsere Mittel begrenzt sind. Vor allem aber ist Bundestagswahlkampf, und da wollen wir den Laden rocken.
Also doch wieder Rock & Roll bei den Grünen.
Musiktechnisch tendiere ich sowieso zur Rock-&-Roll-Abteilung, weshalb ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass Led Zeppelin doch noch einmal auf Tour gehen. Was mich beschäftigt, ist, wie wir an die meist jungen Leute herankommen, die eine andere Vorstellung von Politik haben, als in eine Partei einzutreten. Die denken häufig themengebunden. Sie pflegen digitale politische Kommunikation in Netzwerken, die auch wir für uns noch stärker nutzbar machen sollten. Wir müssen von der Obama-Kampagne lernen und Medien wie Facebook und YouTube zur stärkeren Mobilisierung nutzen. Es kommt uns nicht mehr nur auf den "Tagesthemen"-Auftritt an.
Die grüne Prominenz hat sich nach dem Gang in die Opposition 2005 um jeden Medienauftritt gebalgt. Nehmen Sie sich zurück, damit Renate Künast und Jürgen Trittin leuchten können?
Die beiden stehen als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im Rampenlicht. Das hat sich mit Joschka 2002 und 2005 bewährt. Aber warum sollte es im Interesse der Partei sein, wenn sich Einzelne zurücknehmen, wenn es doch darauf ankommt, Gas zu geben?
Es kann nicht jeder ins Fernsehen. Und Ihnen wird keine mediale Schüchternheit nachgesagt.
Mediale Schüchternheit steht in diesem Wahlkampfjahr auch nicht in der Jobbeschreibung für den Bundesvorsitzenden.
Die Welt ist im "Change"-Fieber. Sind Sie auch ein "Change"?
Na ja, Vergleiche mit Barack Obama sind doch ziemlich vermessen. Er sagt auch nicht einfach, ich mache alles ganz neu. Sein Wandel bezieht sich auf acht reaktionäre Bush-Jahre. Im Übrigen stehen wir Grüne von jeher für Wandel.
Als 42-Jähriger stehen Sie dafür, dass die Rede von der Eingenerationenpartei aufhört.
Das stimmt. Dabei muss man aber klarstellen: Unsere Älteren sind nicht so alt, wie sie gern gemacht werden, und unsere Jüngeren sind nicht so jung, wie sie sich selber gerne sehen. Dieses ganze Generationenthema ist nicht so mein Ding. Jugend ist kein Programm.
Sie haben 1999 mit 40 jüngeren Funktionsträgern ein Papier verfasst, in dem Sie die radikale Erneuerung der Grünen verlangten.
Formuliert hat das Papier mein Freund Matthias Berninger. Es war damals sicher keine herausragende Idee von mir, das zu unterstützen.
Sie werden der erste deutschtürkische Parteichef sein. Finden Sie das immer noch super, oder sind Sie die Rolle des Supermigranten schon leid?
Dass Sie mich danach fragen, zeigt ja, welchen Weg wir noch vor uns haben. Natürlich weiß ich um die Verantwortung und dass viele Leute auf mich schauen. Grundsätzlich aber denke ich: Was man sagt und was man macht, zählt, nicht die Herkunft.
Mit Claudia Roth haben die Grünen bereits eine Parteivorsitzende mit Türkeischwerpunkt.
Meine Schwerpunkte sind Chancengerechtigkeit und soziale Durchlässigkeit. In diese sozialen Fragen spielt die Ökologie zunehmend mit hinein. Weil ich nicht nur einen Migrations-, sondern auch einen Arbeiterhintergrund habe, weiß ich allzu gut, wie viele Dinge in solchen Milieus niemals ankommen. Auch viele Grüne orientieren sich von Sprache und Habitus her am Bildungsbürgertum. Wenn man aber will, dass nicht nur Bildungsbürger ihren Stromanbieter wechseln, muss man dafür sorgen, dass die Leute verstehen, was das ist. Weil ich privat meinen Strom von den Elektrizitätswerken Schönau beziehe, habe ich mit den Schönauern den ersten Prospekt auf Türkisch für den Umstieg gemacht.
Bildung ist Ihr anderes Lieblingsthema. Die aber ist Ländersache. Stellen Sie sich damit bundespolitisch nicht ins Off?
Die Bildung der Migranten- und Arbeiterkinder ist die Schlüsselaufgabe der Gesellschaft. Ich will, dass die Grünen die erste Adresse für alle sind, die sich um das Thema Schule Sorgen machen. Aufgabe der Grünen ist, die Qualitätsfrage zu stellen. Ihnen muss es darum gehen, dass gerade auch in den Stadtteilen, in denen viele sozial Ausgegrenzte leben, die besten Kindergärten und die besten Schulen sind.
Grüne Eltern ziehen vorzugsweise von Neukölln und Kreuzberg weg, sobald ihre Kleinen eingeschult werden.
Ich wohne auf der Grenze von Neukölln und Kreuzberg. Ich kenne die Eltern, die Schulinitiativen, die Debatten. Die Grünen müssen mit dafür sorgen, dass Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen, nicht gezwungen sind, sie auf Schulen zu stecken, wo man nur unter Teutonen ist.
Sie stehen auch bald vor der Frage, wo Sie Ihre Tochter einschulen.
Ich werde mit meinem Kind genauso wenig experimentieren wie andere Eltern auch. Sie haben aber sicher Verständnis, dass ich die Schulfrage lieber erst mit meiner Frau diskutiere als mit der taz.
INTERVIEW: PETER UNFRIED & ULRIKE WINKELMANN
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