Interview Afghanistan-Einsatz: "Der Westen löst keine Probleme"
Der Militäreinsatz in Afghanistan ist gescheitert, meint Monika Knoche von der Linksfraktion. Der Grüne Winfried Nachtwei ist hingegen noch immer überzeugt, dass die Fortschritte den Einsatz rechtfertigen.
taz: Herr Nachtwei, bedauern Sie es manchmal, dass sich die Grünen im Jahr 2001 dem Afghanistaneinsatz nicht verweigert haben?
Winfried Nachtwei: Nein. Ich bedauere allerdings, dass wir die Größe dieser Herausforderung damals nicht angemessen wahrgenommen haben.
Wenn Sie die erkannt hätten, hätten Sie dann nicht dagegen stimmen müssen?
Nachtwei: Nein. Es ist oft so in der internationalen Sicherheitspolitik, dass die Zukunft eines Einsatzes nur begrenzt absehbar ist. Ende 2001 standen zwei Einsätze zur Abstimmung. Wie der US-geführte Antiterroreinsatz "Enduring Freedom" aussehen würde, lag damals tatsächlich in so dichtem Nebel, dass ich eine Entscheidung zunächst unverantwortlich fand. Der Wiederaufbaueinsatz Isaf, über den wir wenige Wochen später abstimmten, war immerhin schon durch ein UN-Mandat abgesichert. Bis etwa 2005 lief es in Afghanistan ja eher gut. Seither ist die Lage zwar kritisch, doch ist auch die "Operation Enduring Freedom" nicht zu dem rot-grünen Vietnam geworden, das wir 2001 kommen sahen.
Frau Knoche, Sie waren damals noch eine Grüne - eine grüne Einsatzgegnerin. Wäre eine kompetentere Entscheidung möglich gewesen?
Knoche: Auf jeden Fall. Ich wunderte mich damals sehr, mit welchem Selbstvertrauen sich die Mehrheit der Grünenfraktion über die kulturellen und politischen Besonderheiten Afghanistans hinwegsetzte. Welche Erfahrung die Rote Armee mit dem absoluten Widerstandswillen der Afghanen gemacht hatte, war den meisten unbekannt. Die rot-grüne Regierung gab die Maxime der "bedingungslosen Solidarität" mit den USA aus und hat gegen die Kritikerinnen und Kritiker die Vertrauensfrage als erpresserisches Zwangsmittel genutzt: Wer dagegen war, gefährdete Rot-Grün.
Dann finden Sie ja beide, dass der Bundestag zu blöd für diese Entscheidung war.
Knoche: Es war klar, dass die geringe Zahl von Soldaten, die nach Kabul geschickt wurde, nichts würde ausrichten können. Ich habe damals schon gesagt: Da müssen nicht 3.000 Soldaten hin, sondern 300.000, wenn man dieses Land entwaffnen und die Fundamentalisten militärisch zurückdrängen will - vom völkerrechtswidrigen OEF-Einsatz einmal abgesehen.
Merkwürdig, dass eine Einsatzgegnerin schon immer gesagt haben will, ein Vielfaches von Soldaten sei nötig.
Knoche: Ich habe den Einsatz von vornherein für falsch gehalten. Aber diejenigen, die in der militärischen Logik argumentierten, waren denkbar inkompetent in der Frage, was man mit wie viel Militär erreichen kann.
Nachtwei: Wir waren nicht zu blöd für die Entscheidung. Wir wussten, was historisch in dem Land gelaufen war. Aber gerade weil die Sowjets in Afghanistan mit einer großen Armee gescheitert waren, man aber al-Qaida und Verbündete vertreiben wollte, hat man den Unterstützungsansatz mit dem "light footprint" betont: wenige Soldaten, und diese regional - zunächst auf Kabul - begrenzt. Das war ein Kompromiss zwischen dem Notwendigen und dem, was die Länder zu geben bereit waren. Dann aber wurde das Engagement sehr halbherzig fortgeführt. Die Beschränkung auf Kabul stellte sich als falsch heraus, doch zunächst geschah nichts.
Halbherzig ist seither auch das Votum der Grünen: ein bisschen Ja, ein bisschen Nein.
Nachtwei: Das liegt daran, dass es kein pauschales Urteil geben kann. Die USA haben sich bis 2005 einen Schnurz um die Isaf gekümmert, sondern nur um "Enduring Freedom". Der Krieg gegen den Terror ist aber eindeutig gescheitert. Der Isaf-Ansatz der Sicherheitsunterstützung dagegen ist zwar insgesamt in der Krise, aber noch nicht gescheitert. In diesem wahnsinnig fragmentierten Land, in dem die Unterschiede zwischen Nord und Süd, von Tal zu Tal so groß sind, kann man Aufbau erkennen - aber gleich nebenan breitet sich die Gewalt aus. Der unermessliche Zustrom von Kämpfern aus den pakistanischen Bergen hat die Sache auf die Kippe gebracht.
Knoche: Doch sind ja die Erfolge im zivilen Aufbau nicht der Isaf, sondern den zivilen Kräften zuzuschreiben. Diese ziehen sich oft zurück, wenn die Nato in die Nachbarschaft kommt. Die Grünen kritisieren jetzt zwar die Antiterrormission OEF, aber beschönigen weiterhin den Isaf-Einsatz. Dabei gibt es diesen Unterschied bestenfalls noch auf dem Papier. Die USA haben beide Missionen unter einem Hut zusammengeführt. Die deutsche Politik kann nicht mehr verleugnen, dass Isaf militärisch operiert. Man spricht von Krieg.
Nachtwei: Auch die Skandinavier und Holland machen unterm Isaf-Mandat gute Arbeit. Es ist richtig, dass es einen Split der Interessen auch in der Isaf-Mission gibt, und das darf man nicht verharmlosen. Im Osten und Süden führen auch die Isaf-Truppen Krieg. Die Bundeswehr im Norden aber führt keinen Krieg, sondern versucht, das Land zu stabilisieren.
Knoche: Lieber Winni Nachtwei, du darfst aber nicht immer nur die Deutschen sehen. Wir sind doch Politiker und müssen darum das Ganze bewerten. Ich käme nie auf die Idee, deutsche Soldaten als aggressive Kämpfer zu beschreiben. Doch trägt außer uns Linken das ganze Parlament die Gesamtkonzeption der Nato-Operation mit. Die Verantwortung bleibt.
Nachtwei: Die Bundesrepublik ist in Afghanistan von Anfang an einen anderen Weg gegangen als die USA. Der entscheidende Fehler dabei war nicht die zurückhaltendere Art, sondern dass man sich im eigenen "Kleingarten" eingerichtet hat. Die Bundesregierung erkennt nicht, dass Afghanistan die komplizierteste, teuerste, riskanteste Sache ist, die unsere Außenpolitik je auf dem Tisch hatte. Überwiegend gehen die mit einer Verwaltungsattitüde daran. Aber die Isaf wird gebraucht.
Frau Knoche, verweigern Sie die Differenzierung?
Knoche: Die Armut in Afghanistan hat zu- und nicht abgenommen. Es gibt Mädchenhandel und eine irrwitzige Müttersterblichkeit. Dagegen kann man nicht aufrechnen, was partiell durch den Aufbau von Schulen geschieht. Politikerinnen werden erschossen - und zwar genau da, wo der Kampf gegen den Terror stattfindet. Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul macht eigentlich gute Arbeit. Doch dienen viele Entwicklungsprojekte nur der Reputationsvermehrung von Clanchefs.
Sind gefährdete Politikerinnen nicht ein Fortschritt im Vergleich zu null Politikerinnen?
Knoche: Die Fraueninitiativen, mit denen ich spreche, wissen und sagen, dass sie mit den Taliban selbst fertig werden müssen, wenn die westlichen Truppen abziehen. Aber dennoch sind sie für den Abzug. Sie sagen, eine Zivilgesellschaft kann sich nicht entwickeln, wenn die ausländischen Truppen bleiben. Niemand dort teilt die Vorstellung, dass es nach dem Abzug friedlich zugeht. Aber solange die Nato da ist, werden die Taliban stärker.
Nachtwei: Du hast die Frauen der Initiative Rawa zitiert. Das Afghan Civil Society Forum mit Dutzenden Initiativen dagegen ist einhellig der Meinung, dass die Isaf-Truppen bleiben sollen. Die sagen: Wenn ihr abzieht, gehts uns als Erstes an die Pelle.
Knoche: Natürlich muss man das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung respektieren, alles andere ist unmoralisch. Aber wo wird man dem denn kulturintegriert gerecht? Deutschland hat beim versprochenen Aufbau der Polizei absolut versagt. Die vom Westen mitgetragene Karsai-Regierung schützt Frauenrechte nicht. Die Mittel sind falsch gelenkt worden. Der Westen ist kein Problemlöser. Die einzige Möglichkeit ist eine regionale Lösung: Die Anrainerstaaten müssten in die Lage versetzt werden, auch im eigenen Interesse für Sicherheit in Afghanistan zu sorgen. Die Verbündeten der afghanischen Zivilbevölkerung müssen gestärkt werden.
Wer sollte das sein? Russland und China liefern Waffen an die Taliban, Pakistan will gar kein starkes Afghanistan …
Knoche: Man muss sich um Iran und Indien kümmern. Und man muss den neuen US-Präsidenten Barack Obama in der Nato daran hindern, den militärischen Kampf noch zu forcieren.
Nachtwei: Indien ist schon sehr engagiert in Afghanistan, und auch China fördert den Straßenbau stark - viele Chinesen sind dabei ums Leben gekommen. Dass man aber ohne eine regionale Friedensinitiative nicht weiterkommt, weiß auch Obama. Es gibt Signale, dass er den politischen und nicht bloß den militärischen Ansatz stärken wird. Er lässt sich etwa von Ahmed Rashid beraten, dem kompetentesten Kritiker der USA.
Wird Afghanistan zu einem Vietnam der Nato?
Knoche: Der umlaufende Slogan "Die Nato darf dort nicht scheitern" zeigt jedenfalls, dass es keine rationale Befassung mehr mit der Operation gibt und darum auch keine ehrliche Bilanzierung. Auch einem Obama wird es darum gehen, aus militär- und geostrategischen Gründen in Zentralasien zu bleiben.
Welche Interessen sind das?
Knoche: Schon der damalige US-Präsident Bill Clinton hat vor dem 11. September 2001 Gespräche mit den Taliban über Pipelines geführt. Zum Bruch mit den Taliban entschloss er sich erst, als diese Pipelineprojekte nicht mit ihnen zu realisieren waren. Die Interessen bleiben jedoch.
Nachtwei: Richtig ist, dass die USA ein erhebliches Präsenzinteresse haben. Der Stützpunkt Bagram ist für sie strategische Hardware. Aber unter diesen Hut lassen sich nicht die über 40 an Isaf beteiligten anderen Nationen fassen. Diese Länder wissen, dass militärische Terrorbekämpfung das Problem nicht löst. Denen würde ich kollektives Sicherheitsinteresse unterstellen. Aber diese verschiedenen Interessenlagen und die teils gegensätzlichen Strategien am Boden werden nie offen ausgetragen. Das ist das Hauptproblem der Isaf.
Interview: ULRIKE WINKELMANN
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