Interview ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt: "Das Klima ist rauer"
Erfolge auf höchster Ebene, aber Widerstand im Alltag: Der ARD-Dopingexperte Hans-Joachim "Hajo" Seppelt über den mühsamen Weg hin zu einer kritischen Haltung im Sportjournalismus.
taz: Herr Seppelt, ab Mittwoch zeigt die ARD Biathlon. Im Januar haben Sie damit keine guten Erfahrungen gemacht: Sie hatten einen Doping-Verdacht um eine Wiener Blutbank verbreitet. SWR-Sportchef Antwerpes entschuldigte sich im Ersten gar im Beisein eines Vertreters des Ski-Verbandes DSV für Ihre "journalistische Fehlleistung". Was lief da schief?
Hajo Seppelt: Das Hamburger Oberlandesgericht hat sich des Falls angenommen und entschieden - zu meinen Gunsten. Demnach war der DSV von dieser Verdachtsberichterstattung nicht betroffen. Deshalb wäre mehr Gelassenheit angebracht gewesen.
Das Gericht hat eine Verfügung des DSV gegen Sie aufgehoben. Sie dürfen die Vorwürfe wiederholen. Und die Fakten?
Wir haben über aus unserer Sicht glaubhafte Informationen berichtet. Die Informanten können über die Heuchelei mancher Sportfunktionäre nur lächeln. Sie haben aber nicht den Mut, aus der Deckung zu kommen. Andererseits hatten wir auch Profiradsportler beim Namen genannt. Sie dürfen sich fragen, warum keiner vor Gericht zog.
Und in Sachen Wintersport?
Dazu wird hierzulande, in Österreich und auch in anderen Ländern eifrig recherchiert. Manche Informanten sind aber auch jetzt sehr zurückhaltend. Sie haben Angst vor Prozessen und öffentlichen Reaktionen. Andererseits haben wir aus Gesprächen mit Leuten aus der Dopingszene erfahren, dass sich die Situation in Österreich noch krasser darstellte, als wir glaubten. Wir sind auf dem richtigen Weg.
Auch in Peking war wenig von Doping zu hören. Warum?
Beweise für großflächiges Doping der Chinesen im Olympiajahr fehlen tatsächlich. Es gab aber zahlreiche Indizien, wie lax die Chinesen hinter den Propagandafassaden mit dem Thema umgehen. Und bei den Spielen selbst hatte die Berichterstattung unerfreuliche Ausschläge: Sie war meist entweder verharmlosend oder übertrieben. Da waren einerseits Kritikaster unterwegs und andererseits eine Masse von schweigenden Sportjournalisten. Das bezieht sich auf schreibende und elektronische Medien gleichermaßen. In Peking war deutlich zu sehen, wie groß der Graben zwischen diesen Lagern noch immer ist.
Das heißt konkret?
Eigentlich ist es unsere Pflicht, die Menschen auch über die Schattenseiten zu informieren, seien es politische Probleme oder Doping. Es ist aber nicht immer einfach, Vertreter der traditionellen Lehre davon zu überzeugen. Für viele ist Olympia noch immer eine Welt, die nicht angetastet werden darf.
Sportjournalisten sind also so unkritisch wie eh und je?
Nein. Die Haltung hat sich verändert. In der ARD erkenne ich das besonders auf Ebene der Direktoren und Intendanten. Und im gesamten Sportjournalismus - ob in Zeitungen, im Radio, im Fernsehen oder im Netz - ist zu spüren: Die Position der kritischen Sportjournalisten hat mehr Gewicht bekommen. Nach meinem Eindruck gibt es in der Praxis aber oft noch Widerstände gegen diese Haltung. Die Traditionalisten, für die Sport vor allem Unterhaltung ist, bilden weiter die Mehrheit. Andererseits gibt es auch ganz offensichtlich Besserung, wie etwa die Einrichtung von "Sport Inside" beweist.
Wir hören, dass sich für die WDR-Sendung auch NDR und BR interessieren. "Sport Inside" könnte übernommen werden.
Das wäre eine vielversprechende Entwicklung. Ich merke außerdem, dass junge Kollegen, die in die Sportredaktionen kommen, inzwischen Lust auf anspruchsvolle Recherchen haben.
ARD und ZDF werden bei der Tour de France nicht mehr live dabei sein. Richtig so?
Ich finde, es ist nicht das Schlechteste, wenn sich die Öffentlich-Rechtlichen darüber Gedanken machen, wie sie mit dopingverseuchten Wettkämpfen umgehen wollen. Auf der einen Seite mag es widersprüchlich wirken, gerade dann rauszugehen, wenn die Dopingbekämpfer konsequenter agieren als noch vor Jahren und Doper aus dem Verkehr ziehen. Andererseits: Es zeigt sich, dass hier nicht nur ein Ereignis, sondern gleich eine ganze Sportart mit einem massiven Problem zu kämpfen hat. Der Ausstieg hat eine Signalwirkung für andere Events und Sportarten, weil jeder sieht, dass wir unsere journalistischen Grundsätze nicht vergessen. Wir dürfen keine Abspielfläche für großflächigen Betrug sein.
Wir wissen viel über Betrug im Radsport. Wird nicht auch in anderen Disziplinen gespritzt?
Bestimmt in einigen. Bemerkenswert sind etwa Netzwerke in der internationalen Leichtathletik, die sich kaum einer Kontrolle stellen. Man müsste mal die Russen und Jamaikaner konsequent unter die Lupe nehmen. Ich bin überzeugt: Würden wir in vielen anderen Sportarten so intensiv recherchieren wie im Radsport, hätten die ähnliche Probleme.
Und warum macht das niemand? Weil Doping die Zuschauer langweilt?
Nein. Doping ist kein Quotenkiller. Der im Vorfeld zu den Olympischen Spielen ausgestrahlte Film von Jo Goll und mir zu Doping in China hatte einen für solche Formate guten Marktanteil von 9,7 Prozent. Es ist andererseits aber leider so, dass es Dopingreporter nicht wie Sand am Meer gibt. Wie gut würde es uns etwa tun, einen Aufwand betreiben zu können, der mit den Politmagazinen vergleichbar wäre. Der Sport hat riesige Sendeflächen. Eigentlich müssten wir alle 33 olympischen Verbände im Blick haben.
Die dann - wie der Deutsche Fußball-Bund im Fall Weinreich - Juristen losschicken?
Möglich. Das Klima ist für Sportjournalisten deutlich rauer geworden. Die Klagefreudigkeit von Funktionären und Verbänden nimmt zu, seit sie gemerkt haben, dass mehr kritische Reporter unterwegs sind. Das zeigt aber auch, dass die Berichterstattung heute ernst genommen wird. Das war nicht immer so.
INTERVIEW: DANIEL BOUHS