Internet-Abhängigkeit: "Vergleichbar mit Drogensucht"
Eine halbe Million Deutsche sind laut einer Studie abhängig von ihrer täglichen Dosis Internet. Besonders Mädchen und junge Frauen sind gefährdet.
BERLIN taz | In Deutschland sind mehr als eine halbe Million Menschen internetsüchtig. Das geht aus einer repräsentativen Studie der Universitäten Greifswald und Lübeck hervor.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), stellte die Erhebung am Montag vor. Weitere 2,5 Millionen Menschen gelten als gefährdet. Das entspricht einer Quote von einem beziehungsweise knapp fünf Prozent.
Bei Jugendlichen ist die Internetabhängigkeit stärker anzutreffen als bei Älteren. 16 Prozent von ihnen wird eine problematische Internetnutzung unterstellt, vier Prozent sogar eine Sucht. Eine wissenschaftliche Definition von Internetsucht gibt es zwar nicht.
Die Folgen seien aber vergleichbar mit denen von Alkohol- und Drogensucht, sagte Studienleiter Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck. Nach der Definition in der Erhebung verbringen Abhängige mehr als vier Stunden täglich im Internet, vernachlässigen reale soziale Kontakte oder verlieren die Kontrolle über die Zeit, die sie im Internet verbringen. Im Rahmen der Studie wurden 15.023 Personen in ganz Deutschland telefonisch befragt.
Überraschenderweise sind in der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen fünfzig Prozent mehr Mädchen als Jungen betroffen. Fast jedes fünfte Mädchen in dieser Gruppe ist laut Studie gefährdet. Das kann vor allem daran liegen, dass drei von vier der weiblichen Teilnehmer sagte, ihre Hauptbeschäftigung im Internet sei das Surfen auf sozialen Netzwerken.
Virtuelle Realität
"Wir vermuten, dass Mädchen und junge Frauen besonders empfänglich sind für die Bestätigungen, die sie in diesen Netzwerken finden", sagte Rumpf.
Die männlichen Teilnehmer der Studie nutzten auch überwiegend soziale Netzwerke, aber jeder Dritte von ihnen gab an, hauptsächlich online am Computer zu spielen. "Besonders die schweren Fälle von Internetabhängigkeit sind bei Onlinerollenspielenden zu finden, die am Ende sogar ihre Körperhygiene vernachlässigen", sagte Suchtforscher Rumpf.
Zu diesen Rollenspielen zählen zum Beispiel World of Warcraft. Die Drogenbeauftragte Dyckmans ergänzte, dass "die Betroffenen nur noch in einer virtuellen Realität leben". Sie gingen teilweise nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit.
Eine Behandlung ist nicht ohne weiteres möglich. Sehr viele Menschen seien heute auch beruflich auf das Internet angewiesen, sagte Suchtforscher Rumpf. Ihnen müsse geholfen werden, die Onlinenutzung zurückzufahren oder manche Seiten von sozialen Netzwerken zu sperren. Bei Online-Computerspielsüchtigen sei Abstinenz das beste Mittel.
Dyckmans möchte erreichen, dass die Suchtgefährdung in der Altersbewertung von Computerspielen mit aufgenommen wird. Bisher gibt es nur eine Broschüre für Eltern betroffener Kinder. Um sich über die Sucht zu informieren, möchte die Drogenbeauftragte demnächst ein Portal starten - im Internet.
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