Interessenkonflikte um Pflanzengift: Tod auf dem Feld

Glyphosat ist das meistverkaufte Pflanzengift – und das umstrittenste. Über die Nähe von Behörden und Lobbyisten.

Landwirtschaft ohne Risikochemie: Ein Bio-Bauer bringt Jauche auf sein Feld. Bild: dpa

Die Chemikalie, die fast jedes Gewächs vernichtet, mit dem sie in Kontakt kommt, ist überall: in Gärten, Parks oder auf den Raps- und Weizenfeldern Deutschlands, auf den endlosen Palmölplantagen Sumatras, in den Sojaebenen Argentiniens. Sie ist nachgewiesen im Urin von Großstädtern und in der Milch stillender Mütter. Glyphosat ist das weltweit am häufigsten versprühte Pflanzengift – und das umstrittenste.

Für die meisten Landwirte, ihre Berater und die Agrar-Chemie-Unternehmer ist es ein hochwirksames, gut verträgliches Anti-Unkrautmittel. Für Umweltschützer und Kritiker der Agrarindustrie ist es das Ackergift Nummer eins, verantwortlich für Missbildungen und Krebs, ein Teufelszeug, das auf der Stelle verboten werden muss. Kleingärtner halten damit Wege, die Ränder von Tulpenbeeten oder den Boden rund um ihre Stachelbeer- und sonstigen Sträucher vom ungewünschten Grün frei. Die deutschen Bauern spritzen es auf etwa 39 Prozent ihrer Ackerflächen. Es macht ihre Arbeit leichter: Sie können säen, ohne vorher zu pflügen. Sie können Getreide ernten, wenn sie es kurz vor der Ernte mit dem Mittel besprühen, auch wenn die Ähren etwa durch Wetterschäden nicht gleich gereift sind.

Das Vorsorgeprinzip wird sträflich behandelt

Ende des Jahres läuft die Zulassung des Pflanzengiftes in der Europäischen Union aus. Die Prüfungen für die Neuzulassung laufen. Der Fall zeigt wie sonst selten, wie schwer sich Behörden tun, frühzeitig Chemikalien zu verbieten, um Risiken zu vermeiden. Sprich: Mit dem Vorsorgeprinzip, das deutsche Umweltpolitiker schon seit 40 Jahren beschwören, ist es nicht zum Besten gestellt, sträflich wird es vernachlässigt. Mittendrin im erbitterten Streit: Das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, in Berlin. Denn Deutschland ist in dem Verfahren zur Neubewertung von Glyphosat der federführende, berichterstattende Staat. Das BfR hat nach langen, aufwendigen Prüfungen an die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, in Parma gemeldet, dass „von Glyphosat keine Gefahren für die Gesundheit ausgehen”. Nur: Die Internationale Agentur für Krebsforschung, IARC, der Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Stoff vor Kurzem als „wahrscheinlich krebserregend” eingestuft. Wer hat recht? Wem ist zu trauen?

Beide, das BfR und die WHO, gelten als seriös und renommiert. Ihre Mitarbeiter haben sich vergraben in die mittlerweile mehr als tausend Studien zu Glyphosat. Darunter Versuche, bei denen Ratten und Mäuse qualvoll sterben mussten. Sie lesen Stellungnahmen und Kommentare. Ein Bürger, selbst ein einzelner Wissenschaftler könnte das gar nicht leisten. Doch wer sich müht, die Widersprüche aufzuklären, staunt schon über die Ausgangslage. Das BfR überprüft für die Zulassung von Chemikalien vor allem Studien, die die Hersteller selbst zu ihren Produkten machen. Unabhängige Prüfstellen müssen nicht hinzugezogen werden. Meistens erfolgen die Bewertungen ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit. Doch bei Glyphosat ist das anders.

Die Sojabohne für die faulen Farmer

Die Gegner der Agrarindustrie prangern den Stoff seit Jahren als das Monsanto-Gift schlechthin an. Der US-amerikanische Konzern hat ihn in den Siebzigerjahren auf den Markt gebracht. In den Neunzigerjahren wurde er dann zum Kassenschlager: Der Konzern brachte eine gentechnisch veränderte Nutzpflanze heraus, die gegen Glyphosat resistent war. Fortan vertrieb Monsanto das Saatgut und das Herbizid im Doppelpack, der Name: Roundup Ready und Roundup. Bauern, die die Gentechnikpflanzen großziehen, können auch noch nach der Aussaat und während des gesamten späteren Wachstums der Pflanzen alles totspritzen, was auf dem Acker lebt und sie stört, daher der Name Totalherbizid. Die Gentechnikpflanze aber überlebt. „Lazy Farmer Soy” wird diese Technik in Brasilien genannt, die Sojabohne für die faulen Farmer.

In Deutschland dürfen zwar keine Gentechnikpflanzen angebaut werden, aber auch die deutschen Bauern spritzen jedes Jahr rund sechstausend Tonnen Glyphosat, um den Acker zum Beispiel vor der Aussaat blitzsauber zu machen. Vor allem aber sprühen sie Glyphosat auch vor der Ernte. Das ist dann erlaubt, wenn das Getreide etwa durch einen starken Regen am Boden liegt und dort Unkraut durchkommt. Produziert wird das Pflanzengift nicht mehr von Monsanto allein, sondern, seit das Patent ausgelaufen ist, auch von BASF in Mannheim, Bayer in Ludwigshafen, Syngenta in Basel und vielen anderen Herstellern, vor allem chinesischen. Es findet seit Jahren guten Absatz.

Landwirte überrascht

Als es in den Siebzigerjahren hierzulande auf den Markt kam, brachten manche Bauern „vier bis fünf Kilo pro Hektar aufs Feld”, erzählt einer, der bei der Landwirtschaftskammer damals Berater für Ackerbau war und selbst das Glyphosat empfahl. Es sei „einfach in der Handhabung und im Vergleich zu den anderen Herbiziden nur gering toxisch”. Ihn erstaunt, dass der Stoff nun als „möglicherweise krebserregend” eingestuft wird: „Dazu hätten ja nach dreißig Jahren mehr Daten vorliegen müssen.”

Die Funktionäre des Bauernverbandes äußern sich ähnlich. Udo Hemmerling ist Vize-Generalsekretär des Verbandes. In einem Radiointerview sagte er: „Glyphosat unterbricht die Fotosynthese, also das Pflanzenwachstum. Es wirkt also nicht als Gift.” Und: „Deshalb sind wir als Landwirte auch immer davon ausgegangen, dass das ein besonders schonendes Pflanzenschutzmittel ist.” Außerdem hätten die Landwirte selbst ein Interesse an einem dosierten Einsatz – sie wollten Resistenzen auf dem Acker vermeiden.

Tatsächlich machen den Landwirten in den Gentechnikregionen in den USA solche Resistenzen bereits zu schaffen: Dort sind nach jahrelangem Glyphosateinsatz Superunkräuter entstanden, die die Chemie überleben. Sie haben sich laut dem Informationsdienst transGEN bereits auf 30 Millionen Hektar ausgebreitet. Dabei kann bis zur Hälfte der Ernte verloren gehen – der Preis für die jahrelange einseitige Bewirtschaftung der Felder oder die Rache der Natur, wenn man es pathetisch möchte. Noch dramatischer ist, was aus Argentinien über Glyphosat berichtet wird: Dort wird das Pflanzengift oft mit Flugzeugen versprüht, und in den Dörfern am Rande dieser Felder häufen sich Todesfälle, Krebserkrankungen und Missbildungen. Es ist schwer nachzuweisen, ob Glyphosat dafür verantwortlich ist, doch der Verdacht liegt nahe. 

Die Glyphosatproduzenten haben trotz aller Risiken Erfolg – auch durch eine aggressive Werbepolitik.

In Europa verkauft Monsanto das Pflanzengift mit der Botschaft, es sei besser für die Umwelt und den Boden. Dem Konzern hat ein neuer Trend in der Landwirtschaft geholfen. Seit den Neunzigerjahren empfehlen landwirtschaftliche Berater, auf den Pflug zu verzichten: Nach der Ernte das Feld nicht umpflügen, Erntereste einfach liegenlassen und die neue Saat darauf direkt einstreuen. Diese sogenannte Mulchsaat soll Erosion verhindern und Energie sparen. Es gibt einige Bundesländer, die dafür Förderprogramme aufgelegt haben. Die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste hat unter anderem über diese Ackertechnik ihre Doktorarbeit geschrieben. Bei ihren Untersuchungen zur Wirkung der pfluglosen Bodenbearbeitung ist sie immer wieder auf den Einfluss von Monsanto auf die Mulchsaat gestoßen: als Fördermitglied der Gesellschaft für konservierende Bodenbearbeitung, zeitweise auch im Vorstand, bei der Organisation gemeinsamer Feldbegehungen oder von Messen und bei der Finanzierung von Forschungsarbeiten.

„Die Mulchsaat lässt Unkräuter besonders gut gedeihen”, erklärt Beste. „Deshalb profitieren die Glyphosathersteller so sehr vom Ackerbau ohne Pflug.” Ohne das Totalherbizid wäre er komplizierter, wenn nicht gar unmöglich. So schreibt denn auch die einflussreiche Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, DLG, auf ihrer Website: „Wir brauchen das Glyphosat.”

Das hinterlässt Spuren – auch beim Menschen.

Monika Krüger war bis 2013 Direktorin des Instituts für Bakteriologie der tiermedizinischen Fakultät in Leipzig. Die mittlerweile emeritierte Professorin suchte über mehrere Jahre nach den Ursachen einer rätselhaften Rinderseuche, die seit Mitte der Neunzigerjahre ganze Herden dahinrafft. Die gefährlichen Clostridium-botulinum-Bakterien spielen dabei eine Rolle, vermutete Krüger. Aber warum erkrankten die Kühe plötzlich daran? Jemand gab ihr den Tipp, nach einem Zusammenhang mit Glyphosat zu forschen. Krüger nahm dann auch 40 Urinproben von Menschen, die nicht mit Landwirtschaft oder Gärtnerei zu tun hatten. Bei jedem einzelnen von ihnen fand sie – Glyphosat.

Das in Deutschland zuständige BfR hat solche Tests nie gemacht. Als ihre Tests bekannt wurden, lud das Bundesinstitut für Risikoforschung Krüger zum Gespräch. „Ich war damals so blauäugig, dass ich dachte, jetzt gehen die dem nach und geben weitere Tests in Auftrag”, sagt sie. „Aber da kam nichts. Sie haben nur kritisiert, dass ich nur 40 Proben genommen hatte.”

Bedenkliche Stoffe in Muttermilch nachgewiesen

Im Mai dieses Jahres ließ die Grüne Bundestagsfraktion um den Sprecher für Gentechnik Harald Ebner die Milch von 16 stillenden Müttern untersuchen und wies in jeder Probe Glyphosat nach. Auch das wurde vorher nicht erforscht. Müsste ein bedenklicher Stoff, der in Muttermilch auftaucht, nicht verboten werden, bis alle offenen Fragen geklärt sind? Das Bundesinstitut für Risikobewertung zweifelt an der Methodik der Grünen und hält fest, dass eine Überschreitung des Trinkwasserhöchstgehaltes für Glyphosat in Muttermilch nicht zwangsläufig ein gesundheitliches Risiko bedeuten müsse. Es bleiben aber noch weitere Fragen offen.

Wenn nach Monsanto und Syngenta die beiden deutschen Konzerne Bayer und BASF zu den weltweit größten Verkäufern von glyphosathaltigen Produkten zählen, warum wird ausgerechnet eine deutsche Behörde beauftragt, den Stoff für die EU zu bewerten?

Nun hat nicht jedes EU-Land eine so gut ausgestattete Behörde zur Risikobewertung mit erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – doch wäre es nicht sinnvoller gewesen, ein Land ohne ökonomische Interessenskonflikte zur Bewertung von Glyphosat auszuwählen? Drei von dreizehn Mitgliedern der BfR-Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände – sie beschäftigt sich mit den gesundheitlichen Risiken und berät die BfR – kommen von BASF und Bayer. Diese Kommissionsmitglieder haben kein „Mitspracherecht bei der Bewertung von Stoffen”, schreibt das BfR im Internet in einer Stellungnahme zu Glyphosat. Eine verdächtige Nähe zwischen Herstellern und Prüfern aber bleibt.

Unterschiedliche Einschätzungen zum Krebsrisiko

Die zeigt sich auch bei der europäischen Glyphosate Task Force (GTF). Zu dieser haben sich über zwanzig Hersteller von Glyphosat, darunter Monsanto und Syngenta, zusammengeschlossen. Sie betreibt das deutschsprachige Informationsportal www.glyphosat.de. Das Grün der Menübalken erinnert verdächtig an den Grünton im Logo des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Neben Bildern von Schmetterlingen auf goldenen Weizenähren wird erklärt, dass Glyphosat im Boden und im Wasser schnell abgebaut werde, sein Einsatz den Boden schütze und die Biodiversität erhalte. Als verantwortlich für die Website firmiert die Kommunikationsagentur Genius GmbH, die unter Referenzen nicht nur die Konzerne Bayer, BASF und Syngenta nennt, sondern auch das Bundesagrarministerium, das Bundesamt für Verbraucherschutz (BVL) und: das BfR und die EFSA.

Ein letztes interessantes Detail: Das BfR schreibt, dass es auch innerhalb der WHO unterschiedliche Einschätzungen zum Krebsrisiko gebe. Deshalb habe die UN-Gesundheitsorganisation zur Aufklärung eine Ad-hoc-Expertengruppe einberufen. Was sie nicht schreibt: Unter diesen Experten, die die Bewertung von der Internationalen Agentur für Krebsforschung, IARC und BfR bewerten sollen, ist auch Dr. Roland Solecki, der Leiter der Pestizid-Abteilung des BfR. Die Glyphosathersteller werden sich freuen, wenn sich diese Beratungen möglichst lange hinziehen. Ein Verbot von Glyphosat in Europa wäre für Monsanto verheerend, die Entscheidung hätte eine Signalwirkung auch für Amerika.

Die Kritiker der agrochemischen Landwirtschaft sind sich einig, dass Glyphosat nicht mehr auf den Acker darf. Mit einem Verbot allein von Glyphosat ist es allerdings nicht getan, weil dann vielleicht noch gefährlichere Herbizide als Ersatz angewendet würden. Aus der Gefahrenzone gibt es nur einen Weg: Landwirtschaft ohne Risikochemie.

TANJA BUSSE, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeozwei 4/2015. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.