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IntegrationsdebatteTürkisch nur als Nebenfach

Erdogans Forderung nach türkischen Gymnaisen in Deutschland sorgt für Streit. Die Union pocht auf das Erlernen der deutschen Sprache. Grünen-Chef Özdemir sieht "große Allergien" gegen alles Türkische.

Die dreijährige Sugra aus Stuttgart trat am Samstag im Tempodrom in Berlin auf der 8. Türkisch-Olympiade außer Konkurrenz auf. Ist sie auf dem Weg in die Desintegration? Bild: dpa

ISTANBUL/BERLIN dpa/apd | Kurz vor der Ankuft von Kanzlerin Angela Merkel in Ankara ist die Debatte um die Integration türkischer Migraten erneut entbrannt. Auslöser war die Forderung von Türkeis Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, türkische Gymnasien in Deutschland einzurichten.

Merkel hatte dies am Wocheende abgelehnt und stattdessen die Bedeutung der deutschen Sprache für eine gelungene Integration der türkischen Mitbürger hervorgehoben und gemahnt, "dass sich Menschen, die über viele Generationen bei uns leben, in dieses Land integrieren - das heißt, teilhaben an dem gesellschaftlichen Erfolg, teilhaben im Arbeitsleben, teilhaben im Familienleben".

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sagte, es gebe Spielraum für mehr Türkischunterricht an deutschen Schulen. Allerdings müsse die deutsche Sprache immer im Mittelpunkt bleiben. Dies sei Voraussetzung für Chancen in Schule und Beruf und zudem das "verbindende Band" der deutschen Gesellschaft. "Auch viele Türken sehen große Vorteile im Erwerb der deutschen Sprache", sagte Böhmer während sie sich mit Merkel auf dem Weg nach Ankara befand. Schon jetzt gebe es in Deutschland Schulen mit Türkischunterricht sowie türkische Privatschulen, allerdings unter deutscher Schulleitung, fügte Böhmer hinzu.

Co-Grünen-Chef Cem Özdemir hielt im WDR dagegen. Deutschland unterhalte überall in der Welt ein Netz von deutschen Schulen, auch in der Türkei. Offensichtlich gebe es in Deutschland "große Allergien" gegen alles Türkische. Das habe damit zu tun, dass die Menschen aus der Türkei die größte Bevölkerungsgruppe seien und damit quasi stellvertretend für alles, was mit Integration und ihrem Scheitern zu tun habe, identifiziert würden.

Premier Erdogan hatte sich am Wochenende während einer Reise nach Libyen frustiert über die deutschen Reaktionen auf seine Forderung gezeigt. Zur Ablehnung Merkels sagte er laut Medienberichten mitreisenden türkischen Journalisten: "Warum dieser Hass gegen die Türkei? Ich verstehe es nicht. Das hätte ich von der Bundeskanzlerin Merkel nicht erwartet."

Merkel will mit Erdogan in Ankara auch über die jahrelangen schleppenden Beitrittsverhandlungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem NATO-Partner Türkei sprechen. Erdogan verlangt die Vollmitgliedschaft seines Landes in der EU. Merkel ist für eine enge Anbindung der Türkei, plädiert aber für eine sogenannte privilegierte Partnerschaft statt einer Vollmitgliedschaft. Weitere Themen sind die Lage in der Region mit Blick auf den Iran und Israel sowie der schwierige Versöhnungsprozess der Türkei mit Armenien.

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete unter Berufung auf Quellen im Kanzleramt, Merkel werde klarer als bisher für eine Annäherung der Türkei an die EU eintreten. Es gehe ihr darum, die Türkei ungeachtet langer Verfahrensfragen schon jetzt näher an Europa zu binden. Als denkbar gelte, dass die EU in Visumsangelegenheiten den Türken entgegenkommt. Ankara will Visumsfreiheit.

Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte, das Angebot einer "privilegierten Partnerschaft" sei ein Fehler. Nur eine glaubhafte Beitrittsperspektive könne die Demokratisierung der Türkei voranbringen, sagte sie im Südwestrundfunk.

Aber auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), setzt sich von der Haltung der Kanzlerin sb. Polenz sagte dem Tagesspiegel: "Es wäre besser, die Türkei in der Europäischen Union zu haben - aber nur eine Türkei, die die EU-Kriterien erfüllt, nicht nur nach Buchstaben, sondern in Wort und Tat." Polenz gehört ebenfalls zur Reisedelegation Merkels.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lobte die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, forderte aber zugleich bessere Rahmenbedingungen. DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte der "Berliner Zeitung" (Montag), wirtschaftlich gehöre die Türkei bereits zu Europa. Wichtig wären substanzielle Reiseerleichterungen für die türkischen Partner, sagte Driftmann. Deutschland sei für die Türkei der größte Handelspartner. In der Türkei sind rund 4.000 deutsche Unternehmen vertreten.

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12 Kommentare

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  • U
    uiop

    Ich denke, unabhängig davon, wie Erdoğan argumentiert hat (ich finde, er hätte sowohl den ethnischen Aspekt als auch die Integrationsdebatte zur Abwechslung einfach mal weglassen können) zweisprachige türkische Gymnasien in Deutschland wären eine echte Bereicherung und sie sollten allen Interessierten offen stehen, ob sie nun aus deutschen, türkischen, deutsch-türkischen oder noch ganz anderen Familien kommen. Es geht ja um eine institutionelle Förderung der Zweisprachigkeit auf schriftsprachlichem, fachsprachlichem und auch literarischem Niveau. Wenn jemand Türkisch von Haus aus kann, dann kann er eben noch nicht automatisch schon türkische Literatur im Original lesen und verstehen, oder auch geistes- oder naturwissenschaftliche Fachtexte. Wenn jemand von Haus aus Deutsch kann, dann kann er auch noch nicht automatisch Thomas Mann o.ä. lesen, sondern muss sich das erst in jahrelangem Unterricht in der Schule erarbeiten bzw. sich dazu anleiten lassen. Ich denke, so etwas ist gemeint, wenn von türkischen Gymnasien die Rede ist. Wer ein türkisches Gymnasium in Deutschland absolviert hätte, hätte sich damit eine Text- und Studierfähigkeit in beiden Sprachen – Türkisch und Deutsch – erarbeitet. Das wäre doch eine wunderbare Sache und ich verstehe nicht, was man dagegen haben könnte.

  • A
    aso

    @ Daniel Preissler:

     

    Komisch nur, daß, ließe man durchblicken, man habe wenig für Christen übrig, man nicht ständig mit netten Zuwendungen

    in Form von Denunziation und Diffamierung von netten Lesern im taz-Forum beglückt würde...

    Sie haben eine aussagekräftige Erklärung?

     

    Die „Nettigkeiten“ gingen oft soweit, daß man mir „Hetze“ vorwarf...

     

    Wenn ich dann nachhackte, wo denn bitteschön die Hetze sei, man möge die beanstandeten Stellen doch bitte zitieren...:

    schweigen im Walde...

     

    Bis auf einmal: „@ Art“ war mutig, und in der Annahme was Anstößiges gefunden zu haben:

    am 05.03.2010 15:22 Uhr brachte er als ein Beispiel für eine pauschale Diffamierung:

     

    "Christen werden von Muslimen als Menschen zweiter Klasse betrachtet."

     

    (aus einem Kommentar von mir über Cristenverfolgung im Islam, bezüglich des taz-Artikels: „Christen im Irak“, 28.02.2010).

    Nachdem ich nachwies, daß ich damit lediglich den Bischof von Arabien zitierte (der es als Insider ja wissen müßte...): erneutes Schweigen...

  • T
    TOM

    Findet euch damit ab, jeder kann fordern was er möchte. Wäre mal was neues wenn Politik nichts fordert, also was soll die künstliche Aufregung wenn diesmal ein Türke etwas fordert? Sind wir im Kindergarten?

  • F
    Fawkrin

    Ich verstehe Hr. Erdogan so wie er auch von Eser interpretiert wird.

    Ich habe nicht übrig für Kommentare, die Türken pauschal Integrationsunwilligkeit unterstellen.

    Ich halte auch nichts von Kommentaren, die der türkischen Politik Erpressung unterstellen.

    Tatsache ist die Existenz französischer und englischer Gymnasien in Deutschland.

    Tatsache ist auch die Existenz deutscher Schulen rund um den Globus, die eben nicht nur für Diplomatenkinder sind.

    Aus welchem Grund soll es denn nun keine türkischen Gymnasien geben? Weil es Türken in Deutschland gibt, die nicht gut genug Deutsch sprechen? Oder weil Türken in den Augen vieler Europäer Menschen zweiter Klasse sind?

  • DP
    Daniel Preissler

    Britt: "Merkel sollte diesen osmanischen Volkstribun endlich mal energisch in seine Schranken weisen. Man stelle sich Deutschland würde sich einem anderen Land, das deutsche Minderheiten hat, so gegenüber aufführen."

     

    Das erwarten Sie also von unserer germanisch-slawischen Volkstribunin? Man darf Merkel nämlich mit gleichem oder größerem Recht so, nennen, wenn Sie Erdogan so titulieren, schließlich ist auch Merkel a) gewählt und b) nicht adelig. Die "spätrömische Dekadenz" findet sich bekanntlich eher bei Adeligen (ob in ihr jeweiliges Amt gewählt oder ernannt). Und, wie im taz-Kommentar zu lesen ist, führt sich Deutschland eben genauso in anderen Ländern auf.

     

    Wie Felix wissen sollte, sind die Deutschen das zweitgrößte europäische Volk nach den Russen. In früherer Zeit (u.a. nach den Schwabenzügen im 11. und 12. Jh., wenn ich nicht irre) lebte dieses Volk (wenn man es den als ein einziges sehen will) z.T. weit in Mittel- und Osteuropa verteilt. Reste (pardon!) davon sind heute noch z.B. in Russland (Ostpreußen) und Rumänien zu finden. Ich glaube kaum, dass diese Leute alle Diplomatenstatus haben.

     

    Und dass Aso intelligent und belesen ist, aber wenig für Moslems übrig hat, wissen wir auch nicht erst seit heute. Dennoch möchte ich Sie, liebeR Aso, nicht mit Britts Pöbelei auf eine Stufe stellen.

     

    Freundliche Grüße und bis bald

    DP

  • D
    denninger

    Ja genau "Eser", so muss es sein:

    Das deutsche Bildungssystem wird eine Sprachschule für den "Heimat"-Urlaub!

    Obwohl, einen Vorteil hätte das Ganze schon. So kann an Hand der Zweitsprache ganz offiziell und ohne Kritik in deutsche und türkische Klassen separiert werden.

    Ist das denn Integration?

  • A
    aso

    @ Eser:

     

    „...nämlich dass die türkischen Menschen hier in Deutschland ohne Türkischkenntnisse in der Türkei überhaupt nicht zurecht kommen würde...“:

     

    Wenn Sie als Türke in D leben, und privat in die Türkei fahren, z.B. in Urlaub, so ist das Ihre Privatsache. Auch wie Sie dort kommunizieren. Wenn Sie Ihren Lebensmittelpunkt in die Türkei verlegen würden, müßten Sie sich auch privat um Sprachkenntnisse bemühen...

    Türkische Schulen, weil Türken sich schämen sich für einen VHS-Kurs anzumelden?

    Wer soll denn das finanzieren...?

  • MF
    Marjam F.

    Seit Özdemir Flugmeilen geklaut hat habe ich eine Allergie gegen ihn!

     

    Erdogans Aussage die Türken sollen zuerstmal ihre Muttersprache lernen ist richtig, allerdings ist die Muttersprache der türkischstämmigen in Deutschland die deutsche Sprache.

  • FL
    Felix Lichtenegger

    Vergleiche hinken meist. Wenn Cem Özdemir meint, daß Deutschland in der ganzen Welt deutsche Schulen unterhält, dann gehe ich davon aus, daß die Schüler dort aus Familien stammen, die nur zeitweise in diesen Ländern leben (Diplomaten, Wirtschaftsleute etc.).

     

    Schüler aus türkischen Familien in Deutschland werden vielfach nicht mehr in die Türkei zurückkehren oder nächstes Jahr mit ihrer Familie an einen Standort in ein völlig anderes Land wechseln, wie bei Diplomaten üblich.

     

    Warum bildet man nicht für den Bedarf Lehrer aus, die Türkisch als Sprache unterrichten, die dann als Haupt- oder Nebenfach in Realschulabschluß oder Abitur als Fremdspache anerkannt werden. Die türkischen Mitschüler hätten dann den Vorteil gegenüber den deutschen Schülern, eine in der Familie gesprochene Sprache als Fremdsprache "lernen" zu können.

  • E
    Eser

    Ich bin türkischer Staatsbürger und politisch ein absoluter Gegner Erdogans, aber in diesem Thema wurde er wohl falsch verstanden: Ich kann, wie man offensichtlich feststellen kann, deutsch sprechen (deutsche Freunde sagen von mir, ich sei deutscher als so manche Deutsche, weil ich eben auch NUR deutsche Literatur lese). Derzeit studiere ich auch. Was mich aber an diesem ganzen Integrationsmist stört, ist, dass ich eben so gut wie kein Türkisch mehr kann und deswegen so ohne weiteres nicht unter meine Landsleute in der Türkei kann. Da bin ich auch nicht mehr der Einzige, sondern das gilt für die ganze Generation meiner türkischen Bekanntschaft.

    Ich glaube er hat genau dieses Problem gemeint, nämlich dass die türkischen Menschen hier in Deutschland ohne Türkischkenntnisse in der Türkei überhaupt nicht zurecht kommen würde.

    Und ich muss auch ehrlich gestehen, es spielt auch eine gewisse Scham eine Rolle, sich dann auch nicht für einen türkischen Sprachkurs anzumelden.

  • B
    Britt

    Türkisch öfter als Fremdsprachenangebot - kein Problem, ich finde auch, dass es das öfter geben sollte. Aber es ist unerträglich, wie Erdogan die hier lebende türkische Minderheit für seine Zwecke instrumentalisiert. Merkel sollte diesen osmanischen Volkstribun endlich mal energisch in seine Schranken weisen. Man stelle sich Deutschland würde sich einem anderen Land, das deutsche Minderheiten hat, so gegenüber aufführen.

  • JS
    Jacek Szczerba

    Ich bin ein Deutscher mit polnischen Wurzeln, ich verlange sofort ein polnisches Gymnasium, wo meine Kinder Polnisch lernen, ansonsten werden die sich nicht integrieren.

     

    Wie hört sich das an? Bescheuert! Yep, so ist es.

     

    Was bilden sich Herren Özdemir und Erdogan eigentlich ein, dass sie Deutschland erpressen können? Sollen wir jetzt polnische, russische, vietnamesische etc. Gymnasien einführen und jedes mal mit Integrationverweigerung drohen?

     

    Schon eine Forderung nach türkischen Gymnasien ist eine Frechheit ohne gleichen und ich verlange von der deutschen Politik, dass man endlich Erdogan in die Schranken weist, er hat in Sachen deutsche Bildungspolitik nichts zu melden und von Herren Özdemir erwarte ich, dass er deutsche und nicht türkische Interessen verfolgt, denn manchmal habe ich den Eindruck, dass er der Regierungssprecher von Erdogan ist.