: Institutionelle Ohnmacht
betr.: „Beredtes Schweigen“, taz bremen vom 2. 8.
Ach hättest Du doch auch geschwiegen, lieber Jan Zier! Den Verzicht des Angeklagten auf persönliche Einlassungen zu Beginn des Prozesses in ein „beredtes Schweigen“ umzumünzen und dazu dann ausführlich einen angeblichen Fachmann zu zitieren, der das M. vorgeworfene Verhalten als „perfide“ bezeichnet, das kommt einer Vorverurteilung nahe. Gut, dass der Angeklagte seinen klugen Ratgebern gefolgt ist – das um Kopf-und-Kragen-Reden besorgen schon andere!
Der Schutz behinderter Menschen vor Gewalt hat sicher eine hohe Priorität. Das darf aber nicht dazu führen, dass ein hinter der Anzeige der Behinderteneinrichtung Friedehorst zu vermutender Konflikt zwischen Institution und engagiertem Mitarbeiter gänzlich außer Betracht bleibt. BewohnerInnen im Einzelfall ins Bordell zu führen ist eben nicht ein ausreichender Beleg für eine zeitgemäße Sexualitätsentfaltung, sondern eher Ausdruck von institutioneller Hilflosigkeit angesichts einer brennenden Problematik.
Das Recht behinderter Personen, sexuelles (Er-)Leben in den Alltag einzubeziehen, verdient ein ernsthaftes Bemühen aller Beteiligter. Mag sein, dass M. dabei Grenzen verletzt hat und dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Wer aber fordert Rechenschaft bei all denen ein, die durch ein starres Festhalten an institutionellen Grenzen die Entfaltung berechtigter Interessen behinderter Menschen verhindern?
Das Gericht wird sich ein eigenes Urteil über die Persönlichkeit des Angeklagten bilden. Das in der taz gezeichnete Bild zur Person des Angeklagten entspricht keinesfalls dem Persönlichkeitsbild, das ich nach etwas längerer Bekanntschaft von dem Angeklagten gewonnen habe. HEINER CORDES, PASTOR I. R., BREMEN