: Inspiration für Frisöre
Die Fotografin Herlinde Koelbl hat weltweit nach Haaren gesucht. Die Ergebnisse präsentiert derzeit das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Leider ein klein wenig unstrukturiert. Zu selten hat Koelbl intime Privatheit eingefangen, zu stark dominiert der Blick aufs Dekorative
VON PETRA SCHELLEN
Das Haar – ein Überbleibsel der Evolution? Unbestechlicher Hinweis darauf, dass wir uns von den Altvorderen doch nicht so weit entfernt haben, wie wir immer dachten? Der Riesen-Männerbauch, der im Treppenhaus des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe prangt, legt dies zumindest nahe: Ein dichtes Gespinst aus Haaren überzieht das Foto, das ikonengleich auf die Fotoausstellung Herlinde Koelbls einstimmt.
Und drinnen? Finden sich, wenn auch recht unsortiert, etliche Facetten dessen, was Haar in verschiedenen Kulturen bedeutet: Den sprichwörtlichen „Bart des Propheten“ findet man da zum Beispiel, kunstvoll geflochten vom Kinn eines Moslems baumelnd. Die Rasta-Zöpfe einer Afrikanerin, so ästhetisch vor schwarzem Hintergrund fotografiert, dass sie fast wie Plastik wirken. Den roten Wust aus Locken und Knoten, den eine Frau vor abstraktem Weiß in die Kamera hält.
Sechs Jahre lang hat die Fotografin, die 1999 durch ihre Studie „Spuren der Macht“, die die Metamorphose von Politikern beleuchtet, bekannt wurde, auf verschiedenen Kontinenten nach Haaren gesucht – und sie gefunden. Meistens weibliche, meist Kopf-, aber auch Scham- und Achselhaare sowie, seltener, männliche Halb- und Vollglatzen. „Die Bereitschaft der Männer, sich fotografieren zu lassen, nimmt mit schwindender Haarpracht ab“, hat Koelbl während ihrer Arbeit festgestellt.
Das überrascht nicht, aber es stört auch nicht, denn ihr blieben genug andere: Alte und Junge, glatte und leicht Verschrumpelte wie die nackte alte, rückwärtig fotografierte Dame mit langem Zopf. Eine, der die Fotografin, wie allen anderen, ausdrücklich ihre Würde gelassen hat. Doch als sozialkritische Studie, als zarter Blick gerade auf den nicht gängig ästhetischen Menschen lässt sich diese Ausstellung nicht lesen:
Zu selten hat Koelbl solch intime Privatheit eingefangen, zu stark dominiert der Blick aufs Dekorative: auf einen von oben fotografierten Scheitel, der jeder Frisör-Werbung Ehre machte. Auf Punk-Köpfe, die bunt sind und sonst gar nichts. Auf das Haupt, das durch geschickte Scheitelung zum Schachbrett wurde und kaum mehr als einen „Aha“-Effekt erzeugt.
Natürlich, da ist auch der Frisörstuhl mit abgeschnittenen Haare, da sind die fettigen Haare, die Haare im Abfluss; sogar einen Skalp hat Koebl gefunden. Doch all dies steht recht wahllos nebeneinander, als habe die Autorin sich vor Begeisterung über die Vielfalt nicht entschieden können, was sie eigentlich zeigen wollte: eine Haarmodenschau oder eine Studie über intime Körperregionen, zu denen übrigens, so Koelbls Erfahrung, auch der Nacken zählt.
Doch auch wenn sie in einem der Räume, einem Sushi-Tisch gleich, verschiedene Teller mit Haaren zeigt, bleibt doch auch dies an der Oberfläche und kann allenfalls präsentieren, was DNA und Haarfärbemittel vermögen. Ein Erkenntnisgewinn erfolgt nicht. Ästhetisches gibt es dafür zur Genüge – wie die auf einem Hocker Kauernde, deren Haare füllig zu Boden fallen. Daneben dann Bizarres wie den orthodox-jüdischen Jungen mit Kippa und Schläfenlocken. Letzteres ist leider nur ein Appetizer, wäre aber vielleicht ein Ansatz. Eine Idee für eine konzentrierte, klar strukturierte Schau. Über Haare und Religionen zum Beispiel.
Bis 18. 11., Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Steintorplatz www.mkg-hamburg.de