Insektenplage: Klimawandel juckt Schweden
Schnakenplage war gestern, Invasionen neuer Mückenarten sind die Zukunft, wenn sich die Erde weiter erhitzt. In Schweden gibt es davon einen Vorgeschmack.
STOCKHOLM taz | Der schwedische Sommer lässt sich nicht lumpen in diesem Jahr. Doch in Österfärnebo und umliegenden Orten gehen die Menschen kaum aus dem Haus. Millionen Stechmücken haben die Luftherrschaft übernommen. Und das ist erst der Anfang, meinen Mückenforscher: In einigen Jahrzehnten würden wegen der Klimaveränderung neue aggressive Mückensorten eine landesweite Plage sein.
Schnaken gehören zum skandinavischen Sommer. Doch was sich jährlich im Mündungsgebiet des Flusses Dalälven rund 150 Kilometer nördlich von Stockholm abspielt, hat unerträgliche Ausmaße angenommen. Vor sechs Jahren erlaubten die Behörden deshalb, mehrmals jährlich mehrere tausend Hektar der in diesem Bereich häufig vom Frühjahrshochwasser überschwemmten Wiesen aus der Luft mit dem Bekämpfungsmittel BTI (Bacillus thuringiensis israelensis) zu besprühen, ein Bakterium, das ein Eiweiß produziert, das für die Mückenlarven giftig ist. Es wird beispielsweise auch in Deutschland über Rheinauen eingesetzt.
In Österfärnebo und Umgebung konnte dieses Bekämpfungsmittel in den letzten Jahren die Plage zumindest einigermaßen erträglich machen. Doch mittlerweile bekamen viele Forscher Bedenken, ob der BTI-Einsatz wirklich so unbedenklich ist. Es gebe nicht genügend Untersuchungen, die eine Sicherheit dafür bieten könnten, dass der weiträumige Einsatz dieser Bakterien nicht negative Auswirkungen auf die Umwelt haben könnte, konstatierte eine Studie der Universität Umeå, die die Naturschutzbehörde bestellt hatte. Tatsächlich hat man beispielsweise bei Untersuchungen in der südfranzösischen Camargue festgestellt, dass das Bakterium nicht so selektiv ist wie behauptet und neben den Larven der Schnaken auch die anderer Zweiflügler getötet werden - was langfristige Änderungen im Ökosystem befürchten lässt.
Die schwedische Studie verweist auch auf das Risiko der Entwicklung von Resistenzen gegen BTI und plädiert dafür, lieber den Ursachen für die Mückenplage zu Leibe zu rücken. Diese sei nämlich schlimmer geworden, seit das Flussgebiet mit Staudämmen reguliert worden sei. Die Überschwemmungen im Unterlauf des Dalälven könnten vermieden oder saisonal vorgezogen werden, wenn die Wasserkraftwerke verpflichtet würden, ihre Stauseen rechtzeitig vor dem Frühjahrshochwasser zu leeren - was allerdings zulasten der Stromproduktion ginge.
Die Bedenken der Forscher reichten der schwedischen Chemieaufsichtsbehörde, für diesen Frühsommer Teile der bisherigen Genehmigungen zur Bekämpfung mit BTI zu widerrufen. Ein 600 Hektar großes Naturschutzgebiet wurde nicht mehr besprüht - mit dem Ergebnis, dass wegen eines ebenso warmen wie regenreichen Juli-Monats das Leben der BewohnerInnen am Unterlauf des Dalälven unerträglich wurde. Deren Proteste veranlassten die Behörde in der vergangenen Woche, nun doch wieder Sprühaktionen mit Hubschraubern zuzulassen.
Mückenforscherin Martina Schäfer von der Universität Uppsala fürchtet vor allem die Ausbreitung einer neuen aggressiven Mückenart. Die heißt Aedes sticticus und sei bislang in Europa eine zwar heimische, aber eher seltene Überschwemmungsmücke gewesen, die sich in den letzten 20 Jahren explosionsartig vermehrt habe. "Die Klimaveränderungen haben zur Folge, dass sich häufigere Überschwemmungen mit ausgesprochen trockenem Wetter abwechseln, und das sind perfekte Voraussetzungen für diese Sorte", sagt die deutsche Biologin: Innerhalb weniger Jahrzehnte werde sie sich über weite Teile Europas verbreitet haben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten