KOMMENTARE: Inländerfeinde
■ Jeder, nun auch die Autonomen, kocht mit der Ausländerfrage sein Süppchen
Daß politische Themen von politischen Parteien für die eigenen Zwecke instrumentalisiert werden, ist banal. Es ist nicht notwendigerweise so, daß eigennützige Motive einer Sache schaden. So wäre es eigentlich gar nicht kritikwürdig, daß die Parteien das Thema Asylrecht zur Profilierung nutzen. Der Skandal besteht vielmehr darin, daß mit Parteiparolen die realexistierende rassistische Stimmung in Deutschland weiter angeheizt wird. Allerdings sind die Parteien nicht die einzigen, die dieses Thema instrumentalisieren. Auch die Autonomen, von denen viele immer noch verwirrt auf die gestürzte Mauer starren, haben nun ihre Chance erkannt, wieder öffentlich in Erscheinung zu treten. In Greifswald leisteten sie Fluchthilfe für Flüchtlinge. Das verschaffte den Autonomen einen PR-Erfolg und den Flüchtlingen Sicherheit für den Augenblick. So weit, so gut.
Weniger beglückt reagierten dieser Tage Berliner ImmigrantInnengruppen über einen Streit, der bei der Vorbereitung einer von den Grünen initiierten Großdemonstration gegen Fremdenhaß ausgebrochen war. Einige unabhängige Basisgruppen inszenierten zusammen mit der autonomen Szene und der PDS den Bruch mit der Ökopartei und riefen zu einem eigenen Sternmarsch auf. Ihre Begründung, die Grünen hätten sich geweigert, auf deutsche Redner zu verzichten, leuchtete jedoch selbst den nichtdeutschen Betroffenen nicht ein, in deren Namen die Basisgruppen zu sprechen meinten: Unter ihrem Druck und dem irritierter Sympathisanten mußten sich Grüne und Basisgruppen zu einem wackeligen Kompromiß bequemen. Der Streit hinterließ einen Scherbenhaufen.
Als Deutscher stets lautstark den eigenen Antirassismus zu intonieren kann offensichtlich zu notorisch gutem Gewissen verführen und gegen Selbstzweifel immunisieren. Der Verdacht liegt nahe, daß es die aus dem eigenen Vorhutbewußtsein gespeiste Inländerfeindlichkeit ist, die manche deutsche Antirassisten in erster Linie treibt. Die Ausländerfreundlichkeit, die so tapfer wirkt, ist bloß abgeleitete Funktion. Die Immigranten seien die Hauptbetroffenen, erinnerte im Berliner Demo-Streit eine Iranerin ihre deutschen Mitstreiter. Die begegneten ihr mit einem entlarvenden Zwischenruf: „Der Faschismus ist unsere Sache!“ Die Moral ist gepachtet, die Betroffenen verkauft. Hans-Martin Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen