Ingrid Schmidt-Harzbach ist tot

■ Kurz vor ihrem 50. Lebensjahr nahm sich die Berliner Frauenforscherin das Leben/ Sie war eine Institution

Es gibt einen Film, ich glaube von Helke Sander, über die Frauen im Jahr der Schlange. Ingrid Schmidt-Harzbach, geboren 1941, war eine von ihnen. Demnächst wäre sie 50 geworden; vor zwei Tagen aber sprang sie vom Berliner Funkturm in den Tod — „Depressionen“ heißt es.

Sie war eine Institution der Berliner Frauenbewegung. Ich kannte ihren Namen längst aus der 'Courage‘, in der sie regelmäßig schrieb, von der Frauensommeruni, bevor ich ihr persönlich begegnete. Das war im Herbst 1988. Damals jährte sich zum zwanzigsten Mal der Tomatenwurf der SDS-Frauen auf die Genossen, der — fälschlicherweise — als Startschuß für die neue deutsche Frauenbewegung in die Annalen einging. Im Frühjahr 1968 hatte sich der erste „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ in Berlin gegründet — Ingrid war dabei. Auch 20 Jahre später, als wir, die jüngeren, ein paar ältere Schwestern für die taz zu 20 Jahren Frauenbewegung befragten. Ingrid war die kämpferischste und witzigste, ihr fiel auch jener Spruch von damals wieder ein: „Die militanten Panthertanten den Terror längst vor Rauschgift kannten.“ Begeistert erzählte sie vom Aktionsrat und den Demos: „Wenn wir in unseren farbenprächtigen Kleidern die Kreuzung vor dem Kranzler blockierten — dann hatten wir das Gefühl, die Straßen gehören uns.“ Es gibt ein Foto aus Frauenbewegungsanfängen: sie, in Lederjacke, Arm in Arm mit Alice Schwarzer in der ersten Demoreihe.

Ingrids Aufbruch begann mit der Studentenbewegung, von der sie, wie viele andere Frauen, aber bald enttäuscht wurde. 1973/74 leitete sie die ersten Frauenkurse in der Volkshochschule; sie war Mitgründerin der Berliner Frauensommeruniversität, veröffentlichte Artikel und Aufsätze über die Frauenbewegung. Sie war Wissenschaftlerin — leidenschaftlich. Denn sie schien an ihren eigenen hohen Ansprüchen oft zu leiden, zweifelte an sich selbst. Jahrelang war die diplomierte Politologin Lehrbeauftragte am Otto- Suhr-Institut der Freien Universität, doch im etablierten Wissenschaftsbetrieb konnte oder wollte sie nie richtig Fuß fassen. Sie forschte dann frei, saß seit Jahren an ihrer unvollendeten Doktorarbeit über die Frauen in der Berliner Nachkriegszeit — ihr Thema.

Seit zwei Jahren leitete sie im Auftrag des Berliner Abgeordnetenhauses ein größeres Projekt über das „Politische Wirken von Frauen in der Berliner Nachkriegszeit“. Es hätte Ende dieses Jahres fertig werden sollen. Ingrid besaß eines der größten privaten Archive über die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Es sollte unter ihrem Namen erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dafür will sich ihre Freundin, die Chefin der Berliner FDP, Carola von Braun, einsetzen.

Der APO- und frauenbewegten Ingrid war institutionalisierte Politik fremd, aber sie war „von außen für uns in den Institutionen ganz wichtig, damit wir vor lauter Kompromissen nicht das Hauptziel aus den Augen verloren“, sagt Carola von Braun. Ulrike Helwerth

Ein Kondolenzbuch für Ingrid Schmidt-Harzbach liegt ab heute bis zum 1. Oktober im Café & Kulturzentrum für Frauen „Begine“ aus. Adresse: Potsdamer Straße 139, 1000 Berlin 30