Indigene Gemeinschaften werden aktiv: Wiederentdeckung des Eigenen
Jahrelang besuchten vor allem Touristen die Ruinenstätten der Maya in Guatemala. Nun entdecken die indigenen Nationen ihre Geschichte wieder.
„Man muss doch wissen, woher man kommt. Das ist der Grund, weshalb wir heute früh aus Nebaj nach Huehuetenango gereist sind, um die Tempel zu besuchen“, sagt Rosaura Garillo etwas schüchtern.
Die Frau Mitte dreißig ist eine der Wortführerinnen der mehr als 60 Personen umfassenden Reisegruppe aus dem benachbarten Verwaltungsbezirk Quiché. Rund 200 Kilometer brachte die aus sechs Familien bestehende Gruppe hinter sich, um die Ruinen von Zaculeu zu besuchen.
Die befinden sich zwei Kilometer vor der Provinzstadt Huehuetenango, im Norden Guatemalas, kurz vor der Grenze zu Mexiko. „Unsere Geschichte kommt in den Schulen zu kurz, deshalb sind wir hier, um unseren Kindern zu zeigen, woher wir kommen“, schiebt Rosaura hinterher.
Die kleine, stämmige Frau trägt anders als ihre Mitreisenden nicht die farbenfrohe traditionelle Kleidung der Mam-Maya, sondern ein weißes Hemd zum dunkelblauen Pullunder, den das Emblem der weiterführenden Schule von Pulay ziert.
Dort unterrichtet sie und engagiert sich dafür, dass die Jugend etwas von der eigenen Geschichte mitbekommt und die eigene Sprache, das Ixil, versteht und spricht. Das ist längst nicht überall so in den Dörfern Nord- und Zentralguatemalas, wo der indigene Bevölkerungsanteil besonders hoch ist.
„Gleich sieben indigene Sprachen werden im Verwaltungsbezirk Huehuetenango gesprochen, und bilingualer Unterricht ist die Ausnahme und nicht die Regel“, erklärt der Bischof von Huehuetenango Álvaro Ramazzini.
Der 65-jährige Geistliche hat erst vor einem Jahr die Arbeit in der Diözese aufgenommen und gilt als kritischer Beobachter der sozialen und politischen Verhältnisse in Guatemala. „Wir brauchen mehr Partizipation in den Gemeinden. Mehr Respekt für die Rechte der indigenen Völker ist notwendig und wird immer vehementer eingefordert. Das ist nach vielen Jahren des bleiernen Schweigens neu“, so der Bischof.
17 Jahre nach dem Bürgerkrieg
Rund 17 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs ist die Stimme der Zivilgesellschaft in Guatemala wieder deutlicher zu hören und die indigenen Nationen spielen eine aktivere Rolle. Die Förderung der eigenen Sprache ist dabei wesentlich, so Rosaura Garillo.
Die Lehrerin unterrichtet in Ixil und Spanisch und verweist auf die Arbeit der staatlichen Akademie für Maya-Sprachen in Guatemala (ALMG). Die fördert die Sprachvielfalt und setzt sich für Erhalt von Achi, Ixil, Uspanteko und Co. ein.
22 von mindestens 26 Sprachen, die in Guatemala gesprochen werden, stehen im Fokus der Akademie. Seit 1990 gibt es sie, und dort haben die indigenen Gemeinden ein Mitspracherecht, wählen die Repräsentanten der Akademie. „Das sorgt für Akzeptanz“, sagt Rosaura Garillo zufrieden lächelnd. „Die Regierung fördert zwar den bilingualen Unterricht, und auch an den Universitäten nehmen die Angebote zu, aber wir stehen immer noch am Anfang.“
Indigene Gemeinden im Wandel
Gleichwohl hat sich in den indigenen Gemeinden ein Wandel vollzogen. „Wir sind aktiver, informieren uns über unsere Rechte und unsere eigenen Wurzeln“, berichtet Hacinto Hernández. Er gehört auch zur Reisegruppe aus Nebaj und reist zum ersten Mal, um die eigenen Wurzeln zu entdecken. Mit großen Augen ist er wie viele andere aus der Reisegruppe in der imposanten Anlage von Zaculeu unterwegs.
Die weist ein halbes Dutzend Plätze auf, die von Pyramiden, Palästen und langgezogenen Verwaltungsgebäuden eingefasst wurden. Insgesamt 43 Gebäude wurden von den Archäologen freigelegt, und unter einigen der Hügel, welche die nur von einer Seite zugängliche Hochebene prägen, könnten sich noch weitere befinden.
Für die jugendlichen Teilnehmer der Reisegruppe ist der Ballspielplatz besonders attraktiv, und einige der Jungs kicken vor der langgesteckten Anlage, während mehrere junge Frauen eine der großen Pyramiden erklimmen, um sich einen Eindruck von oben zu machen. Die Anlage dient den rund um Huehuetenango und weiter nördlich lebenden Mam-Gemeinden auch heute noch als spiritueller Ort, an dem mehrere Feiertage begangen werden.
Hauptstadt der Mam-Maya und Handelszentrum
Die Stadt, in der mehrere tausend Menschen lebten, war jedoch nicht nur Hauptstadt der Mam-Maya, wo alle wichtigen Zeremonien in und um die staatlichen Pyramiden stattfanden, sondern auch wichtiger Handelsplatz. Güter aus dem benachbarten Mexiko wurden hier umgeschlagen, wovon Keramikarbeiten und architektonische Details zeugen.
Beeindruckt sind die Besucher aber auch vom langen Widerstand der Mam-Kämpfer gegen die Spanier. „Ich wusste nichts davon, dass die Stadt über vier Monate belagert wurde“, sagt Hacinto Hernández, während zwei etwa zwölfjährige Jugendliche neben ihm angeregt über Kaibil Balam sprechen. So hieß damals, im 16. Jahrhundert der Anführer der Mam, die sich schließlich ergaben, weil sie in der zur Festung ausgebauten Stadt verhungerten.
Kaum Förderprogramme
„Geschichte, die für unsere Kinder weitgehend unbekannt ist. Doch da liegen unsere Wurzeln“, sagt Rosaura Garillo, die die Fahrt gemeinsam mit zwei, drei anderen vorbereitet hat. Nach Tikal, in die weltberühmte Maya-Ruinenstadt hoch im Norden, würde sie auch gern fahren.
Doch dafür reicht das Geld nicht, denn dann müsste die Gruppe übernachten. Das ist nicht drin, und Förderprogramme zur Weiterbildung sind in Guatemala, wo wenige über viel und viele über wenig verfügen, rar gesät.
Trotzdem gibt es in den oft bettelarmen indigenen Gemeinden einen Trend zum Eigenen. Dörfer, die Genossenschaften aufbauen, um gemeinsam bessere Preise für ihre Produkte zu erzielen, sind nicht mehr so selten, und Gemeinden fragen öfter nach, was der Staat oder ein Investor mit einem Bauprojekt bezwecken will, bestätigt der Rektor der Universität Rafael Landívar, Victor Manuel Calderón.
Er sagt: „Wir haben Zulauf von Studierenden aus indigenen Gemeinden, die sich für die Zukunft ihrer Gemeinden engagieren: Dank internationaler Stipendien unter anderem aus Deutschland können wir bei der Finanzierung des Studiums helfen.“
Stipendien für Benachteiligte
Domingo Calmo Pablo, der an der Universität Sozialarbeit studiert, ist so ein Stipendiat. „Wir müssen uns selbst helfen, denn die Regierung redet viel und handelt wenig“, kritisiert der 34-jährige Familienvater. Er studiert am Wochenende an der Universität von Huehuetenango und arbeitet während der Woche in der Genossenschaft in seinem Dorf Malacatancito.
„Wir leben vom Gemüseanbau und von Handarbeit. Doch um Perspektiven aufzubauen, müssen wir dazulernen, deshalb bin ich hier“, erklärt er und fährt sich über die hohe Stirn. Er will sich für die Gemeinde, für den Aufbau tragfähiger Strukturen und mehr Bildung in der Region rund um Malacatancito einsetzen.
Interesse an der eigenen Geschichte
Domingo Calmo Pablo ist kein Einzelfall an der Universität, wo mehrere Dutzend junge Studenten aus indigenen Gemeinden studieren. „Zurückkehren, um es besser zu machen, lautet die Devise“, so Rektor Victor Manuel Calderón. Der unterstützt den indigenen Nachwuchs nach Kräften, weil er weiß, dass die oftmals abgelegenen Gemeinden mit Hilfe aus den eigenen Reihen am Besten fahren. Sie kennen schließlich die Verhältnisse vor Ort en détail.
So wie die Lehrerin Rosaura Garillo. Sie tritt mit mehreren jungen Frauen gerade aus dem Museum von Zaculeu, wo neben einer Mumie auch allerlei Keramik und Werkzeuge ausgestellt sind. Viel wichtiger ist der Gruppe allerdings die Geschichte hinter der spektakulären Ruinenstadt – denn die ist schließlich ihre eigene.
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