Indien: Keine Unschuld vom Lande
Indiens neue Präsidentin Pratibha Patil galt zuerst als brave Provinzpolitikerin. Doch die 72-Jährige hat diverse Leichen im Keller.
Am 14. Juni, knapp einen Monat vor der Wahl des dreizehnten Staatspräsidenten Indiens, traten Sonia Gandhi und eine unbekannte ältere Frau Hand in Hand vor die Medien der indischen Hauptstadt Delhi. Die Präsidentin der Regierungspartei präsentierte Pratibha Patil der verdutzten Öffentlichkeit als Kandidatin für das höchste Amt im Staat.
Damit schien Sonia Gandhi ein Meisterstreich gelungen zu sein. Mehrere der von ihr vorgeschlagenen Kandidaten waren bei den Koalitionspartnern zuvor abgeblitzt, nun spielte sie im letzten Augenblick ihre Trumpfkarte aus: Pratibha Patil war eine Frau, ein loyales Mitglied der Kongresspartei, eine Vertreterin aus dem wählerreichen Bundesstaat Maharashtra, und sie kam dazu noch aus der bei Wahlen wichtigen Bauernkaste.
Vor allem schien die 72-jährige Pratibha Patil im Gegensatz zu den männlichen Kandidaten ein unbeschriebenes Blatt zu sein: eine Regionalpolitikerin aus dem zentralindischen Hinterhof des Landes, die auch einmal Ministerin im Bundesstaat Maharashtra gewesen war und zweimal im Parlament in Delhi gesessen hatte. Das Gouverneursamt in Rajasthan - ihr letzter Posten - war der Lohn für langjährige Parteiloyalität.
Doch die blütenreine Vita stellte sich rasch als Resultat mangelnder Nachforschungen heraus. Kaum begannen Gegner und Medien im Keller zu graben, tauchten die ersten Leichen auf. Das Phantombild einer braven Politikerin begann sich plötzlich grell einzufärben. Patil hatte eine Frauenbank gegründet, die rasch Bankrott ging, wodurch sich das Ersparte vieler armer Frauen in Luft auflöste - nicht aber das Geld von Patils Familie. Einer Zuckerkooperative erging es ähnlich. Unter den Hintermännern im Mord an einem politischen Rivalen tauchte der Name ihres Bruders auf, und für den Selbstmord einer Lehrerin wurde die Hartherzigkeit ihres Ehemanns verantwortlich gemacht.
Nicht genug mit diesen Flecken auf der weißen Weste, musste sie sich vorwerfen lassen, vor dreißig Jahren Zwangssterilisierungen befürwortet zu haben, und sie berichtete ungeniert von vertraulichen Gesprächen mit Toten. Den Kongresspolitikern erschien dies alles nur als Teil des Gepäcks, das ein indischer Politiker eben mit sich herumträgt. Doch sie hatten nicht damit gerechnet, dass Frau Patil an ihrem Vorgänger Abdul Kalam gemessen wird. Dessen Amtszeit hatte neue Maßstäbe von Integrität, Popularität und Bescheidenheit gesetzt. Der Wahlkampf wurde für Patil zum Spießrutenlauf. Am Ende ging sie dennoch als Siegerin vom Platz, und sie wird sich nun in die vornehme Abgeschiedenheit ihrer zeremoniellen Rolle flüchten können.
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