piwik no script img

Archiv-Artikel

Independent-Radios fallen vom Sender

Auf der Frequenz 104,1 darf Telekom-Tochter T-Systems für ihr digitales Radioprogramm werben. Das tat sie bisher allnächtlich mit den Club-DJs von TwenFM und MotorFM. Doch deren Musik ist dem Betreiber nun zu dreckig

Auf der UKW-Frequenz 104,1 herrscht seit Mitte September reger Betrieb. Bis morgens um sechs liefern sich hier Berliner Club-DJs jede Nacht live ihre Plattenschlachten. Doch damit soll nun wieder Schluss sein, geht es nach dem Willen von T-Systems. Diese Tochtergesellschaft der Telekom verwaltet diese sendeschwache Frequenz in den Innenstadtbezirken. Sie vergibt die Sendeplätze an digitale Spartensender – und kann sie ihnen auch wieder nehmen. Das musste Markus Kühn am Montag erfahren. Sein Sender MotorFM und der Partner TwenFM, die gemeinsam das Nachtprogramm bestreiten, sei ohne Vorwarnung und Begründung aus dem Programm genommen geworden, berichtet Kühn.

Frank Klaffs von der „Label Commission“, der Interessenvertretung Berliner Independent-Labels, äußerte sich bestürzt über das Vorgehen von T-Systems. Ihm schmeckt es nicht, dass vor allem TwenFM, hinter dem ein großer Teil der Labelszene steht und der von lokalen und internationalen DJ-Größen wie „Jeans Team“, „Pale Music“ und „This Is Radio Euroclash“ bespielt wird, sang- und klanglos aus dem Äther verschwindet.

Auch Julia Lazarus und Sacha Benedetti, Betreiber von TwenFM, traf die Abschaltung unvermittelt. Schließlich hatten sie sich schriftlich einen Bestand bis zumindest Mitte 2005 zusichern lassen. TwenFM ist zwar seit Mittwoch wieder auf Sendung, doch schon am Montag könnte endgültig Schluss sein.

Ihnen bliebe dann nur noch ihr Sendeplatz im digitalen Rundfunk (DAB). Der fristet mit 5.000 potenziellen Berliner Hörern ein kümmerliches Dasein – zu wenig für werbefinanzierte Sender. Für TwenFM sei die Abschaltung damit eine existenzielle Bedrohung, meint Benedetti.

Peter Zimmer, Hauptverantwortlicher bei T-Systems, versteht die Aufregung allerdings nicht. Schließlich haben die beiden betroffenen Sender ohnehin nur eine Testlizenz für die digitale Übertragung. Dass sie auf 104,1 überhaupt analog senden dürfen, beruhe auf seinem Goodwill und sei „super großzügig“.

Eigentlich ist 104,1 die Veranstaltungsfrequenz Berlins. Hier können temporär kulturelle Radioprojekte verwirklicht werden. Um große Sendelücken auf der Frequenz zu füllen, hat die Medienanstalt Berlin-Brandenburg Zimmers Firma erlaubt, ein „Schaufenster“ des DAB einzurichten. Analoge Radiohörer können hier in die ansonsten nur digital zu empfangende Vielfalt hineinhorchen. So sollen sie zum Umstieg animiert werden. Zum digitalen Vollgenuss ist jedoch der Kauf eines Empfangsgeräts notwendig.

So kam es, dass TwenFM, Ende der 90er Jahre noch ein Piratensender, zur ersehnten Brücke zwischen Äther und Clubkultur avancieren konnte. Das Promotion-Programm von T-Systems erwies sich als unverhofftes Schlupfloch für eine ganze Szene. „Das Schaufenster soll natürlich auch vernünftig aussehen,“ betont Zimmer die Werbefunktion des Sendebetriebs. Er träumt von britischen Verhältnissen: 1,5 Millionen Hörer haben sich dort bereits digitalisieren lassen. Doch Zimmer hat bemerkt, dass TwenFM „von absoluten Idealisten betrieben“ wird.

Was T-Systems dagegen für werbewirksamer hält, zeigte sich am Montag und Dienstag in dem Alternativprogramm zu den abgeschalteten Szenesendern: Mit „Mallorca – das Inselradio“ durfte man sich in den Schlaf wiegen und auf die Trauminsel entführen lassen. Das Musikprogramm hört sich genauso an, wie der Name vermuten lässt.

TwenFM und die Berliner Musikszene sind dagegen wieder auf die überwunden geglaubten Zeiten der Unsicherheit zurückgeworfen und drohen erneut aus dem Äther verbannt zu werden – diesmal in eine digitale Nische.

Ascan Breuer