zwischen den Rillen : In utero
Sie haben die Anzüge abgelegt: Auf ihrem neuen Album suchen The Thievery Corporation den Anschluss an die Psychedelic-Ära
Es gab kein Entkommen. Ob Cocktail-Lounge, Designer-Boutique oder einer dieser Coffee-to-go-Shops, die allerorten aus dem Boden schießen: Eine Zeit lang konnte man sich sicher sein, irgendwann den aktuellsten Klängen aus dem Hause Thievery Corporation zu begegnen. Kein Ladenbesitzer und kein Gastronom, der etwas auf sich hält, glaubt heute noch, seine Kunden nicht mit elektronischem Wohlklang umspülen zu müssen. Und im Reich der Wellness-Electronica sind Thievery Corporation sicherlich die Könige.
Das DJ-Duo aus Washington, D. C., gilt als Weltmeister, wenn nicht gar Erfinder des so genannten Lounge-Sounds: Der Evolution von TripHop und Downbeat zu einer einlullenden Hintergrundmusik, zu der man zu später Stunde zwischen den Armlehnen seines Barsessels versinken kann. Manche sehen diese Entwicklung als Regression, als sei das elektronische Genre damit endgültig auf der Designer-Couch gelandet. Und wird nicht die Innenarchitektur der meisten Cocktailbars immer uterusartiger? Für dieses Umfeld liefern jedenfalls Thievery Corporation die ideale Beschallung – so wie einst, in den Fünfzigerjahren, die Easy-Listening-Komponisten der „Exotica“-Welle mit ihren schwülen Conga-, Hawaii- und Voodoo-Fusionen den perfekten Rahmen für die boomenden Tiki-Bars jener Zeit boten.
Rob Garza und Eric Hilton, die gemeinsam Thievery Corporation bilden, muss man allerdings das breite musikalische Wissen, aus dem sie schöpfen, und ihre ausgesprochene Geschmackssicherheit zugute halten: Niemand vermag Bossa-Nova-Einflüsse und Jazz-Zitate, indische Vibes und kubanische Percussion so kunstvoll in feine Dub-Fusionen einfließen zu lassen wie sie. Der musikalische Reichtum solcher Alben wie „The Mirror Conspiracy“ und „The Richest Man in Babylon“ wiegt ganze Chill-out-Compilations auf.
Umso überraschender, dass sie sich auf ihrem neuen Album „The Cosmic Game“ von den so kosmopolitischen wie gediegenen Klängen ihrer bisherigen Alben entfernt haben und in psychedelischere Gefilde abgetaucht sind. Schon das Cover erinnert an ein Filmplakat aus den Sechzigerjahren, an Afri-Cola-Werbung oder einen Kühlschrank, voller Prilblumen beklebt. Nicht nur das Eingangsstück mit den Flaming Lips klingt nach den späten Pink Floyd, das ganze Album wirkt wie eine Hommage an die Hippie-Ära.
Entsprechend verkifft heißen die Stücke „Doors of Perception“, „Supreme Illusion“ oder schlicht „Shiva“ – eines von drei Stücken, das mit indischem Gesang und Sitar-Geplänkel aufwartet. Auf der anderen Seite stehen Dub-Reggae-Tracks, die sich ganz genregerecht mit politischen Aufwallungen verbinden: Vom treibenden „Warning Shots“ über den Titel „Revolution Solution“ mit Perry Farell bis hin zur subtilen Amerikakritik in „Amerimacka“ durch den US-jamaikanischen Sänger Notch.
Es scheint, als hätten The Thievery Corporation ihre eleganten Anzüge gegen Paisley-Hemden vertauscht und statt den üblichen Martinis ein paar bewusstseinserweiternde Drogen zu sich genommen. Das Problem mit bewusstseinserweiternden Drogen ist nur, dass sie einem lediglich das Gefühl geben, die Pforten der Wahrnehmung zu durchbrechen und zu neuen Dimensionen vorzustoßen, wenn man in Wirklichkeit auf ausgetretenen Pfaden wandelt.
So franst das Album gegen Ende leider spürbar aus und klingt, als wären Thievery Corporation nicht ganz mit den Aufnahmen fertig geworden. Dass das vorletzte Stück „The Time we lost our way“ heißt, mag ironisch gemeint sein, ist aber dennoch bezeichnend. Aber auch egal: Die meisten Hörer dürften zu diesem Zeitpunkt ohnehin auf ihrem Barhocker eingeschlafen sein.
DANIEL BAX
The Thievery Corporation: The Cosmic Game (Soul Food)