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Archiv-Artikel

In stolzer Trauer

Männer mit erblich bedingtem Haarausfall haben keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe für ein Mittel gegen Haarausfall. Brauchen sie auch nicht, denn eine selbstbewusst getragene Glatze ist sexy

VON MARTIN REICHERT

Es beginnt mit einem verstopften Abfluss in der Dusche. Wenn der „kreisrunde“ Haarausfall bei Männern sein genetisch motiviertes Unwesen zu treiben beginnt, bleibt kein Auge trocken und übrig oft nur der berüchtigte Haarkranz. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat nun festgestellt, dass erblich bedingter Haarausfall beim Mann keine Krankheit ist und hob damit eine anders lautende Entscheidung auf, die einem Richter in mittleren Jahren Beihilfe für ein vom Arzt verschriebenes „Mittel“ gegen Haarausfall gewährt hatte. Unter Krankheit sei laut den Kollegen des Klägers nur ein solcher Zustand des Körpers oder des Geistes zu verstehen, der „außerhalb der Bandbreite des Normalen“ liege – im Unterschied zum Haarausfall bei Frauen sei Glatzenbildung bei Männern verbreitet geschlechtsspezifisch. Der von der Schöpfung geplagte Mann – eine psychische Folgeerkrankung durch den Haarausfall konnte durch den Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt werden – hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt.

Nicht nur Beamte müssen den alpha-Reduktasehemmer Finasterid, bekannt unter der Produktbezeichnung „Propecia“, aus eigener Tasche finanzieren, denn schließlich handelt es sich um eine so genannte „Lifestyle Drug“. Durch Zufall waren Mediziner Ende der Neunzigerjahre darauf gestoßen, dass der bei gutartigen Prostata-Vergrößerungen eingesetzte Wirkstoff Haarausfall stoppen kann, bei einigen Betroffenen setzt sogar neuer Haarwuchs ein. Eine Packung des Männertrösters kostet rund 50 Euro, bei einer notwendigen täglichen Dosis von einer Viertel Tablette kommt Mann damit drei Monate über die Runden. Größte befürchtete Nebenwirkung ist ausgerechnet eine Beeinträchtigung der Libido: Wer in die Apotheke rennt, um sich seinen Wettbewerbsvorteil auf dem Markt der Sexualpartner zu sichern, muss angeblich damit rechnen, im Ernstfall bloß gut auszusehen.

Die Alternative? Das Resthaar kunstvoll und unter Zuhilfename von Haarspray über die Glatze legen oder, in Altrocker-Kneipen zu bewundern, das lange verbliebene Haar kunstvoll zu einem Zopf drapieren, der die am Hinterkopf befindliche kahle Stelle notdürftig abdichtet. Bleibt noch die recht teure Eigenhaartransplantation zu nennen, für die von PR-Menschen mit immer neuen obskuren Umfragen über die angeblichen ästhetischen Vorlieben von Frauen geworben wird. Derzeit prominentester Patient: Silvio Berlusconi.

Das Problem des androgenetisch bedingten Haarausfalls liegt jedoch nicht auf, sondern im Kopf. Viel Geld spart, wer sich beizeiten die richtige Haltung zulegt und seine Glatze in stolzer Trauer trägt. Die mutwillig mit dem Kurzhaarschneider bzw. Nassrasierer hergestellte „gemeine Mitte-Glatze“ (Joachim Lottmann) ist längst fester Bestandteil des Alltags. Das einstige Alleinstellungsmerkmal gewaltbereiter Neonazis wurde längst von anderen Subkulturen enteignet und schließlich im Säurebad des modischen Mainstreams aufgelöst. David Beckham bekam vom Rasierklingenhersteller Gillette sogar 50 Millionen Euro, damit er sich für die Dauer des Werbevertrages eine Glatze scheren ließ. Oben ohne ist nicht länger martialisch, sondern einfach bloß männlich, die Glatze ziert Studenten, Fußballspieler und sogar Manager wie Ferdinand Piëch. Letzterer hat einfach das Beste aus seiner Situation gemacht und den Haarkranz samt verbliebener Haarpuschel eliminiert. Keine Eiertänze, kein Jammern. Im Managerjargon: Es gibt keine Probleme, nur Lösungen.

Es gilt nicht zu beweinen, was man nicht hat, sondern sich darüber zu freuen, was man hat. Männer, die eine positive Einstellung zu ihrer Körperlichkeit haben, sind entschieden attraktiver als jene überkommene Adelsgrillen nachahmenden Kleinbürger, die sich nicht einmal trauen, mit kurzen Hosen auf die Straße zu gehen, weil man sie sonst womöglich für schwitzende Proletarier halten könnte.

Die Glatze gilt sogar mittlerweile – beruhend auf dem Missverständnis, dass Glatzenträger über mehr Testosteron verfügen – vielen als ausgesprochen sexy. Das Wirken des Hollywood-Schauspielers Bruce Willis war diesbezüglich ein großes Glück für all jene Männer, die bereits um die 30 von ihrem genetischen Erbe eingeholt werden.

Eine Therapie gegen Haarausfall muss also genauso wenig von der Krankenkasse oder der staatlichen Beihilfe für Beamte getragen werden wie eine Brustvergrößerung für Frauen, die sich von der Natur unangemessen beschenkt fühlen. Wer nun partout nicht in der Lage ist, sich mit den Gegebenheiten abzufinden, hat heutzutage genügend Möglichkeiten. Die allerdings sollte jeder aus der eigenen Tasche finanzieren.