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■ In einer Demokratie dürfen alle Spanner sein„Sie hören alle Windsors ab“

London (taz) – Die englische Öffentlichkeit ist schwer erschüttert. Erst im vergangenen Jahr hatte John Major die Existenz des Geheimdiensts MI-5 offiziell zugegeben, und jetzt stellt sich heraus, daß die Schnüffler schon seit einer Ewigkeit fremde Leute belauschen – und nicht etwa irgendwelche Leute, sondern die gesamte königliche Familie. Das geschehe zwar zu ihrem Schutz, aber ohne ihr Wissen, verkündete der Daily Mirror gestern und erklärte die Affaire zum nationalen Skandal. „Es ist erschreckend“, winselte Mirror-Reporter James Whitaker. „Sie hören alle Windsors ab – angefangen bei der Queen.“

Wie bei Lauschangriffen in England offenbar üblich, sind die Tonbänder umgehend einem Reporter in die Hände gefallen: James Whitaker. Der alte Heuchler hat aus dem angeblichen Material in Windeseile ein Buch gemacht – „Diana versus Charles“. Nach Andrew Mortons „true story“ nun die „real story“. Die Kuh ist längst noch nicht abgemolken, und wenn Morton Multimillionär geworden ist, will Whitaker das auch werden. Er hat darüber hinaus eine „vertrauliche James- Whitaker-Telefonleitung“ eingerichtet. Gegen bare Münze, versteht sich. Für eine Minute seiner Peep-Show müssen Gutgläubige umgerechnet 1,20 Mark berappen.

Während Morton in seinem Buch über die Beziehungskrise des Thronfolgers und seiner Gattin Stellung für Diana bezogen hat, haut Whitaker alle beide in die Pfanne. Charles habe im November 1980 mit Hilfe der Armee eine Frau in den königlichen Eisenbahnzug schmuggeln lassen. Das war zwar längst bekannt, doch war die faszinierte Nation bisher davon ausgegangen, daß es sich dabei um Diana handelte. Schließlich waren die beiden verlobt. Weit gefehlt, enthüllt Whitaker: Es war Camilla Parker-Bowles, mit der Charles später Telefonsex betrieben hat. Sogar noch zwei Tage vor der Hochzeit habe sich Camilla in das Bett des Thronfolgers im Buckingham-Palast geschlichen. Ihr Ehemann, der Major, tröstete sich unterdessen mit Charles' Schwester, Prinzessin Anne, und Diana traf sich regelmäßig mit ihrem Freund James Gilbey bei San Lorenzos, einem italienischen Restaurant in Knightsbridge.

Am Mittwoch druckte der Mirror einen Streit zwischen Charles und Diana um das Sorgerecht für die beiden Söhne William und Harry ab. Gestern nun die Fortsetzung: Das Blatt schob ein Gespräch zwischen Diana und einer Freundin nach, in dem die Prinzessin sagt, daß sie „seit zehn Jahren die größte Rolle meines Lebens“ gespielt habe. „Ich sollte Schauspielerin werden“, habe sie hinzugefügt. Angeblich wollte sie sich mit den beiden Kindern heimlich aus dem Staub machen.

Der Mirror liefert gleich den Beweis, daß die abgehörten Gespräche authentisch sein müssen: Sie hätten auf dem königlichen Landsitz Highgrove stattgefunden, und der ist nur einen Steinwurf vom MI-5-Hauptquartier entfernt. Offenbar traut der Mirror den englischen Spitzeln keinen allzu großen Aktionsradius zu. Jedenfalls hat das Boulevardblatt jetzt die Schnauze voll und fordert Innenminister Kenneth Clarkes Kopf. Der hat nämlich erklärt, das Ganze ginge ihn nichts an, weil „die nationale Sicherheit nicht in Gefahr“ sei. Der Mirror hegt jedoch nun den Verdacht, daß die Geheimdienste ihre eigenen Gesetze machen. Im Leitartikel läßt das Blatt die Katze jedoch aus dem Sack: „In einer demokratischen Gesellschaft hat jeder Bürger das Recht, Bescheid zu wissen, und nicht nur ein paar Spitzel mit einer widerlichen Spanner-Mentalität.“ Genau! In einer Demokratie darf jeder Spanner sein, auch ein widerlicher Mirror-Reporter. Ralf Sotscheck

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