In eigener Sache: Ein Präzedenzurteil
Die taz ist erfolgreich vor das Verfassungsgericht Berlin gezogen. Behörden wie das Amt des Berliner Polizeipräsidenten Dieter Glietsch können nun nicht mehr den Abdruck jeder Gegendarstellung verlangen.
Das Verfassungsgericht Berlin hat einer Verfassungsbeschwerde der taz stattgegeben, mit der sich diese Zeitung gegen Entscheidungen des Land- und Kammergerichts gewandt hatte, Gegendarstellungen des Polizeipräsidenten in Berlin veröffentlichen zu müssen. Die Leitentscheidung des Gerichtshofs stellt nun deutlich höhere Hürden für Gegendarstellungen von Behörden auf.
In ihrer Gegendarstellung wollte die Berliner Behörde unter anderem Statistikzahlen über Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte richtigstellen. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte sich in den vergangenen Jahren nicht nur mit der taz, sondern beispielsweise auch mit der Berliner Morgenpost, dem Focus und dem Bayerischen Rundfunk angelegt. Die Gewerkschaft der Polizei hatte dazu erklärt, Glietsch versuche "die Presse mit seinen Prozessen mundtot zu machen".
Nun hat das Berliner Verfassungsgericht festgestellt, dass beim Recht auf Gegendarstellung zwischen natürlichen Personen und staatlichen Stellen unterschieden werden müsse. Da es noch keine vergleichbaren Entscheidungen anderer Landesverfassungsgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts gibt, hat der Fall nach Meinung von Presserechtlern Präzedenzcharakter.
Gegendarstellungen sind eine Art "Selbstverteidigungsrecht" Betroffener, ihre Darstellung eines Sachverhalts, über den zuvor in einem Medium berichtet wurde, zu geben. Sie sind nur bei Tatsachenbehauptungen, nicht aber bei Meinungsäußerungen zulässig und müssen nicht der Wahrheit entsprechen. Das Recht auf Gegendarstellung ist in den Pressegesetzen der Bundesländer geregelt.
Laut Berliner Verfassungsgericht ist eine Behörde wie der Polizeipräsident "in aller Regel nicht annähernd in gleicher Weise wie Privatpersonen mehr oder weniger wehrlos Presseveröffentlichungen ausgesetzt". Zudem stehe sie "in einem grundsätzlich anderen Spannungsverhältnis zur Institution der Presse im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat als eine Privatperson". Ein Anspruch auf Gegendarstellung "kommt danach für Behörden nur in Betracht gegenüber Tatsachenbehauptungen, die (...) in ähnlich gravierender Weise wie bei Einzelpersonen in ihre Rechtsstellung eingreifen und sich jenseits ihrer konkreten Einwirkungsmöglichkeiten auf das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit erheblich auswirken können". Dies könne der Fall sein, wenn die Berichterstattung geeignet sei, "das unerlässliche Vertrauen in die Integrität staatlicher Stellen in Frage" zu stellen "oder ihre Funktionsfähigkeit" gefährde.
Dieser "presserechtliche Schutz" der öffentlichen Verwaltung, so das Berliner Gericht, dürfe aber keinesfalls "dazu dienen, sachliche Kritik an ihrer Amtstätigkeit abzublocken oder sich gegen öffentliche Kritik abzuschirmen". Im Konflikt zwischen berechtigten Interessen staatlicher Einrichtungen und der Presse ist ferner das Gewicht der Meinungs- und Pressefreiheit auch "insofern besonders hoch zu veranschlagen, als das Grundrecht gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet". Die "exzessive Inanspruchnahme" des Gegendarstellungsrechts durch staatliche Stellen könne zudem "schon im Hinblick auf das beträchtliche, auch finanzielle Prozessrisiko zu einer Gefahr für eine freie Berichterstattung werden".
Auch eine fehlerhafte Berichterstattung, wie sie die taz im Verfahren eingeräumt und in späteren Artikeln korrigiert hat, berechtigte "nicht stets und gleichsam automatisch zu einer Gegendarstellung", so der Verfassungsgerichtshof.
Diese von der Berliner Landesverfassung vorgegebenen Maßstäbe hätten Land- und Kammergericht nicht beachtet, deshalb hat das Verfassungsgericht der Beschwerde der taz stattgegeben. Das Kammergericht muß den Fall jetzt unter Berücksichtigung dieser Vorgaben neu entscheiden. TAZ
(AZ.: VerfGH 22/08)
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