: In der Welt verloren
KINO I Arsenal und ifa-Galerie zeigen ein Filmprogramm zu den transkontinentalen Beziehungen zwischen Afrika und Europa
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Es gibt in dem großartigen Essayfilm „Absent Present“ von Angelika Levi (2010) eine Sequenz, die es besonders in sich hat. Am Strand von M’bour in Senegal sitzt ein Mann neben einem Holzboot und bemalt dessen Flanken. Die Kamera betrachtet stoisch seine konzentrierte Arbeit. Der Bildausschnitt weitet sich. Man sieht noch viele weitere solcher Boote am Strand liegen, alle sind liebevoll und bunt bemalt, mit europäischen Nationalflaggen und beschwörenden Namen: „Papa“, „Prophet Noah“, „Soul“. Cut.
Auf einer Brache, trist umschlungen von mehreren Straßen, liegen Boote. Die Kamera zoomt heran. Es sind ebenjene Boote aus Senegal, ihre Farben verblichen, ihre Rümpfe zerbrochen. Der Leihwagentourismus Teneriffas umrauscht sie ungerührt. Sie sind Abfall, der an so viele tragische Ausgänge der Passage von Afrika nach Europa erinnert.
„Absent Present“ ist im Rahmen des Projekts „The Space Between Us“ zu sehen, das unter anderem ein Filmprogramm im Arsenal und in der ifa-Galerie Berlin beinhaltet. Von heute an werden bis Mittwoch in dem von der Filmwissenschaftlerin Marie-Hélène Gutberlet kuratierten Programm insgesamt sieben Filme zu sehen sein. Das Projekt widmet sich den transkontinentalen Verstrickungen zwischen Afrika und Europa und ist vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsproblematik hochaktuell.
Levis Film landet auch im erst in Senegal, als ihm sein eigentlicher Protagonist abhandengekommen ist. Benji P. aus Namibia lebt im Jahr 1978 als Kleinkind in einem DDR-Heim und wird nach der Wende abgeschoben, woraufhin er sich quer durch Afrika nach Deutschland zurückkämpft, staatenlos wird und seit 2005 unauffindbar ist.
Seine Geschichte erscheint zunächst einzigartig traurig. Aber diese Geschichte – so zeigt Levis Film, der um die leere Stelle seines Protagonisten immer weitere Kreise schlägt – steht exemplarisch für Wanderbewegungen zwischen Afrika und Europa. Denn Benji, so sagt es Levi aus dem Off, „ist irgendwo in der Welt verloren gegangen“. Und es ist genau dieses Verlorengehen, das alle Filme im Programm „The Space Between Us“ kennzeichnet.
Es ist, so hat man den Eindruck, ein Verschwinden oder Verlorensein, das nur möglich wird, weil der Abstand zwischen dem Hier und dem Dort – man kann es als Black Mittelmeer, als Gap zwischen Erster und Dritter Welt oder auch als „Raum zwischen uns“ beschreiben – eine Art schwarzes, konturloses Loch ist, in dem Menschen ganz einfach untergehen. Inwiefern dieses Loch ein politisch hergestelltes, künstlich vergrößertes, projiziertes oder doch kulturell bedingtes ist, diese Frage werfen die Filme und das gesamte Projekt auf.
Die „transafrikanischen, transkulturellen und transkontinentalen Verstrickungen“ sollen befragt werden, die bis nach Deutschland reichen“, heißt es von Veranstalterseite. So viel „Trans“ verunklart, dass es in dem ganzen Hin und Her Menschen sind, die verloren gehen – oder zumindest die Orientierung verlieren. Sie verschwinden so wie Benji in dem Wust der Staatenlosigkeit. Sie werden – auch hier bleibt „Absent Present“ hartnäckig – nach der überlebten Bootsüberfahrt wieder in ihr Herkunftsland abgeschoben, wo sie sich aus Scham über den missglückten Versuch nicht mehr zu ihren Familien zurücktrauen und abtauchen. Viele sterben im Meer. Andere werden als ewige Asylbewerber so lange ihrer Würde beraubt, bis sie die Kontrolle über sich verlieren („Otomo“). Die nächsten werden als schwarze Deutsche geboren und bleiben doch immer Ausländer („Black Deutschland“).
Doch nicht nur die so oft versandende oder abrupt abbrechende Spur der Wege von „Dort“ nach „Hier“ ist Thema. Die ausgewählten Filme versuchen, der Komplexität der transnationalen Verstrickungen gerecht zu werden, indem sie auch die Menschen des „Hier“ in den Blick nehmen, ihre Projektionen, Ängste, ihre bewusste oder unbewusste Vorteilsnahme durch Ungleichheit. Sei es der Alltagsrassismus von Polizisten und Straßenbahnkontrolleuren oder das exotische Begehren der hilfsbereiten Gisela in „Otomo“, die den verzweifelten Protagonisten sofort „mitnehmen“ und mit ihm vor den Freundinnen der Afrikatanzgruppe glänzen möchte.
Oder sei es die Figurenkonstellation in Ulrich Köhlers oft gelobtem Spielfilm „Schlafkrankheit“ (2011), die zwischen dem nicht von Afrika loskommenden Entwicklungshelfer und dem unsicheren WHO-Experten die Unangemessenheit jedweden westlichen Zugriffs auf das „Afrikanische“ durchscheinen lässt.
„Absent Present“ dagegen legt, ausgehend von Benjis Schicksal, immer längere Ariadnefäden durch ein historisches Kontinuum, das von den Abschiebelagern auf Teneriffa und den EU-Millionen für Frontex über spanische Arbeitsmigration Richtung BRD in den 1960ern bis zu Kolumbus reicht. Es sind das kapitalistische Kontinuum und seine Mechanismen, die Menschen benötigen, um sie nach Bedarf als billige Arbeitskraft, exotische Begehrenstrigger und jederzeit auszubürgernder Rand der Gesellschaft zu benutzen. Die Filme versuchen mit je eigenem künstlerischem Ansatz dieser tödlichen systemischen Ignoranz und diesem unbedachten Verlorengeben zu begegnen.
■ Arsenal, 18. bis 20. 11., jeweils um 19 und 21 Uhr (in Anwesenheit der RegisseurInnen); weitere Filme: ifa Galerie, 21. bis 24. 11.
■ Mehr Infos zum Projekt und zum Filmprogramm „The Space Between Us“ auf www.ifa.de und thespacebetweenusberlinstuttgart.wordpress.com