: In der Schusslinie
Das Künstlerhaus Stuttgart beschäftigt sich mit „Plug-in-Philosphie“ und der besseren Vernetzung politischer Fragestellungen im Kunstkontext. Zurzeit werden die Filme von Harun Farocki gezeigt
von GABRIELE HOFFMANN
Wer nach der Adresse vom Künstlerhaus Stuttgart fragt, hat unter Umständen im Ausland mehr Erfolg als in Stuttgart selbst. 1978 als Initiative bildender KünstlerInnen begonnen und bis heute in Selbstorganisation fortgeführt, war die Institution lange Zeit eine Stätte interdisziplinärer künstlerischer Arbeit, bei der vor allem mit neuen Produktionsformen experimentiert wurde.
Als Fareed Armaly seine Arbeit als künstlerischer Leiter 1999 in Stuttgart begann, fand er nicht nur das Gebäude sanierungsbedürftig. Die Abfolge vom Eingang über ein Stiegenhaus zur ersten Etage mit digitalen Studios für Video, Film und Ton, über Ausstellungsräume in der zweiten und Ateliers in der dritten Etage bis zum „haus.0“ als Programmzentrale sollte nach dem Willen des neuen Hausherrn umgeändert werden: in eine horizontale Struktur nach dem Prinzip „verschiedene mögliche Versionen der Vergangenheit einer Institution mit denkbaren Varianten der Zukunft“.
Das Überdenken der Institution spiegelt sich in einer neuen Website: Die Funktion von „haus. 0“ wird darin in Analogie zum „Prinzip eines Webbrowsers“ beschrieben. Das Verbindende von Ausstellungen, Workshops und anderen Formen künstlerischer Produktion und Präsentation gründet in der „Plug-in-Philosophie“ von „haus 0“. Seine Aufgabe hat Armaly von Anfang an darin gesehen, eine „Umgebung“ zu schaffen, „die sich mit bestimmten Formen zeitgenössischer Kunstpraxis besser kurzschließen kann, die nicht nur von Kunst handeln, sondern von Kultur, Gesellschaft und Repräsentationspolitik“.
Ein Beispiel für den Austausch mit anderen Institutionen ist das Projekt „Revival Fields Part 1“, das der in New York lebende Mel Chin zusammen mit der Universität Hohenheim im Künstlerhaus durchführt. Pflanzen, die dem Boden Schwermetalle entziehen, so genannte Superakkumulatoren, werden in dem von Mel Chin entworfenen „Greenhaus“ aus Samen gezogen, um dann auf ein Versuchsfeld der Universität umgepflanzt zu werden. Ruby Sicars Projekt „AMP“ (Asiatic Mode of Production) wiederum ging von zwei Fragen aus: Welche kulturelle Identität haben im Ausland lebende Asiaten der zweiten Generation, die ihre eigene Kultur nur durch das Spiegelbild der ersten Generation kennen? An ausgewählten Produkten zeitgenössischer indischer und pakistanischer Populärkultur wurden Phänomene der „Rekolonialisierung“ diskutiert, die vor allem das sich (positiv) verändernde Bild der Frau auf dem Subkontinent betreffen.
Gegenwärtiger Ortstermin im Künstlerhaus ist die Ausstellung „Spuren der Inszenierung“ und ein „artist’s space“ des Filmemachers Harun Farocki. Die Wiener Künstlerin und Kuratorin Constanze Ruhm präsentierte ihn bei der Vernissage mit dem Film „Nicht löschbares Feuer“ von 1969 und Jill Godmilovs Remake „What Farocki Taught“ von 1998. Die amerikanische Filmemacherin reagierte auf die Tatsache, dass Farockis Film, der von Napalm-Produktion durch DOW Chemicals zur Zeit des Vietnamkriegs handelt, in den USA nie gezeigt wurde. Die Reproduktion (in Farbe und auf Englisch) ist eine „identische Kopie“ durch detailgenaue Nachstellung. Zugleich zeigt sich darin eine zeitgemäße Form der Intervention.
Farockis Schwarzweißstreifen ist nüchtern und kühl im Ton, frei von schockierenden „wahren“ Bildern. Der Film arbeitet mit Modellen: „Es gibt keine Helden und keine Bösewichte – nicht einmal wirkliche Figuren, sondern Statisten, die durchschnittliche Typen darstellen“ (Godmilow). Mit ihnen lässt sich jeder Krieg machen.
In der Ausstellung „Spuren der Inszenierung“ werden Farockis Filme in den Kontext der Überwachungsthematik gestellt. Dabei wird der auf Dokumentarmaterial basierende Film „Gefängnisbilder“, ebenfalls von 2000, als Single-Channel-Version gezeigt. Zwischen zwei Gefangenen im Hof eines amerikanischen Hochsicherheitstrakts kommt es zu einem Gerangel. Im Moment des Angriffs legen sich alle übrigen Gefangenen flach auf den Boden, man hört Rufe der Wärter, dann einen Schuss. Einer der Kämpfenden ist tot. Es folgen Aufnahmen vom Training der Wärter, die das Geschehen widerspiegeln. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass das Operationsfeld der Überwachungskameras sich mit dem Schussfeld der Kontrolleure deckt. Filme wie diese haben ihren Platz im Kino und im Fernsehen für gängige Ware räumen müssen. Das Künstlerhaus Stuttgart gehört sicher zu den Orten mit idealen Vorführungsbedingungen – nur wer wird sie dort sehen?
Die holländische Künstlerin Wendelien van Oldenborgh, zur Zeit Stipendiatin des Künstlerhauses, fokussiert beim Thema Überwachung auf das Machtverhältnis zwischen Frauen. Eine doppelte Diaprojektion aus Videostills zeigt eine Polizistin, die Frauen vor ihrem Eintritt in ein Fußballstadion kontrolliert, einmal in Bildausschnitten, in denen nur ihre abtastenden Hände zu sehen sind, das andere Mal aus größerer Distanz. Die Filmerin als Kontrolleurin der Polizistin wird selbst Teil der Überwachungsmaschinerie. Mit dieser Strategie intensiviert van Oldenborgh die Zeichen erotisch aufgeladener Machtausübung.
Mit den Dokumenten zu Olaf Metzels „Stammheim“-Inszenierung kommt neben Gefängnis und Fußball das Museum als dritte Institution ins Spiel. Metzel hatte 1984 an die Wand des Württembergischen Kunstvereins einen Betonkranz von der Art eherner Siegeskränze gelehnt und in weißer Schrift „Stammheim“ auf die Mauer geschrieben. Heute ist das Graffiti mit weißer Farbe halb zugestrichen. Für einen Vertreter des zuständigen Ministeriums ist die „Schmiererei“ ein willkommener Anlass, die Entfernung von Metzels Intervention anzuordnen – „nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil das Gebäude renoviert werden soll“.
Bis 14. 12., Künstlerhaus Stuttgart
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