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Archiv-Artikel

In der Hanswurstenwelt

Mit 64 Jahren begann der Börsenmakler John Elsas zu schreiben, zu zeichnen und Collagen für seine Enkel zu kleben. Die Gedenkstätte in Düsseldorf zeigt Werke des kaum bekannten jüdischen Künstlers

VON HOLGER ELFES

Von Bankern erwartet niemand künstlerische Kreativität. Auch der Börsenmakler John Elsas (1851-1935) entsprach ganz dem Klischee. Bis er 64 Jahre alt war und plötzlich seine Leidenschaft fürs Dichten von Knittelreimen und kunstvolle Klebecollagen erwachte. 125 Werke des jüdischen Künstlers sind jetzt in der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte zu sehen.

Das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem hinterlassenen Gesamtwerk. In seinen letzten 20 Lebensjahren entwickelte Elsass, der in Frankfurt gelebt hat, eine solche Schaffenswut, dass er rund 25.000 Blätter anfertigte. Erst lange, ironisch-moralisierende Gedichtchen, die er seinen Enkeln Herbert und Hans schickte, inspiriert von Heinrich Hoffmann, dem Erfinder des „Struwwelpeter“. Am Eingang der Ausstellung haben die Kuratoren die beiden auf zwei Tafeln gegenüber gestellt.

Doch John Elsas entwickelt schnell seinen eigenen Stil. Phantasievolle bunte, manchmal auch schwarz-weiße Collagen, Aquarelle und Zeichnungen prägen sein Schaffen. Vor allem Menschen und Traumfiguren sind zu sehen, entstanden aus gerissenem Geschenkpapier, Tapeten oder Konfitürenkartons. Je aufwendiger die Bilder werden, desto kürzer fallen die Reime aus, die am Ende nur noch ein kommentierende Zwei- oder Vierzeiler sind. „Man kann Elsas weder der naiven Kunst, noch der Avantgarde zuordnen“, sagt Helen Quandt, die die Ausstellung nach Düsseldorf brachte. Elsass war im Nachkriegsdeutschland kaum bekannt. Die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte hatte ihn im art-brut Lagerhaus-Museum in St. Gallen entdeckt. Dort wird das Gesamtwerk von John Elsas bewahrt, das in Kisten versteckt die NS-Zeit überstand und später zur in der Schweiz lebenden Tochter Fanny Raff gelangte. Seine andere Tochter Irma wurde in Theresienstadt ermordet.

Erst in den letzten Jahren interessiert sich die Kunstszene wieder für den Mann, der in den frühen 30er Jahren kurz vor dem künstlerischen Durchbruch gestanden hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte die Schirn Kunsthalle in Frankfurt/Main 2001 erstmals eine Auswahl von Elsas-Bildern.

Mahn- und Gedenkstätte, DüsseldorfBis 18. September