krieg im irak : In der Hand der Geistlichen
Jung, ungebildet und extrem gewalttätig, das ist Muktada al-Sadr. Getrost könnte man ihn ignorieren, würde er nicht seit Monaten mit seiner Mahdi-Armee für Chaos im Irak sorgen. Seit Anfang August führt er einen mörderischen Kampf gegen die irakische Interimsregierung – und die Amerikaner. Premierminister Allawi hat den Kampf gegen al-Sadr zur Schicksalsfrage für die Regierung gemacht. Mit dem erhofften Sieg über die Milizionäre wollte sie allen bewaffneten Gegnern einen Denkzettel verpassen und damit den Rücken freihaben für die Umgestaltung des Landes. Weit davon entfernt war sie möglicherweise nicht.
KOMMENTARVON INGA ROGG
Mit der Rückkehr von Großajatollah Ali Sistani hat der Konflikt indes eine weitere überraschende Wende genommen. Sistani hat in den Augen der Mehrheit der Schiiten alles, woran es Sadr mangelt – Weisheit, Ruhe und Kompromissbereitschaft. Aber Sistani will mit Sadr keine offene Konfrontation. Nun hat er zum Marsch nach Nadschaf aufgerufen. Hunderttausende sollen die Pilgerstadt und vor allem den Imam-Ali-Schrein vor weiterer Zerstörung schützen.
Dem Ruf folgen aber auch tausende von Sadr-Anhängern, die die Amerikaner nach zähem wochenlangem Kampf endlich aus der Pilgerstadt vertrieben haben. In Sadr-Stadt, einer Hochburg der Miliz, wird dies als Schulterschluss der Schiiten gegen die Ungläubigen ausgegeben. Ihre Waffen wollen sie diesmal zu Hause lassen. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass Sadr von seiner militanten Position abgerückt ist und einer friedlichen Lösung eine Chance gibt. Wichtig ist für ihn dabei, dass er sein Gesicht wahren kann. Dazu müsste er zumindest symbolisch mit den höchsten Geistlichen des Landes ebenbürtig erscheinen.
Ein Freund der Besatzungstruppen ist auch Sistani nicht. Doch wie die Mehrheit der Schiiten will er kein weiteres Blutvergießen, deshalb hat er Allawis Regierung zumindest indirekt den Segen gegeben und rät vom Kampf gegen die fremden Truppen ab. Wie die Mehrheit der schiitischen Politiker glaubt er, dass die fremden Truppen eher abziehen, wenn im Zweistromland Stabilität erreicht wird.
Doch was immer in den nächsten Tagen in Nadschaf passiert, die Regierung ist dabei außen vor. Das Schicksal des Zweistromlands liegt in den Händen zweier Geistlicher, sie entscheiden über Krieg oder Frieden. Von der Weisheit Sistanis hängt es nun ab, Sadr den goldenen Weg zu zeigen.
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