: In der Falle
■ Zur Diskussion um Schwangerschaftsabbruch in Polen
KOMMENTAR
Die Mutter einer der Freundinnen meiner dreizehnjährigen Tochter war aufgebracht über die Tatsache, daß ihre Tochter Ania schwanger ist. Sie rief: „Wir haben uns totgeschuftet, damit es ihr an nichts fehle. Und jetzt diese Schande, diese Schmach.“ Drei Jahre zuvor war diese Frau bei uns gewesen und hatte verlangt, daß wir ihr Kind nicht „demoralisieren“. Sie hatte damals gerade bei ihrer Tochter ein Heft über Sexualerziehung entdeckt und beschlagnahmt, das diese von uns ausgeliehen hatte.
Ein schwieriges Thema. Es ruft die meisten Emotionen wach. Das polnische Abtreibungsgesetz von 1956 sollte einer Frau in extremer Lage einen rechtmäßigen Ausweg eröffnen, der medizinisch so wenig riskant wie möglich sein sollte und zugleich ihre Würde respektiert. Warum sich diese Tür in ein weit geöffnetes Tor verwandelte, ist ein Kapitel für sich. Ich meine, es ist unabdingbar, daß ein solches Gesetz, eine Hintertür offen läßt, genauso, wie in einer ethischen Norm eben keine Hintertür sein darf.
Heute entstehen aus der Initiative zahlreicher katholischer Kreise neue Gesetzesentwürfe, die ein vollkommenes Abtreibungsverbot und Gefängnisstrafen für all diejenigen vorsehen, die gegen das Verbot verstoßen. Diese Projekte haben zu der ersten Frauendemonstrationen in Polen und anschließend zur Gründung von feministischen Gruppierungen geführt. Ich unterstütze ihre Kampagne gegen ein vollkommenes Verbot und die Kriminalisierung von Abtreibungen.
Die Autoren der neuen Gesetzentwürfe glauben, es genüge, eine Liste von Verboten und Geboten zu verfassen und im Parlament durchzuboxen, und schon werden ihre Postulate zur Wirklichkeit. Aber genau so ist es nicht. Repressionen erhöhen keinesfalls die Durchsetzungskraft des Rechts. Erfahrene Juristen behaupten gar, daß irreales Recht Kriminalität erst hervorbringt. Heute wird versucht, Frauen, die Abtreibungen vornehmen ließen, als Verbrecherinnen aus der Gesellschaft auszustoßen. Und sei es bei einem Schwangerschaftsabruch nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter. Zeitgleich finden in Polen Kampagnen statt, die den Frauen die Möglichkeit rauben sollen, sich vor einer unerwünschten Schwangerschaft zu schützen. Die starke Anti-Verhütungslobby und eine traditionelle Abneigung gegen Sexualaufklärung führen zu ungewünschten Schwangerschaften und machen gerade das Wesen des Problems aus.
Ewa Nowakowski
Die Autorin arbeitet bei der polnische Zeitung 'Polityka‘
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