piwik no script img

■ In den nächsten Wochen entscheidet sich Majors ZukunftPfeifen im dunklen Wald

Wenn sich die Führungsriege der Tories nach dem Debakel bei den Kommunalwahlen schützend vor ihren Premierminister John Major stellt, so klingt es wie ein Pfeifen im dunklen Wald. Das ist freilich nur die Begleitmusik zu den Stimmen der Bezirksräte, die ihre Sitze verloren haben und Major dafür persönlich haftbar machen. Die Wahlen am Donnerstag waren aber nur der Auftakt einer Wahlserie, die zwar nicht über das Schicksal der Konservativen Partei, wohl aber über Majors Zukunft entscheidet. Die Tory-Abgeordneten zittern um ihre Sitze. Noch keine britische Regierung in diesem Jahrhundert war so unbeliebt wie Major und sein Kabinett, wenn man den Umfragen glauben kann. Doch darf man die Tories nicht vorschnell abschreiben. Eine strategische Steuersenkung zur rechten Zeit, ein deutlicherer wirtschaftlicher Aufschwung, und sie können durchaus die fünfte Wahl in Folge gewinnen. Sie haben gut zweieinhalb Jahre Zeit, um sich vom „Halbzeit-Blues“, den praktisch jede Regierungspartei nach der Hälfte der Legislaturperiode durchmacht, zu erholen.

Major hat diese Zeit nicht. Sein Schicksal wird am 9. Juni bei zwei weiteren Wahlen entschieden. Im südenglischen Eastleigh, wo die Tories bei einer Nachwahl den Sitz verteidigen müssen, haben sie sich bereits mit einer Niederlage gegen die Liberalen Demokraten abgefunden. Das alleine würde Major noch nicht das Genick brechen, auch wenn seine Parlamentsmehrheit dadurch auf 15 Mandate schrumpft. Wichtiger sind die Europawahlen – und hier lauert eine Katastrophe auf den Premierminister. Die Debatte um Europa wird innerhalb der Konservativen Partei mit politisch selbstmörderischer Erbitterung geführt, so daß sich die Oppositionsparteien entspannt zurücklehnen können.

Der einzige Trumpf, den Major noch im Ärmel hat, ist das düstere Szenario, das er den Tories an die Wand malt: Auf Königsmord, so droht er, stehe mindestens ein Jahrzehnt auf den harten Oppositionsbänken. Doch immer mehr Hinterbänkler gelangen zu der Überzeugung, daß die Aussichten mit Major an der Spitze noch trüber sind. Der Lynchmob formiert sich zur Zeit noch im verborgenen. Die Wahrscheinlichkeit, daß er auf dem Parteitag im Oktober aus dem Versteck kommt, läßt sich in Zahlen ausdrücken: Büßen die Tories die Hälfte ihrer 36 Europasitze ein, wird es kritisch für Major. Gewinnen sie gar nur 15 Mandate oder weniger, ist er nicht mehr haltbar. Wer sein Geld auf Majors Sturz setzen will, sollte das jetzt tun. Nach dem 9. Juni lohnt es wahrscheinlich kaum noch, weil die Quoten dann zu niedrig stehen. Ralf Sotscheck

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen