In Memoriam Rolf Schwendter: „Er kochte eine Suppe“
Mit Liedern, wissenschaftlicher Prosa, Gedichten und einem Dramolett erinnert sich sein Bremer Zirkel an Koch, Universalgenie, Professor und Zausel Rolf Schwendter.
taz: Herr Feest, die Gedenkveranstaltung für Rolf Schwendter wirkt sehr privat …
Johannes Feest: Das ist sie auch! Es ist eine Veranstaltung jener, die sich mit Schwendter trafen, wenn er nach Bremen kam.
Warum?
Aus mehreren Gründen: Einmal hätte man es als öffentliche Veranstaltung anders aufziehen müssen. Das hätte ich so schnell nicht geschafft …
… er ist ja erst vor zehn Tagen gestorben.
Außerdem scheint es mir so mehr in seinem Sinne. Er war ja bei aller Öffentlichkeit seines Wirkens, sei es als Koch, Autor Professor oder sogar bei seinen Auftritten auf eine merkwürdige Weise eine nichtöffentliche Person.
Was heißt das?
Also: Rolf Schwendter fuhr tatsächlich durch die Lande, gab bekannt, wann er wo war – und veranstaltete dort einen jour fixe.
Das heißt?
Er kochte eine Suppe – und im Laufe des Tages kamen die Leute zu ihm, die mit ihm sprechen wollten.
In den 1960er-Jahren hat er sich aber auch auf die große Bühne vom Liedermacher-Festival auf Burg Waldeck gestellt!
Ja, da war er dabei, wie bei so vielem. Das scheint mir einer der wichtigen Punkte seiner noch zu schreibenden Biografie: Dass er fast überall dabei war, bei fast jeder Bewegung, und auf die meisten großen Einfluss ausübte – ohne selbst darin aufzugehen.
Klingt einleuchtend, gerade wenn man schaut, was die anderen Waldeckianer vorhatten: Die Reinhard Meys und Hannes Waders wollten Kunst machen. Und Schwendter setzt sich hin, kloppt auf die Handtrommel und singt: „I can’t get no“ auf Deutsch und mit grenzwertiger Intonation …
„Ich bin noch immer unbefriedigt“, ja: Ihm ging’s nicht um die hohe Songkultur. Die Kindertrommel ließ er später weg und begleitete seine Lieder nur noch, indem er mit der Hand auf den Tisch klatschte.
… und total unrhythmisch! Der Dilettantismus schmerzt alle in den Zwängen ihrer Kunst gefangenen ProfimusikerInnen, ist aber bewusst gewählt?
Das sollte man so sehen: Rolf hat sich stark auf John Cage bezogen. Und er war Joseph Beuys in Vielem nahe, der ja gesagt hat: Jeder ist ein Künstler. Rolf war dadurch ein großer Anreger – auch beispielsweise als ungekrönter König des Wiener Improvisations- und Lesetheaters. Er hat ja auch uns hier in Bremen dazu gebracht, so etwas einzurichten.
Verwirklicht dieser Dilettantismus aus Prinzip, was Schwendter in seiner „Theorie der Subkultur“ 1971 beschrieb?
Das wäre ein guter Ansatz, das Buch zu interpretieren …
… also in dem Sinne, dass diese Theorie, die heute meist als idealisierend verworfen wird, eben nicht deskriptiv, sondern teleologisch zu lesen wäre, als Beschreibung eines Ziels …?
Ich denke, das ist eine Möglichkeit: Zu den Punkten, die ich daraus übernommen habe, und die auch ich normativ verstehe, gehört die Theorie der Drehpunktpersonen, also, dass eine widerständige Subkultur auch Mistreiter in der Verwaltung haben muss – damit, wenn sie erfolgreich sein sollte, jemand da ist, der so etwas wie Verwaltung kann, und diese Funktion übernimmt. Das Buch ist damals ja großteils bei mir am Küchentisch entstanden …
Hier in Bremen?
Nein, noch in München: Rolf war auf der Flucht vor dem Bundesheer, er hatte sich der Einberufung entzogen, und ernährte sich fast nur von Oliven.
Warum das?
Weil er kein Geld hatte. Das war auch der Grund, weshalb er, obwohl er als einer der ersten die Bedeutung der Renaturierung propagierte, keine Baumwolltaschen benutzte. Bis zum Schluss wurde er nie anders angetroffen als mit Plastiktüten. Die gab es nämlich umsonst. Und in denen trug er alles, was er brauchte: In München hatte er in einer von ihnen die Oliven, in einer anderen das Manuskript.
Und die Schreibmaschine?
Er hat nie eine Schreibmaschine benutzt, auch kein Telefon oder E-Mails. Dabei hatte er als Präsident der Grazer Autorenversammlung …
… also des österreichischen Schriftstellerverbands …
… als Vorsitzender der Erich Fried Gesellschaft und der AG SPAK erhebliche organisatorische Aufgaben bewältigt.
Das ging?
Ganz vorzüglich! Er war extrem zuverlässig, lehnte aber als Mensch des Gesprächs diese mittelbare Art der Kommunikation immer ab. Auch sein Werk liegt, wenn es noch nicht gedruckt ist, nur handschriftlich vor: Das Dramolett „Victor“, das wir heute aufführen, musste ich erst transkribieren, um die Rollen zu verteilen.
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