In „Hit & Miss“ trifft die trans* Killerin Mia ihren Sohn: Da werden Serienjunkies zu gemeinen DVD-Dieben
Die Couchreporter Heute: Doris Akrap
Bücher verleihen ist nicht ratsam. Meist erhält man nicht zurück, was man guten Herzens weggegeben hat. Ob das mit DVDs in der Regel auch so ist, weiß ich nicht. Ich besitze nur zwei DVDs, Thomas Bernhards „Monologe auf Mallorca“ und die komplette Staffel „Kottan ermittelt“. Den Rest gucke ich so, wie jeder herkömmliche Serienjunkie es tut: im Internet.
Vor einigen Wochen hatte ich mit einer Kollegin, die eine große Serienjunkiesister im Geiste ist, wieder eines dieser Hast-du-das-schon-gesehen-Nein-Aber-kennst-du-das?-Das-würde-dir-gefallen-Gespräche. Es ging um die britische Serie „Hit & Miss“, die ich tatsächlich noch nicht gesehen hatte.
Am nächsten Tag kam ich ins Büro, und die DVD mit allen sechs Folgen lag auf meinem Schreibtisch. Ich hatte gar nicht danach gefragt, weil ich das ja im Internet geguckt hätte. Aber es ist sehr rührend, wenn jemand einem die Lieblings-DVD ungefragt zur Ansicht überlässt.
Ein paar Tage später jedoch war die DVD weg. Weg. Sie lag auf meinem Schreibtisch in der Redaktion, von dem noch nie irgendwas weggekommen ist. Noch nie.
Aber jetzt. Ich kann es absolut verstehen, wenn ein Serienjunkie Stoff braucht und der Turkey ihn zum gemeinen Dieb macht. Ich kann absolut verstehen, wenn sich dieser Junkie die DVD ungefragt ausleiht, bingewatched und wieder zurückbringt. Es sind ja auch nur 6 Folgen plus Bonusmaterial. Anfangs hoffte ich auf einen solchen Fall. Aber vergeblich.
Die DVD ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Ich erzählte dem deutschen DVD-Produzenten Ascot Elite Home Entertainment davon. Ein paar Tage später hatte ich Post auf dem Tisch: die DVD von Hit & Miss, original verpackt. Das war eine große Geste. Danke dafür.
Nach dem Bingewatchen, was nur eine Nacht dauerte, kann ich diese DVD nun uneingeschränkt empfehlen. Ein bisschen skeptisch war ich zu Beginn allerdings schon: Der Plot wirkt arg vollgestopft mit Effekthascherei: Transsexuelle Auftragskillerin, die erfährt, dass sie einen 11-jährigen Sohn hat, der in der Zeit gezeugt wurde, als sie noch ein Mann war, und dessen Mutter nun an Krebs gestorben ist. Und immer wieder Windräder in Großaufnahme in der Landschaft, die als Phallusverlängerung wirken sollen. Aber die Serie entwickelt in der kurzen Zeit, die sie hat, einen Bann, den Serien auf so kurzer Strecke selten zu erzeugen vermögen.
Es ist das fantastische Spielen von Chloe Sevigny in der Hauptrolle der Mia, die Inszenierung brutaler männlicher Gewalt und Machtbehauptung und die Verknüpfung mit Geschlecht und Sexualität. Am berührendsten aber ist die Thematisierung von Mutter- und Vaterrolle, die in der Hauptfigur Mia vereint sind.
Eine der krassesten Szenen: Leonie, die kleine Tochter von Mias verstorbener ehemaliger Freundin Wendy, zeigt ihr, wie man einem toten Huhn auf dem Küchenbrett den Hals durchschneidet. Das Ritschratsch-Geräusch, das durch Federn und Halsmaterial des Huhns geht, vergisst man so schnell nicht mehr.
Lieber Dieb, es sei dir eine Warnung. Ich hoffe, du hast wenigstens den Anstand, deine geklaute DVD weiterzuverleihen. Auf dass sie rege Weiterverbreitung findet.
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