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Improvisieren lernen

Spontane Momente der Inspiration: Vor 13 Jahren hat Matthias Schwabe das Exploratorium gegründet. Seitdem treten hier die Größen des modernen Jazz auf

Eddie Prévost (links) lauscht Matthias Schwabe im ExploratoriumFoto: Sergej Horowitz

Von Andreas Hartmann

Nervöse Pianoläufe wickeln sich um ein polyrhythmisches Getrommel. Perlen die Klavierkaskaden mal schneller, reagiert das Schlagzeug und nimmt zusätzlich an Fahrt auf. Werden sie langsamer, zischeln nur noch vereinzelte Beckenschläge schlaff vor sich hin. Dann, im nächsten Moment, verwirbeln sich die Klänge neu, und das Zusammenspiel der zwei Instrumente löst sich scheinbar wieder auf. So funktioniert freie Improvisation. Aktion, Reaktion und Interaktion, spontan, aus dem Moment heraus. Vorgeführt wird diese Lehrstunde von zwei weltbekannten Meistern der Jazzimprovisation, von Keith Tippett und Louis Moholo Moholo. Der eine ist 70, der andere noch ein paar Jahre älter. Aber sie haben es noch drauf, wie sie vor einigen Wochen bei ihrem Duo-Konzert im Exploratorium bewiesen, das sich im Kreuzberger Bergmannstraßenkiez im Hinterhof der Sarotti-Höfe befindet.

Kenner wissen, dass sich im Exploratorium regelmäßig internationale Größen des modernen Jazz ein Stelldichein geben. Anfang November etwa kam Evan Parker aus London, auch so ein unermüdlicher alter Mann des Free Jazz. Sie alle landen dann in einem Raum mit Yogaschulenatmosphäre, mit Parkettfußboden und weißen, kahlen Wänden, in dem man auf harten Stühlen sitzt, wo das Bier an der Selbstbedienungsbar aber nur einen Euro kostet. Als „Veranstaltungszentrum für improvisierte Musik und kreative Musikpädagogik“ bezeichnet sich das Exploratorium in einer Selbstbeschreibung.

Wird nicht zu hochkarätigen Improvisationskonzerten geladen, finden hier Workshops statt, die sich möglichst allumfassend mit den Ausdrucksmöglichkeiten der Improvisation beschäftigen. Improvisation ist die Kunst, von Augenblick zu Augenblick etwas zu entwickeln, spontane Momente der Inspiration. Und das kann erlernt werden. Durch Übung, Praxis, Austausch mit anderen. Dafür hat Matthias Schwabe das Exploratorium vor 13 Jahren gegründet.

Ein „House of Jazz“, das sich der Trompeter Till Brönner für Berlin wünscht, wird es vielleicht nie geben in der deutschen Hauptstadt. Das Interesse der Politik scheint dafür ziemlich überschaubar zu sein. Aber eine Art Haus für improvisierte Musik, zumindest eine Etage dafür, gibt es bereits. Schwabe führt durch die Räumlichkeiten, in der es auch eine kleine Bibliothek gibt. Die englischsprachige Musikzeitschrift Wire etwa liegt aus oder ein fünfbändiges Werk des amerikanischen Free Jazzers Anthony Braxton mit dessen Gedanken zur freien Improvisation, von dem sich Schwabe sicher ist, dass es keine andere Bibliothek in Berlin im Bestand hat.

Schwabe hat sich mit dem Exploratorium einen Lebens­traum verwirklicht. Ein Ort wie der seine, ein interdisziplinäres Zentrum für Improvisation und Musikpädagogik, sei seines Wissens nach in dieser Form einmalig auf der Welt, sagt er. Sogar eine eigene Zeitschrift bringt das Team des Exploratoriums im Auftrag eines mit ihm kooperierenden Verein heraus – Improfil, ein Magazin zur „Theorie und Praxis improvisierter Musik“.

Die Kunst,von Augenblickzu Augenblicketwas zu entwickeln

Schwabe ist Schüler von Lil­li Friedemann, einer Violinistin, die bei Paul Hindemith gelernt hatte, sich in den Fünfzigern der freien Improvisation zuwandte und deren Arbeitsweise für die Musikpädagogik einflussreich wurde. So fand Schwabe selbst zu seinem großen Thema, zu dem er auch an Hochschulen doziert und Bücher veröffentlicht. Seine Instrumente sind Flöte und Piano, aber „eigentlich bin ich nicht an ein bestimmtes Instrument gebunden“, sagt er. Auch aus Instrumenten, die er im klassischen Sinne nicht beherrscht, kann der erfahrene Improvisator etwas Brauchbares entlocken. Der Free-Jazz-Pionier Sun Ra hatte seine Mitstreiter sogar manchmal bewusst dazu gebracht, sich an Klangerzeugern zu versuchen, die sie nie vorher in der Hand hatten, um ihre Kreativität herauszufordern.

Was Schwabe an der Improvisation so reizt, sei vor allem, dass es die Aufteilung zwischen Komponist und Interpret nicht mehr gibt. Man spielt, erzeugt Klänge und ist dabei immer Komponist und Interpret gleichzeitig. Frei nach Beuys kann jeder Musiker sein, auch ohne Noten beherrschen zu müssen. Auch klassischer Jazz sei etwas anderes als die freie Improvisation, an der ihm so viel gelegen ist, erklärt Schwabe: „Auch im Jazz heißt es erst einmal üben und dann spielen“, sagt er, „wir jedoch fangen mit dem Spielen an.“ Und genau diese Erfahrung, Musik ohne spezielle Vorkenntnisse zu erzeugen, möchten er und seine Workshopleiter in angebotenen Kursen zu „Poesie und Musik“ oder „Musique concrète“ oder bei der offenen Bühne, die es einmal im Monat gibt, Interessierten vermitteln.

Die Kurse tragen sich einigermaßen selbst, sagt Schwabe. Außer vielleicht, wenn sie von Spitzenmusikern wie Barre Philips oder Fred Frith gehalten werden, die er auch schon hier hatte. Dann zahlt die Lili-Friedemann-Stiftung dazu, die Schwabe mit geerbtem Geld gegründet hat. „Vor allem die Musiker, die hier auftreten, möchte ich anständig bezahlen“, sagt er. In anderen Berliner Läden, wie etwa dem Ausland im Prenzlauer Berg, ist das oft nur möglich, wenn es entsprechende Fördergelder gibt. Schwabe möchte von Fördertöpfen unabhängig bleiben, außerdem scheue er den bürokratischen Aufwand. Wenn Keith Tippet und Louis Moholo Moholo bei ihm dann vor 80 Gästen für kleines Eintrittsgeld spielen, dann zahlt die Lilli-Friedemann-Stiftung einfach drauf. Das ist dann wohl improvisierte Kulturförderung.

Das nächste Konzert im Exploratorium bestreiten P.O.P. (Psychology of Perception) am Donnerstag

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