Image einer Stadt im Ruhrgebiet: Shithole Gelsenkirchen
Als die englischen Fans in der Ruhrpott-Ruine aufschlugen, war die Verwunderung groß. Während der Verein aktiv wird, schläft die Verwaltung weiter.
Das Drama begann mit der Ankunft der Engländer in Gelsenkirchen. Sie kamen am Hauptbahnhof im Süden an. Dem besonders armen Teil der Stadt. Die Fußgängerzone ist von Leerstand geprägt, es gibt nur wenige Kneipen und Restaurants. Die britischen Fans wurden in eine „Fanzone“ auf der dafür kaum geeigneten Trabrennbahn am Stadtrand abgeschoben – aus Sicherheitsgründen. Dass die An- und Abreise zum Stadion nicht funktionierte, gab der englischen Stimmung den Rest. In den sozialen Netzwerken machte der Begriff „shithole“ die Runde. Dabei hätte es auf der Schalker Meile rund um die traditionsreiche Glückauf-Kampfbahn oder im Nordsternpark auf einem ehemaligen Zechengelände geeignete Plätze gegeben.
Für die Gelsenkirchener war das keine Überraschung, denn die Probleme ihrer Stadt sind nicht zu übersehen. Armut, Arbeitslosigkeit, Armutszuwanderung, Lehrermangel, Schrottimmobilien und eine marode Infrastruktur sind hier an der Tagesordnung. In Rankings zur Lebensqualität in Deutschland schneidet die Stadt an der Emscher regelmäßig schlecht ab. Schöne Plätze, klassische Eckkneipen und interessante Orte sind rar, aber es gibt sie, man muss sie nur finden. An dieser Stelle wäre das Social-Media-Team der Stadtverwaltung gefordert gewesen, aber es passierte nichts. Stattdessen wurde im schönsten Marketingsprech auf das Musiktheater, Schloss Berge und den Zoo verwiesen. Alles wie immer.
In diese Lücke stößt eine Initiative aus dem Umfeld des ehemaligen CDU-Oberbürgermeisterkandidaten Malte Stuckmann. Das schlechte Image der Stadt wird als Vorlage für eine Kampagne mit dem Instagram-Account „gibdirgelsen“ genutzt. Hier wird im Ruhrpott-Klartext „Heute Gelsen, morgen Oxford“ auf die Studiengänge der Westfälischen Hochschule verwiesen: „Hier kannst du was werden, trotz letztem Platz im Städteranking. Oder gerade deswegen.“ Guerillamarketing im besten Sinne für das „best shithole“ eben. So etwas hätte eigentlich aus der Kommunikationsabteilung der Stadt kommen müssen.
Beginn der EM-Vorbereitungen: 2017
Immerhin haben die Vorbereitungen auf die EM bereits 2017 begonnen; die vier Spiele in der Veltins-Arena werden die Bürger der Stadt rund 20 Millionen Euro kosten.
Natürlich hat Gelsenkirchen ein großartiges und modernes Stadion, aber auch hier sind die Fans der entscheidende Faktor. In der letzten desolaten Saison des FC Schalke 04 stellten sie einen neuen Zuschauerweltrekord auf. Mit dieser Einstellung ertrugen sie den schlechten Fußball ihrer Mannschaft und hatten großen Anteil am Klassenerhalt.
Die Stärke der Region sind nach wie vor die Menschen, die ihren nicht einfachen Alltag mit Humor und Haltung meistern. So berichteten viele Engländer von freundschaftlichen Begegnungen, denn Kontakt findet man in Gelsenkirchen schnell. An guten Tagen werden Solidarität, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft großgeschrieben.
Eine reine Eventorientierung hilft Gelsenkirchen nicht, die seit Jahrzehnten bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen.
Auch beim Verein, dem FC Schalke 04, haben die Verantwortlichen nach Jahren des Niedergangs einen Neuanfang für eine tragfähige Zukunft angekündigt. Dazu gehört, sich von ungeeignetem Personal zu trennen, einen langfristigen Plan zu verfolgen und das vorhandene Kapital sinnvoll zu investieren. Das scheint überfällig. Aber hier endet der Vergleich mit der Kommunalpolitik leider schon. Ein solch radikaler Schritt wird in Politik und Verwaltung nicht erfolgen. Wahrscheinlich wird kurz nach dem Abpfiff des Endspiels am 14. Juli das große Wehklagen über die fehlinvestierten 19 Millionen beginnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken