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Archiv-Artikel

Im warmen Licht des elektrischen Stuhls

Stephen Craig hat den Jahrmarkt multimedial erkundet: Jetzt lässt er in der Galerie Barbara Claassen-Schmal Gondeln in die Freiheit schweiben

Eine Freiheitsstatue für Arme: In ihrer Fackel rotiert ein Signallicht, wie man es auf Müllwagen findet. Sie trägt ein raspelkurzes Röckchen im Sternenbanner-Look und mindestens Körbchengröße D. Den amerikanischen Traum auf dem Rummelplatz zeigt Stephen Craig auf den Fotografien seines „Jahrmarktzyklus“, die in der Galerie Barbara Claasen-Schmal zu sehen sind. Eine schlecht gemalte Sehnsuchtskulisse vor dem grauen Hamburger Himmel.

Aus dem amerikanischen Traum des „höher, schneller, reicher“ ist mit dem Einsturz der Zwillingstürme ein Albtraum geworden. Auf den nächsten Fotografien des Zyklus, die sich puzzleartig zusammenfügen, ist unter gemalten Flugzeugen der Name der bescheidenen Attraktion zu erkennen: „Fireball“.

In Craigs Werken mischen sich Pop- und Trashkultur wie selbstverständlich mit Kommentaren zum Zeitgeschehen. Die allerdings beschränken sich weitgehend auf das Feststellen eines diffusen Unhagens. Nicht politisch, unterscheidet die Galeristin im Steintorviertel, eher gesellschaftskritisch ticken die Künstler, mit denen sie zusammenarbeitet. „Wenn jemand sagt: Was ich mache, ist hohe Kunst, und was man im Alltag antrifft, ist Design oder Gebrauchskunst, dann interessiert er mich nicht“, erklärt Barbara Claasen-Schmal.

An Stephen Craig, der an der Universität Karlsruhe an der Schnittstelle von Architektur und Skulptur forscht und lehrt, hat sie eben diese Verbindung mit Ausflügen in die Fotografie und Malerei fasziniert. Aus der Fotoserie entwickelte der gebürtige Ire seine Skulptur „Electric Chair“: Der mit bunten Glühbirnen wie Leuchtreklame besetzte elektrische Stuhl taucht den Raum in ein warmes, heimeliges Licht. Doch bietet die breite, hölzerne Sitzfläche zwischen all den heißen Birnen keinen Platz, der schmerzfreies Sitzen verspräche. Wieder die Konfrontation von nostalgischer Jahrmarktästhetik mit der tödlichen Kehrseite des amerikanischen Traums, aber diesmal ganz anders. Hat der 11. September etwas mit der Todesstrafe zu tun? Der Bezug ist nur assoziativ, nicht logisch. Die Kommentare zur Gegenwart bleiben nichts weiter als Bausteine in einer endlosen Reihe von Zitaten aus Kulturgeschichte und Pop, High and Low.

Noch reißender wird die Zitatflut in der Kassenhäuschen-Serie. In Fotografie, dreidimensionaler Skulptur und zweidimensionaler Assemblage variiert Craig das Eingangstor zur Traumwelt und ihre Schnittstelle zur vom Geld regierten Realität: das Kassenhäuschen von Geisterbahn, Riesenrad und Co. Als buntes Architekturmodell klaut es sich die perfekten Proportionen des Renaissance-Architekten Palladio. Als Arrangement noch bunterer, an der Wand verstreuter Schattenrisse stibitzt es die Anordnung aus Marcel Duchamps „Großem Glas“, der Auseinandersetzung des Surrealisten mit Raum und Fläche. Die schnöde Fahrchips-Bude wird dadurch selbst zum Ziel der Wünsche: ein Tempelchen einsamer Kontemplation, eine Gondel, die in die Freiheit schwebt. Zu allem Überfluss heißt das Arrangement „K9“ nach dem Roboterhund aus der 70er-Jahre-BBC-Serie „Doctor Who“. Wer die Zitiererei jetzt noch bierernst nimmt, ist selbst schuld. Annedore Beelte

Steven Craig in der Galerie Barbara Claassen-Schmal, Bleicherstr.55, Di-Fr 14 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr; Sa 12 bis 14 Uhr. Bis 20. Juni